Ruhrgebiet. Viele Heimbewohner spüren kaum Lockerungen. Einige Pflegeheime gehen sehr restriktiv mit Besuchern und Ausgängen um. Letzteres soll sich ändern.

„Wenn ich meine Mutter besuche, steht ein 2,50 Meter breiter Tisch zwischen uns. Trotzdem müssen wir die Masken aufbehalten. Dadurch versteht man sich einfach schlecht, man bekommt nicht diese Verbindung – wie mag das erst bei dementen Angehörigen sein? Es gibt einen Sichtschutz, aber der ist so aufgebaut, dass der Angehörige von der Rezeption aus im Blick gehalten werden kann. Nach 20 Minuten wird meine Mutter dann abgeführt. Ich habe auch mal jemanden im Gefängnis besucht. Hätte ich vorher meine Taschen leeren müssen, wäre es genauso gewesen.“

Dies berichtet Frau F. aus dem mittleren Ruhrgebiet. Da sie Nachteile für ihre Mutter befürchtet, möchte sie ihren Namen nicht veröffentlicht wissen. Sie kritisiert, was auch Sozialverbände wie VdK oder Biva nach Gesprächen mit vielen Betroffenen anmahnen: Die Besuche und die Bewegungsfreiheit von Heimbewohnern werden weiterhin in einem Maße eingeschränkt, wie es der Gesetzgeber nicht vorsieht. Und jedes Heim macht es anders.

Potenziale für Erleichterungen

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Es gibt darum keinen typischen Fall. Aber bei Frau F. und ihrer Mutter scheint vieles zusammenzukommen. Dabei, sagt sie, „ist es ein gutes Heim.“ Sie möchte nicht tauschen mit der Heimleitung – allerdings organisiert Frau F. selbst eine Arztpraxis, einschließlich des Besuchskonzepts. „Es gäbe viele Potenziale für Erleichterungen“, sagt sie, „aber es ist Angst und auch mangelndes Engagement.“

„Nun sind Besuche zwar wieder erlaubt, aber bei uns nur, wenn die Heimleitung anwesend ist. Und am Wochenende ist sie nicht bereit, zu arbeiten. Mein Bruder wohnt weiter weg, er hat dadurch keine Chance, unsere Mutter zu besuchen.“

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„So etwas darf nicht sein“, sagt auch Christine Strobel, Landesbeauftragte des BPA (Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste) und somit Interessenvertreterin der Heimträger. „Wir informieren unsere Mitglieder, dass der Gesetzgeber es sich anders vorstellt. Er will ein gewisses Risiko eingehen. Besuche sollen wieder ermöglicht werden.“

Ein Besuch pro Tag und Bewohner, maximal zwei Personen

Die aktuellen Regeln des Landes besagen: „Maximal ein Besuch pro Tag und Bewohner von maximal zwei Personen.“ Nur in Ausnahmefällen dürfen die Bewohnerzimmer genutzt werden, Bettlägerigkeit gehört dazu. Von einer Beobachtung durch Pflegepersonal oder sonstigen Zeitlimits steht dort nichts. Allerdings kann das Heim Besuchsverbote erlassen „wenn das Infektionsgeschehen es erfordert“, zudem bestimmen Platz und Personal die praktische Umsetzung.

So ist es richtig: Wenn eine Plexiglasscheibe da ist wie im Gelsenkirchener Seniorenheim Marienfried, braucht man nicht auch noch einen Mundschutz.
So ist es richtig: Wenn eine Plexiglasscheibe da ist wie im Gelsenkirchener Seniorenheim Marienfried, braucht man nicht auch noch einen Mundschutz. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Auch Strobel weiß von Heimleitungen, die weiter bestrebt sind, Besuche generell zu minimieren. Zugleich wirbt sie für Verständnis. „Sie machen sich einfach Sorgen um Bewohner und Mitarbeiter.“ Der Verband berät, wie man Besuchskonzepte erstellt. Dazu gehört, dass Masken abgelegt werden können, wenn Plexiglas oder ein ausreichender Abstand vorhanden sind.

„Vor drei Monaten hat meine Mutter ein neues Schultergelenk bekommen, doch die Krankengymnastik darf immer noch nicht zu ihr. Aber Fußpflege und Frisör, das geht – wohl, weil die Pfleger keine Lust haben, den alten Menschen die Nägel zu schneiden. Nun ist meine Mutter erneut gefallen und hat sich das Handgelenk des anderen Arms gebrochen. Als sie aus dem Krankenhaus wieder ins Heim kam, steckte man sie in eine 14-tägige Quarantäne. Sie darf ihr Zimmer nicht verlassen, nicht einmal zu bestimmten Zeiten in den Garten.

Nach einer Woche sollte sie zur Wundkontrolle ins Krankenhaus. Das hätte die Quarantäne verlängert. Ich habe mich mit der Pflegerin richtig in die Köppe gekriegt, bis ich durchsetzen konnte, dass ein Arzt und das Sanitätshaus ins Heim kommen durften.

Heime müssen Ausgänge akzeptieren

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Tatsächlich gilt nach stationärem Krankenhausaufenthalt weiterhin die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, dass Bewohner vorsorglich zu isolieren sind. Kein Anlass für eine Isolierung sei jedoch „ein zulässiges Verlassen der Einrichtung nach der Coronaschutzverordnung“, erklärt das Landesgesundheitsministerium. Es will kurzfristig eine neue Allgemeinverfügung herausgeben, die dies klarstellt. Die Heime müssen demnach Ausgänge akzeptieren und dürften keine Isolierung verfügen. Die Bewohner dürfen auch in Begleitung von Besuchern das Gelände verlassen. Voraussetzung ist, dass die Bewohner auf Kontaktvermeidung zu Dritten achten.

Der Pflegeschutzbund Biva sieht in den aktuellen Quarantäneregeln und Besuchsverboten einzelner Heime eine „Freiheitsberaubung“ und rät zur Klage. „Es gibt im Moment keine Quarantäneregeln des Landes“, sagt der Rechtsberater des Bonner Vereins, Markus Sutorius. „Eine solch massive Einschränkung der Freiheitsrechte dürfen nur die Gesundheitsämter anordnen“.

„Wir trauen uns nicht, allgemeine Regeln aufzustellen“, kommentiert Horst Vöge, Landeschef des Sozialverbandes VdK. „Aber es werden sehr leicht von Heimleitungen bestimmte Verbote ausgesprochen. Man überzieht aus Übervorsichtigkeit.“ Er fordert eine „Sozialbilanz“, also eine Bewertung aller Maßnahmen, die Land, Städte und Heimträger getroffen haben. „Wir haben das erste Mal eine solche Pandemie-Situation. Und wir müssen das Beste daraus machen.“