Duisburg. Prostituierte wollen Dienste im Ruhrgebiet nicht illegal anbieten – einige tun es schon. Ihr Verband sieht Existenznöte.

UPDATE: Anders als Berlin wird Nordrhein-Westfalen das coronabedingte Arbeitsverbot für Prostituierte vorerst nicht lockern. Das stellte das NRW-Gesundheitsministerium klar. Sexuelle Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen seien laut Coronaschutzverordnung ausdrücklich untersagt, stellte die Behörde von Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) fest. „Solange in anderen Lebensbereichen massive Restriktionen wie Abstand, Maskenpflicht und Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten gelten, sind aus Sicht unseres Hauses Lockerungen im Prostitutionsbereich schwer vorstellbar.“

Thai-Massagen und Kontaktsport sind ja auch wieder erlaubt. Warum dann nicht die Prostitution? Dieses Argument hören wir mehrfach im „Alten bizarren Bahnhof“ von Duisburg-Neumühl, in dem normalerweise bereits zur Mittagszeit gereizt, gepeitscht und, wer weiß, auch gekitzelt wird. In Corona-Zeiten werden das Folterzimmer und das Schuleckchen, die Klinikzone und das Chefbüro an diesem Freitag nur ausnahmsweise genutzt – für eine Pressekonferenz. Die Vertreter der Prostituierten werben dafür, „Sexarbeit“ unter Hygiene-Auflagen wieder zu erlauben.

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Dies, ebenso wie die Prostituiertendemos in Hamburg, Berlin und am Mittwoch in Köln, ist aber auch eine Reaktion auf das Bestreben, die Prostitution dauerhaft einzuschränken. Das hatten Mitte Mai 16 Bundestagsabgeordnete, darunter SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, in einem Brief an die Länderchefs gefordert: „Diesen Frauen hilft nicht die Wiedereröffnung der Bordelle, sondern eine Ausbildung oder Tätigkeit in einem existenzsicherndem Beruf.“ Auch hieß es in dem Papier: „Es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders hätte – sexuelle Handlungen sind in der Regel nicht mit Social Distancing vereinbar.“

Fast alle arbeiten ohnehin wieder – nur eben illegal

„Ich glaube, das fast alle Kolleginnen wieder arbeiten, illegal“, hält Johanna Weber dagegen, sie spricht für den Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Und auch diese Annahme wird im Bahnhof allseits geteilt: In Bordellen kann man wenigstens kontrollieren, in privaten Wohnungen oder Hotels so gut wie gar nicht. „Das Verständnis in der Branche für das Arbeitsverbot schwindet immer mehr. Oder besser: Es ist kaum noch da“, erklärt Weber. Da sind die Nachbarländer, die Prostitution bereits wieder erlaubt haben, da ist die finanzielle Not derer, die „von der Hand in den Mund leben. Die immer so so über den Monat gekommen sind. Ohne festen Wohnsitz, oft ohne Krankenversicherung.“

Sexarbeit- Lebensgrundlage entzogen

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    Gemeldet waren 2018 in Deutschland etwa 32.800 Prostituierte, in NRW 9.300. Doch das Dunkelfeld ist groß. Auf über 70 Prozent schätzt Heike Köttner von der Bochumer Beratungsstelle Madonna den Anteil derer, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Soforthilfe haben. „Viele brauchen einfach etwas zu essen. Selbst die Tafeln sind nicht ohne weiteres offen, denn die fordern einen Nachweis über Arbeitslosenhilfe.“ In Bochum werde nun auf der Straße neben dem Bordell angeschafft.

    Die Suchtkranken

    „Ich habe Angst, dass es ein Sexkaufverbot gibt“: „Lou Violenzia“, 23, aus Bochum engagiert sich für die Beratungsstelle „Madonna“.
    „Ich habe Angst, dass es ein Sexkaufverbot gibt“: „Lou Violenzia“, 23, aus Bochum engagiert sich für die Beratungsstelle „Madonna“. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

    Besonders getroffen sind die Suchtkranken, weiß Nicole Schulze, die im BesD für den „Strich“ zuständig ist. Dort seien etwa 40 Prozent süchtig“, schätzt sie. „Man müsste es ihnen erleichtern, an Ersatzdrogen wie Methadon zu kommen. Viele gehen in die Illegalität.“ Schulze selbst geht seit 2004 auf den Strich – sie ist mit ihrem Wohnmobil vorgefahren.

