Essen. Wir haben unsere Leser nach ihren Erfahrungen aus der Corona-Krise gefragt: Die Antworten ergeben ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.
Die Sehnsucht der Menschen wächst, sich real in die Augen zu sehen. Die Wertschätzung von Nächstenliebe, dem intimen Vier-Augen-Gespräch und das Teilen von gemeinsamen Momenten (beim Sterben ganz dramatisch, beim Chorgesang von gemeinsam erlebter Körperlichkeit als geteiltes Vergnügen im Verbund) wird diesem Konsummenschen glücklicherweise in dieser Krise bewusst, und ein jeder entwickelt allmählich seinen eigenen moralischen Kompass bei der Sortierung seiner Alltagsprioritäten im Austausch mit dem Nächsten und der Gesellschaft. Das ist eine kleine Revolution im Innehalten, die durch nichts so hätte intensiv ausgelöst werden können. Der Mensch wird Mensch durch das „Du“.
Claudia Lübcke-Tholl, Mülheim
Meine Erkenntnisse während der Krise: Die Menschen wurden nicht besser. Lediglich stellen sich Wesensmerkmale wie Egomanie/ Großmut in jeweils höherer Ausprägung dar. Es gibt ein (gutes) Leben ohne Shopping. Haareschneiden ist kein Hexenwerk. Entschleunigung ist gesund. Pflegefachkräfte sind One-Hit-Wonder des Aprils 2020.
Anja Sakowski
Die nachhaltigste Wirkung für mich ist die Erfahrung, wie bedingungslos und unreflektiert der größte Teil der Bevölkerung den Lockdown hingenommen hat. Es verunsichert mich sehr, wie schnell sich eine Gesellschaft in Panik, Angst und Schrecken versetzen lässt und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen nur von Wenigen gestellt wird (Verschwörungstheoretiker ausgenommen). Für mich (72) heißt das u.a. für die Zukunft, dass ich z.B. unter solchen Umständen niemals pflegebedürftig in einem Heim untergebracht und den sogenannten Schutzmaßnahmen für ältere Menschen hilflos ausgeliefert sein will. Mit diesen Menschen habe ich das allergrößte Mitleid.
Irene Arndt, Essen
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Wie sagte einst ein Börsenkommentator im ARD-Fernsehen: „Die Welt ist rund, die Welt ist rund, es wird schon gehen, auf Wiedersehen!“ Auch in Zeiten von Corona werden wir in den nächsten Jahren wieder zur „Normalität“ zurückkehren, dies gilt auch für meine Frau und für mich, die zur vielfach zitierten „Risikogruppe“ gehören. Unser Leben wird sich nicht wesentlich ändern, wir werden kein Toilettenpapier, keine Nudeln oder sonstige Lebensmittel lagern, uns nicht mit Desinfektionsmittel und Schutzkleidung bevorraten und ob wir weiterhin moderne Medien, oder wie sagt man heute „Social-Media“ nutzen, bleibt abzuwarten. Welche Lehren ziehen wir aus der „Corona-Krise“: Hinterher ist man immer schlauer“.
Wolfgang und Christine Schirsching, Essen
Rein beruflich muss ich sagen, dass die Corona-Zeit uns Hebammen gut in die Karten spielt. Ständig mussten wir predigen, dass gerade die Zeit des Wochenbetts viel Ruhe bedarf; zuviel Besuch, frühe Baby-Shootings, unnötige Termine in diversen Verschönerungs-Salons usw. stören die Beziehungsaufnahme der jungen Familien. Ich stelle seither viel weniger Koliken und Unruhen bei den Säuglingen fest, ich erlebe wesentlich entspanntere Eltern, dementsprechend auch weniger Stillprobleme bei Mutter und Kind. Ich hoffe, dass diese positive Entwicklung in den Köpfen bleibt.
Kerstin Gersch, Herne
Mich hat irritiert, dass nicht nur Laien die neue Epidemie mit einer Grippe verwechselt haben, sondern dass auch Kollegen – graduierte Mediziner – sich zu wenig Wissen angeeignet haben, um die fundamentalen Un-terschiede zu lernen und zu verstehen. Und letztlich, dass keine Politik der Welt eine radikale Entschleunigung z.B. im Verkehr und im Konsumverhalten hätte steuern können, was aber faktisch über Nacht passiert ist. Gelernt habe ich, wie wenig man eigentlich braucht. Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in der eine rational denkende Kanzlerin ohne Schaum vor dem Mund die richtigen Entscheidungen zum Wohl der Menschen getroffen hat, wie schon 2015. Sie hat heute wie damals unzählige Menschenleben gerettet. Das ist es primär, was Ärzte schätzen. Von Empathie abgesehen.
