Ruhrgebiet. Das Rotlichtmilieu macht auch in Zeiten von Corona nur bedingt Pause, glauben Streetworker. Einige Prostituierte sind nun in Wohnungen tätig.

Ein einzelner Freier streift durch die Oberhausener Flaßhofstraße, schaut in zwei, drei Fenster, die keine Rollladen schützen, läuft auf eine Leuchtreklame in der zweiten Reihe zu, doch auch dieses Bordell ist dicht, geschlossen wegen Corona. Die Rote Meile liegt da wie eine ausrangierte Filmkulisse. Doch wo sind die Schauspielerinnen? Wie leben sie? Müssen sie sich weiter anbieten oder ist es denkbar, dass ausgerechnet diese Show nicht weitergeht? Die Prostituierten scheinen einfach verschwunden.

„Die Frauen sind in der Notlage, weiterhin ihren Körper verkaufen zu müssen“

Auch die acht Frauen, denen Petra Jochheim doch helfen wollte, sie hatte bereits Wohnungen gefunden. Der Hilfsverein Solwodi hätte sie bezahlt, ebenso die Lebenshaltung, „auch über Zigaretten hätten wir nicht nachgedacht“, sagt Jochheim. „Doch dann waren die Frauen weg. Sie sind nicht mehr aufzuspüren.“ Die Bordellbetreiber haben sie in Wohnungen untergebracht, ist sie sich sicher. „Und ich glaube, die Frauen sind in der Notlage, weiterhin ihren Körper verkaufen zu müssen. Corona oder nicht.“

Petra Jochheim ist von Beruf Anwältin und ehrenamtlich für den Hilfsverein Solwodi tätig.
Petra Jochheim ist von Beruf Anwältin und ehrenamtlich für den Hilfsverein Solwodi tätig. © FFS | Kerstin Bögeholz


Die Lage ist so: Deutsche Frauen trifft die Anwältin Petra Jochheim kaum noch bei ihren ehrenamtlichen Rundgängen in den Bordellen. Von den vielleicht 120 Frauen, die an der Flaßhofstraße tätig sind, stammt die Mehrzahl aus Rumänien und Bulgarien. Einige seien nach Hause gefahren, sie hat es allen geraten und sogar Flixbustickets angeboten. Aber viele konnten oder wollten nicht zurückkehren, und eine eigene Wohnung besitzen die wenigsten.

Frauen dürfen im Bordell wohnen

Normalerweise dürfen die Frauen nicht im Bordell wohnen, diese Regel hat das Familienministerium erst rund zwei Wochen nach der Schließung ausgesetzt. Dies ändert nichts daran, das die verbliebenen Frauen „komplett abhängig vom Bordellbetreiber sind“, sagt Jochheim – und das sollen sie auch in Zeiten von Corona bleiben.

Darum sind ihre acht Klientinnen verschwunden, glaubt Jochheim. Ein Bordellbetreiber habe ihr zwar erklärt, er habe die Frauen kostenfrei untergebracht – aber sie glaubt ihm nicht. „Man will die Frauen nicht aus dem Milieu herauslassen.“

Jochheim kennt die Szene seit viereinhalb Jahren. Damals vertrat sie eine Prostituierte, die aussteigen wollte, damals entschied die Anwältin, sich zu engagieren. Seitdem ist die 63-Jährige für den Hilfsverein Solwodi tätig, der vor allem Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution berät. Während andere Beratungsstellen und Lobbyvereine „Sexarbeit“ als ein normales Gewerbe zu etablieren versuchen, vermeidet Jochheim das Wort „arbeiten“. „Es gibt kein sauberes Bordell. Sie können es rosa anmalen, aber es bleibt ein kriminelles Milieu.“

Die Frauen werden gezielt vereinzelt

Gerade die Frauen, die zurückgeblieben sind, „stehen sehr stark unter Zwang“, erklärt Jochheim. „Die kommen höchstens mal zum Einkaufen in den Drogerie-Markt. Dann müssen sie wieder Geld verdienen für die geschickte Familie oder den Zuhälter. Sie haben keine Freundinnen, mit denen sie ausgehen. Sie haben überhaupt keine sozialen Kontakte. Nur den Zuhälter und den Bordellbetreiber.“ Die Frauen würden gezielt vereinzelt und in emotionaler Abhängigkeit gehalten. Sie sähen keine Alternative, weil sie glaubten, niemanden zu haben in der Welt. „Es werden die Ärmsten der Armen ausgebeutet.“ Das gilt immer, doch in Zeiten von Corona umso mehr.

Die Bordelle in der Flaßhofstraße in Oberhausen sind wegen Corona geschlossen.
Die Bordelle in der Flaßhofstraße in Oberhausen sind wegen Corona geschlossen. © WAZ | Thomas Mader

Die Frauen in der Flaßhofstraße sind offiziell Mieterinnen. Sie zahlen etwa 140 Euro am Tag für das Zimmer, weiß Jochheim, plus Essen, Reinigung, Nebenkosten und Pauschalsteuer. Sie müssen also erst einmal 180 Euro verdienen, um in die „Gewinnzone“ zu kommen. Die Preise aber sind im Keller. „15 Euro für das gesamte Paket“, sagt Jochheim, „20 Euro ohne Kondom ... Stellen Sie sich mal vor, diese Frauen hätten auf einmal Leerlauf, einen Alltag, könnten mal spazieren gehen, würden Normalität fühlen und über ihre Situation nachdenken.“

Freier könnten die Situation ausnutzen

Dieser Stuhl bleibt vorerst unbesetzt.
Dieser Stuhl bleibt vorerst unbesetzt. © WAZ | Thomas Mader

„Der ein oder andere Freier wird nun fortbleiben“, glaubt Jochheim. Aber die Prostitution gehe in geringerem Umfang weiter, nur eben in Wohnungen. Darauf deuten auch Diskussionen in Freierforen hin. Ein „Mr Popp“ schreibt „Naja, ein Verbot juckt mich nicht. Ich habe eben ein Mädel aus Duisburg zufällig als Übernachtungsgast bei mir Zuhause.“ Er bekommt durchaus Kontra von Freier „Chris-Dui“: „Die Ignoranz von manchen Leuten kotzt mich an...“ Aber da ist auch schon „Käpt’n Udo“: „Ich drossel da nichts. 1 X die Woche muss das Rohr freigepustet werden.“ Jochheim glaubt, dass die Situation „eher zu fallenden Preisen führt, weil die Prostituierten wegen des Verbots erpressbarer werden.“

In Prostituiertenforen berichten einzelne „Escorts“ von vermehrten Anfragen. „Andere versuchen sich mit Tastaturerotik die Zeit zu vertreiben. Möchten ja ohne Corona schon viele. Jetzt noch mehr!!!!“ Aber die Frauen, die Petra Jochheim schützen wollte, sind hier kaum unterwegs. Auch die Stadt Oberhausen weiß nichts über ihren Verbleib.

>> Info: Kostenfreie Untersuchung für Prostituierte

Die meisten Frauen haben keine Krankenversicherung und werden deshalb bei Anzeichen von Corona keinen Kontakt zu Ärzten suchen, glaubt Streetworkerin Petra Jochheim.

Betroffene können sich an Solwodi wenden. Der Hilfsverein mit Filialen in Oberhausen und Duisburg kann eine kostenfreie Untersuchung organisieren: www.solwodi.de.