    Bei Monatseinnahmen von bis zu 5000 Euro (ohne Ausgaben) sieht sie sich „als selbstständig gut verdienend an“ – mit entsprechendem Lebensstandard. Aber „das Haus, das finanziert werden muss“ und andere laufende Kosten könne sie vom Arbeitslosengeld und der Soforthilfe allein nicht bestreiten. „Jetzt wird es langsam so eng, dass ich an meine Altersrücklagen muss.“ Und sie gibt freimütig zu, dass sie alle Alternativen erwägt: Illegal arbeiten oder ins Ausland reisen oder in etwas liberalere Bundesländer? „Aber ich will eigentlich nicht dieses Reisen. Ich will arbeiten, wo ich mich sicher fühle.“

    Sex mit Maske?

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    Und die Masken beim Sex? Ist das realistisch? „Man kann das sogar ganz gut ins Spiel einbeziehen“, glaubt Schulze. „Mit erweiterter Maske als Augenbinde“ oder im Dominastil. Und Duschen? Sei für drei Personen auch in ihrem Wohnmobil möglich. „Und auf dem Kölner Straßenstrich gibt es Duschen.“

    Aya Velázquez liegt als „High-Class-Escort“ mit 800 bis 3000 Euro pro Kontakt am anderen Ende des Preisspektrums. Am ehesten sieht sie im hochpreisigen Segment eine Herausforderung, dem Kunden Einschränkungen zu verkaufen. „Aber wenn die Alternative ist, dass man sich gar nicht trifft ...“ Im „Niedrigpreis-Segment“ dagegen sei es sehr gut möglich, Praktiken auszuschließen, glaubt Velázquez. „Die Frauen verkaufen ihre Dienstleistungen hier häppchenweise. Ich habe zum Beispiel auch in einem Bordell gearbeitet, in denen 20 Euro für 20 Minuten üblich waren. Vier Jahre habe ich nicht eine Person geküsst – weil ich es nicht wollte und nicht angeboten habe.“

    Das Hygiene-Konzept für käuflichen Sex

    Einige Nachbarländer, darunter die Schweiz, die Niederlande und Tschechien, haben Prostitution vor kurzem wieder erlaubt. In den österreichischen „Empfehlungen“ findet sich etwa der nüchterne Satz: „Der Körperkontakt ist auf das notwendige Maß zu beschränken.“ Auch auf „einander zugewandte Sexpositionen“ soll verzichtet werden. Die Maske ergänzt ganz selbstverständlich das Kondom.

    Das Hygiene-Konzept des Berufsverbandes BesD geht weiter:

    - Aus der Empfehlung zur Maske wird hier eine Pflicht. Bestimmte Dienstleistungen sind komplett tabu, auch mit Kondom, denn der Mund-Nase-Schutz soll nicht abgenommen werden.

    - Kunden-Kontaktdaten sollen nicht nur möglichst, sondern in jedem Fall aufgenommen werden. Am Straßenstrich soll das Kennzeichen aufgeschrieben und vier Wochen lang in einem zugeklebten Umschlag verwahrt werden.

    - Vor der „erotischen Dienstleistung“ sollen Kunde und Anbieterin auf jeden Fall duschen, inklusive Haare waschen, denn hier könnten Aerosole kleben.

    - Gute Durchlüftung ist alles. Zehn Minuten Durchzug schlägt der BesD vor.

    - Dessous, Bettwäsche und Stoffmasken müssen nach jedem Kontakt gewaschen werden. Gegebenenfalls soll der Kunde angehalten werden, dies ebenso zu halten.

    - Und: Der Mindestabstand gilt auch beim Anbahnungsgespräch. Prostituierte sollen sich also nicht ins Auto hineinlehnen.