Prof. Dr. A. Laczkovics, Bochum
Der kleine Waldspaziergang vor der Haustür, der schöne Frühling lenkte von den Sorgen ab. Dass man diese Momente in der Natur genießen durfte, machte dankbar und demütig, mehr denn je. Ich glaube, wenn wir die Denkweise „höher, größer, weiter, schneller“ einmal überdenken, könnte das ein neues Bewusstsein unseres Daseins schaffen. Die neu gewonnen Erkenntnisse könnten uns Hoffnung und Kraft geben, diese Krise so gut wie möglich zu überstehen.
Heike Kensbock, Oberhausen
Wenn wir was aus der Krise lernen können, dann ist es, dass es nicht darauf kommt, alles immer schneller, höher, und weiter zu machen. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles mit mehr Ruhe und Gelassenheit anzugehen bringt uns auch weiter.
Klaus Batkowski, Herne
Die Corona-Krise hat aufgezeigt, dass die Gesundheitsämter, Ordnungsämter unterbesetzt waren, telefonisch nicht erreichbar, in Gänze überfordert waren, Arbeitsämter, Jobcenter, Banken, Sparkassen geschlossen, „sogar komplett abgetaucht“ und wenn überhaupt erst nach 8 Wochen wieder geöffnet. Wir müssen diese Staatlichen-/Wirtschaftlichen-Schwachstellen zur Kenntnis nehmen und uns bewusst machen, „der Vater Staat“ kann nicht immer helfen!
Jürgen Ciemniak, Duisburg
Corona zerstört das Sozialleben der Menschen. Wir umarmen uns nicht mehr in der Familie. Ich fühle mich „stigmatisiert“, wenn Menschen auf Distanz gehen und mich als „Feind“ betrachten. Diese Gefühle sind unabhängig von der rationalen Überlegung, dass Distanz Infektion minimiert. Als gesellige „Hordentiere“ ist körperliche Nähe unser evolutionäres Erbe. Wir halten eine Armlänge Distanz zu uns unbekannten Menschen und fühlen uns bedrängt, wenn diese Distanz nicht eingehalten wird. 1-2 m Distanz signalisiert Achtung Feind.
Cordula Schardt, Essen
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Während der Krise ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig Nähe und lokale Strukturen sind, und dass diese unbedingt erhalten und ausgebaut werden sollten. Hilfe von jemandem anzunehmen oder anzufordern, den man persönlich kennt fällt leichter als eine Telefonhotline anzurufen. Der Drang zur Zentralisierung lässt gerade die Schwachen und Hilfsbedürftigen auf der Strecke bleiben. Menschen sind, trotz aller Behauptungen über die Verrohung der Gesellschaft, durchaus bereit anderen ohne Gegenleistung zu helfen, solange sich diese in ihrem direkten Umfeld befinden, sie Teil einer lokalen Struktur sind. Wir müssen es für die Zukunft schaffen diese lokalen Strukturen zu erhalten, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken.
Johannes Henze
Ich denke, viele Lehrkräfte können bestätigen, wieviel besser Unterricht in den (derzeit erzwungenen) Kleingruppen läuft: Man kann sich endlich wirklich um alle kümmern, kommt viel schneller durch den Stoff, generell ist die Atmosphäre besser. Unser Land und unsere Zukunft könnte so viel besser sein, wenn die Politik einfach mehr Lehrkräfte und somit kleinere Klassen ermöglichte: Weniger Abbrecher, bessere Abschlüsse, später weniger Menschen auf Sozialleistungen angewiesen, mehr Wohlstand, mehr Widerstandsfähigkeit gegen ideologische Rattenfänger auf sozialen Medien oder sonstwo. So gesehen wäre alles besser. Leider fehlen uns noch die visionären Politikerinnen und Politiker an den richtigen Stellen dafür.
