Bochum. Bochumer Psychologen fragen 4850 Menschen, ob sie sich einsam fühlten, als Corona aufkam. Ja, sagen Eltern, junge Erwachsene und Vorerkrankte.
Nach dem Krieg ist die Woche Mitte März 2020 diejenige, die einem Weltuntergang noch am nächsten kommt: Das Land macht wegen Corona zu, die Menschen suchen Schutz zuhause, da draußen sterben Menschen; und wer auf die Straße will, darf dies mit einem (!) anderen. Forscher haben nun untersucht, was das mit uns gemacht hat: Die befürchtete Epidemie der Einsamkeit blieb jedenfalls aus. Doch nicht bei allen.
Nicht alles, was die Psychologin und Einsamkeitsforscherin Susanne Bücker von der Ruhr-Universität und ihre Kollegen in Bochum und Berlin heraus bekamen, hatten sie erwartet. Nicht alles können sie erklären. Fest steht auch: Die Ergebnisse zählen als Durchschnitt für eine große Gruppe, das Empfinden eines Einzelnen kann völlig anders gewesen sein. Und schließlich: Die Untersuchung ist nicht beendet, die Wissenschaftler suchen weitere Teilnehmer, unten im Text dazu mehr.
Vor allem in den ersten beiden Wochen fühlten sich viele Menschen einsam
Doch nun zügig zu den Ergebnissen: In den ersten zwei Wochen der Schließungen von Mitte März, beginnend mit dem Verbot des Fußballs und endend mit drastischen Kontaktverboten, nahm das Gefühl von Einsamkeit in der Stichprobe von 4850 Menschen zu. Danach, in den ersten beiden Aprilwochen, sank es wieder. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Generationen: „Entgegen den Erwartungen erzielten Menschen über 60 Jahren die geringsten Einsamkeitswerte“, so Bücker.
Am einsamsten fühlten sich dagegen zunächst die 18- bis 30-Jährigen. Alleinstehende oder Vorerkrankte empfanden sich im Durchschnitt einsamer als andere. Und: Bei Menschen ohne Kinder nahm das Einsamkeitsgefühl im Laufe der vier Wochen wieder ab, Eltern dagegen fühlten sich immer einsamer.
Eltern fehlte die Zeit für Kontakte außerhalb der Kleinfamilie
„Das hatten wir nicht erwartet, aber Eltern in der Forschungsgruppe konnte uns das erklären“, sagt die 27-Jährige Doktorandin. Doch wie kann jemand einsam sein, der mit Kind und meist auch einem Partner zusammenlebt von Angesicht zu Angesicht? Das ist eine Frage der Definition.
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Danach kann nicht nur einsam sein, wer allein ist in seinen vier Wänden; sondern auch diejenigen Menschen sind es, die deutlich mehr und bessere soziale Kontakte erwarten, als sie dann tatsächlich haben. Und so ist die Erklärung für einsame Eltern: Die Lage, die Kinder zuhause bespielen und beschulen zu müssen und daneben zu arbeiten, ließ keine Zeit mehr für andere Kontakte, die sie sich auch gewünscht hätten.
Junge Erwachsene und ganz Alte sind empfänglicher für Gefühle von Einsamkeit
„Wir haben keine ganz eindeutigen Antworten auf alle Fragen“, sagt die Einsamkeitsforscherin. So dürfte der Anstieg der Einsamkeit in den ersten zwei Wochen mit all den verfügten Einschränkungen zu tun haben. In den nächsten zwei Wochen kamen keine Verschärfungen mehr hinzu. „Menschen reagieren auf Veränderungen spontan, aber sie passen sich auch an“, sagt Bücker. Im Ruhrgebiet hätte man den Rückgang sich so erklärt: Man gewöhnt sich an allem. „Gewöhnung ist menschlich und gesund“, sagt Bücker.
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Doch warum fühlten sich vor allem jüngere Erwachsene einsam? Weil die – so eingeteilte – Gruppe der 18- bis 30-Jährigen auf Kontakte gepolt ist. „Sie empfanden große Einschnitte“, sagt Bücker. Schon vorher wussten die Forscher: Auch in normalen Zeiten ist diese Altersgruppe empfänglich für Einsamkeitsgefühle wie sonst nur die Generation über 80 Jahren. Bei Jüngeren sank das Gefühl, einsam zu sein, allerdings dann wieder, vermutlich wegen der Nutzung von Technik und (sozialen) Medien; bei Älteren hingegen stieg sie durchgehend. Hier ist die Annahme: Sie nutzen Technik für Kontakte nicht in dem Maß, und zusehends blieben Besuche aus.
Forschungsgruppe sucht weitere Teilnehmer für Fortsetzung der Studie
Um das alles heraus zu bekommen, wurden die 4850 freiwilligen Teilnehmer regelmäßig befragt: jeweils vier Tage hintereinander, dann bekamen sie eine Pause, um danach nochmals über ihre Woche schreiben zu sollen und dann eine längere Pause zu bekommen Der Rhythmus ist, wie könnte es in diesem Umfeld anders sein, ein psychologischer Trick: „Man erfasst das in Wellen, damit die Leute nicht ermüden. Sonst verlieren die Menschen die Lust, immer die gleichen Fragen zu beantworten.“
Langeweileforscherin ist Susanne Bücker offensichtlich auch. Nein, im Ernst: Da die Untersuchung weitergeht, sind Interessenten immer willkommen; denn trotz der trickreichen Fragetechnik sind natürlich auch Teilnehmer abgesprungen. Sie finden die Forscher unter https://covid-19-psych.formr.org. Ihre Angaben bleiben anonym, doch können Sie um eine Reaktion bitten: Sie beantworten Fragen zu Ihrer Persönlichkeit und bekommen daraufhin ein eigenes Profil zum Thema, wie sehr Sie nach außen gewandt sind „im Vergleich zu einer deutschen Normstichprobe“.