Essen/Bochum. Die Zahlen vieler Infektionskrankheiten sind in NRW deutlich gesunken. Experten werten das auch als Folge der Schutzvorkehrungen gegen Corona.

Maske tragen, Abstand halten, vermehrtes Händewaschen: Seit Beginn der Corona-Pandemie ist das für die meisten Menschen Alltag geworden. Auch wenn die Zahl der Corona-Infektionen derzeit wieder steigt: Der Blick in die Erkrankungs-Statistik in NRW zeigt, die Schutzvorkehrungen wirken. Sie hemmen offenbar auch die Ausbreitung anderer Infektionskrankheiten.

„Es kann im Vergleich zu den Vorjahren ein Rückgang beobachtet werden“, schließt man beim Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) in Bochum. Im wöchentlichen Infektionsbericht zeigen die Balkendiagramme seit mehr als vier Monaten bei fast allen der dort aufgelisteten 21 Infektionskrankheiten in den „Minus“-Bereich – und das deutlich.

Masern bei „0“, Keuchhusten um 97 Prozent gesunken

Ein „Zufall“ ist das nicht, glaubt auch Anne Eva Lauprecht, Klinikhygienikerin und Infektiologin an den KEM, Evang. Kliniken Essen-Mitte. Aber: „Man kann dabei nur solche Infektionskrankheiten vergleichen, die wie das Coronavirus übertragen werden, wo also der Hauptübertragungsweg feinste Tröpfchenkerne in der Atemluft sind, die sogenannten Aerosole“, erklärt die Medizinerin.

Beispiele: Die Fälle von Keuchhusten sind in den vier Wochen bis zur 32. Kalenderwoche um 97 Prozent gesunken im Vergleich mit dem „historischen Mittelwert“ aus den Jahren 2015 bis 2019 für diesen Zeitraum; bei Windpocken wurden 44 Fälle ärztlich erfasst; der Durchschnittswert liegt bei 272 Fällen. Die Verbreitung von Masern liegt seit mehr als drei Monaten bei 0 erfassten Fällen. Der Durchschnittswert pendelt zwischen 11 und 31 Fällen, jeweils bezogen auf Vergleichszeiträume in den Jahren 2015 bis 2019 – also vor Corona.

Der Trend könnte sich noch etwas halten

„Die Effekte der Corona-Pandemie und der Schutzmaßnahmen sind vielschichtig“, erklärt eine Sprecherin des LZG: In vielen Bereichen wurden Kontakte reduziert, „dies ist ein wesentlicher Faktor, weil sich Infektionskrankheiten von Mensch zu Mensch übertragen“.

Dass neben Schulen und Kitas auch Bars, Discos oder Sport- und Gaststätten geschlossen waren und zum Teil nach wie vor nicht öffnen dürfen, habe, zusammen etwa mit Arbeit im Homeoffice und geändertem Reiseverhalten, „dazu beigetragen, dass sich Infektionskrankheiten weniger ausbreiten konnten oder können“, sagt die LZG-Sprecherin. Der Trend könnte sich vorerst halten, denn: „Für alle in den vergangenen Monaten wieder aufgenommenen Angebote und Aktivitäten gelten verstärkte Hygiene- und Abstandsregeln, vieles findet wenn möglich draußen statt“, heißt es beim LZG. Im Herbst könnte sich das jedoch ändern.

Statistik ist mit Vorsicht zu genießen

Hygiene-Expertin Anne Eva Lauprecht warnt jedoch, die Statistik falsch zu deuten: „Man muss zum Beispiel auch berücksichtigen, dass nach wie vor viele Menschen aus Sorge vor Corona nicht zum Arzt gehen, obwohl sie erkrankt sind. Solche Fälle tauchen dann in keiner Statistik auf.

Experten sind sich jedoch einig darin, dass etwa die Mund-Nase-Bedeckung derzeit zusammen mit Abstands- und Hagiene-Regeln der wirksamste Schutz vor einer Corona-Verbreitung ist – nicht nur mit Blick auf Covid-19: „Ich erwarte, dass wir in diesem Jahr deutlich weniger Influenza-Fälle haben“, meint Lauprecht.

Maskenpflicht wäre auch ‘nach’ Corona in bestimmten Bereichen sinnvoll

Zusammen mit Dr. Andreas Grundmeier, Einsatzleiter Covid-19 und Chefarzt für Notfallmedizin und Internistische Intensivmedizin an den KEM, Evang. Kliniken Essen-Mitte, hält sie es daher für überlegenswert, dass Mund-Nase-Masken auch dann noch in bestimmten Bereichen etwa von Kliniken oder Pflegeheimen auch von Besuchern getragen werden, wenn es einen Impfstoff gegen Corona gibt – mindestens in der Grippe-Zeit.

Doch die Hygienikerin und der Notfallmediziner wollen nicht zu optimistisch klingen: „Den Aufwand, sich vor Ansteckung zu schützen, werden Menschen nur betreiben, wenn der selbst empfundene Nutzen hoch ist“, sagt Lauprecht: „Masken werden bei uns bei vielen Menschen als deutliche Einschränkung empfunden.“