Ruhrgebiet. Nach zwei sehr trockenen Sommern fing das Frühjahr 2020 auch so an. Doch trockene Sommer sind nicht entscheidend. Sondern das Winterwetter.

Für den Laien steht die Ruhr fast still am Pegel Essen-Werden. Ein paar Enten kommen gucken, was Claudius Koziol und Christian Dommert da wohl machen am Ufer; sie haben eine Art ferngesteuertes Surfbrett mit aufgebautem technischen Gerät zu Wasser gelassen und messen Wasserstand und Durchfluss. „24,3 Kubikmeter“, sagt Koziol. 24.300 Liter fließen gerade durch. Pro Sekunde. Soviel zum stehenden Gewässer.

Stille Wasser sind tief. Und das Warnschild da ist eher lustig: „Bei Hochwasser Überflutungsgefahr“, kann man eins zu eins übersetzen mit „Bei Hochwasser Hochwasser.“ Mitarbeiter des Ruhrverbandes kontrollieren hier und an anderen Pegeln regelmäßig, ob die fest verbaute Messtechnik noch richtig funktioniert. Sie steckt in der Böschung unter der Wasserlinie, man sieht sie nicht, sonst stünde es auch ausgesprochen schlecht um die Wasserversorgung des Ruhrgebiets.

1911 ist der Fluss in Mülheim versiegt, schöpfen Menschen Wasser aus Lachen

Georg zur Strassen in der Talsperrenleitzentrale des Ruhrverbandes.
Georg zur Strassen in der Talsperrenleitzentrale des Ruhrverbandes. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Dass die Ruhr auch anders kann, beweisen Fotos von 1911: Mitten in Mülheim ist das Flussbett trocken, Menschen schöpfen mit Eimern Wasser aus Lachen. Das kam damals öfter vor, und ob 1911 das letzte Mal war, weiß heute niemand mehr. Der Ruhrverband wurde jedenfalls kurz danach gegründet, um das Ruhrgebiet mit Wasser zu versorgen. Auch in Trockenjahren, auch in aufeinander folgenden Trockenjahren. Die Ente ist sicher.

Prognosen des Ruhrverbandes besagen heute: Ohne Klimawandel würde einmal in 500 Jahren die Ruhr versiegen. Mit Klimawandel, berechnet als plus drei Grad, einmal in 200 Jahren. „2020 ist spannend“, sagt Georg zur Strassen, stellvertretender Leiter der Wasserwirtschaft und zuständig für die Talsperren, die uns am Leben halten.

Im Frühjahr 2020 ist der Wasserstand der Talsperren so steil abgestürzt wie selten zuvor

Zur Strassen sitzt in der Talsperrenleitzentrale, einer zweiten Etage in Essen-Mitte. An zehn Bildschirmen können er und andere Mitarbeiter alle denkbaren Daten zum Wasser im Ruhrgebiet abrufen und darstellen. Pegelstände, Zuflüsse, Regen, Schnee, Abflüsse. Oder diese hässliche Kurve: Sie zeigt, dass der Wasserstand in den Talsperren in dem trockenen Frühjahr 2020 so steil gefallen ist wie selten zuvor. Nun, im Juni, hat sich die Lage mit dem Regen etwas entspannt. Aber „das Wesentliche passiert sowieso im Winter“, sagt zur Strassen.

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Wenn es wie im letzten Winter viel regnet, kann zur Strassen sich entspannen: Der Sommer kann knochentrocken ausfallen, mit gut gefüllten Talsperren hält das Ruhrgebiet das durch. „Da ist alles paletti.“ Wenn dem aber ein trockener Winter folgt, wird ein weiterer trockener Sommer zum Problem.

Ruhrverband betreibt acht Talsperren, 69 Kläranlagen, 50 Pegel und fünf Stauseen

Deshalb arbeiten sie hier auch mit Wetterprognosen, die um so unsicherer werden, je weiter sie vorausschauen. Strassen zeigt eine, die besagt, dass der übernächste Monat mit 35-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu trocken wird, mit gleicher Wahrscheinlichkeit normal ausfällt und mit 29-prozentiger zu nass wird. Nun gut.

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Acht Talsperren, 69 Kläranlagen, 50 Pegel, fünf Stauseen sind der Apparat, mit dem das Ruhrgebiet am Trinken gehalten wird. Und es klingt ja simpel: Führt die Ruhr wenig Wasser, lässt man aus den Talsperren einfach mehr abfließen. Fertig. Doch so einfach ist das nicht, aus zweierlei Gründen.

„Bei Trockenheit ist es schwierig, mehr Wasser rein zu bekommen“

Pegel-Häuschen wie hier in Essen-Werden sind häufig gestaltet: Dann gibt es weniger Vandalismus.
Pegel-Häuschen wie hier in Essen-Werden sind häufig gestaltet: Dann gibt es weniger Vandalismus. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Der eine ist: Die Talsperren sollen nicht nur die Wasserversorgung sichern, sondern auch vor Hochwasser schützen. Man darf sie also gar nicht ganz voll machen, sonst könnten sie ein anrollendes Hochwasser nicht mehr abfangen, und es würde sich ungebremst ins Ruhrtal ergießen. Kann man auch nicht wollen.

Der zweite hat dann doch mit dem Klima zu tun. Zur Strassen sagt es so: „Bei Trockenheit ist es schwierig, mehr Wasser rein zu bekommen. Also wie lassen wir weniger raus?“ Denn es gibt Mindestmengen, die fließen müssen, damit auch hinten in Duisburg, Mülheim oder Essen noch genug Wasser ankommt für die Menschen.

Nicht der Sommer 2020 ist die Frage, sondern der Winter 20/21

Freilich würde man heute sagen: Die Mindestmengen, gemessen an einem Pegel bei Schwerte, sie atmen. In den trockenen Jahren 2018 und 2019 hat die Landesregierung genehmigt, sie nochmal herunterzufahren, um Wasser zu sparen. Gemerkt hat das niemand.

Das gilt dann auch für die Prognose, dass wir alle 200 Jahre verdursten: „Sie ist erstellt worden ohne die mögliche Reduzierung der Abflüsse“, sagt zur Strassen: „Wir warten ja nicht, bis die Talsperren leer sind.“ Insofern ist nicht mehr der Sommer 2020 die Frage, sondern der Winter 20/21. „Nervös wird man, wenn November und Dezember sich nicht normal verhalten.“ Herr zur Strassen, jetzt mal im Ernst, müssen wir uns sorgen um unsere Wasserversorgung? „Nein“, sagt er: „Noch nicht.“