Wolfgang Niehues, Recklinghausen
Für mein zukünftiges Leben heißt das in Sachen Corona vorrangig Abstand halten und regelmäßig richtig die Hände waschen und nach Vorgabe die Maske zu tragen. Und man sollte aus moralischer und medizin-ethischer Sicht den aktuellen Lockdown nicht zu schnell lockern, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, dass das Virus umso heftiger zurückkommen könnte. Corona kennt keine „Grenzen“ und betrifft arm und reich und jung und alt. Und jede noch so gut gemeinte Lockerung ist nach wie vor ein Ritt auf der „Rasierklinge“, solange es keinen Impfstoff oder entsprechende Tabletten gibt.
Volker Finken, Duisburg
U nsere wichtigsten Erkenntnisse: Entschleunigung im Alltag, Nachhaltigkeit stärker in den Vordergrund rücken und auf Konsum verzichten zu können. Schade, dass so viele Menschen auf die Verschwörungstheoretikern und Populisten reinfallen.
Dieter Schlimmer, Gelsenkirchen
Wir sind Rentner und haben uns seit der Krise sehr in den häuslichen Bereich zurückgezogen. Nach der Lockerung der Einschränkungen, z. B. beim Einkauf, auf der Straße und überall, wo man mit Menschen zusammenkommt, herrscht ein Egoismus, Rassismus (nicht nur Farbigen und Ausländern gegenüber, sondern umgekehrt auch uns älteren Leuten), Hass und wenn man nicht der Meinung des einzelnen ist, sofort eine Schimpftirade. Es wird gehetzt, gerast und geschimpft. Wir hoffen, dass die Menschheit sich der Werte besinnt und wieder ruhiger, besonnener umgeht.
Ehepaar aus Duisburg, Namen der Redaktion bekannt
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Corona hat ja die Kontakte zu Familie und Freunden extrem getroffen, und das geht uns allen nach. Die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen sehe ich mit einer gewissen Skepsis.: Was hat sich an der Wirkung des Virus geändert? Ich weiß jedoch die wirtschaftlichen Gründe wohl einzuordnen. Mein eigenes Einkommen ist als Rentner gesichert. Ich gehöre jedoch mit Vorerkrankungen zur sog. Risikogruppe und mit 81 Jahren zu dem Kreis derer, die „doch sowieso bald sterben werden“, wie es ja ein ‚feinsinniger‘ Politiker formuliert hat. Doch bis dahin möchte ich gerne noch den Puls des Lebens spüren und etwa an Sport und Kultur unbefangen teilhaben. Auch hat sich unser aller Bewusstsein geschärft, dass Kontakte zu Freunden und Familie wesentlicher Bestandteil unseres Lebens sind. Diese wünsche ich mir in Gänze zurück. Mein besonderer Wunsch an die nahe Zukunft ist jedoch, dass Kita- und Schulkinder ihre angestammten Lebensvollzüge wieder völlig unbehindert aufnehmen können, weil dort der Schlüssel für unser aller Zukunft liegt.
Karl Tißen, Oberhausen
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In der Krise hat man gesehen , wie viele Menschen durch Jobverlust oder Kurzarbeit am Rand eines finanziellen Zusammenbruchs stehen. Es hat mich wertschätzen lassen wie abgesichert man doch als Rentner ist und sogar Rentenerhöhungen einstreichen kann. Das Wort Sicherheit hat in den Corona-Zeiten für mich einen höheren Stellenwert bekommen. Höher, schneller, weiter ist nicht alles im Leben.
Norbert Falkenhain, Gelsenkirchen
Die Corona-Epidemie zeigt deutlich: Und fällt uns noch die beste Technologie und Medizin ein, der Mensch wird nie Herrscher über die Natur sein.
Heinz Rittermeier, Bochum
Ich bin freiberuflich und habe einen Kinderchor und eine Ballettschule. Corona hat mir meine so phantastische Arbeit zunächst einmal lahmgelegt. Keine Kinder zum Unterricht, keine Chorproben, keine Unterrichtsgelder. Ich mache diese freiberufliche künstlerische Tätigkeit neben meiner ehemals hauptberuflichen Tätigkeit als Sekretärin bei der RAG seit 56 Jahren, habe also Generationen von Kindern unterrichtet, nichts konnte mich aufhalten. Und nun? Per Videochat auf Whats App Plie’s, Port de bras, Liedertexte und doch trotz allem diese Einsamkeit, da ich ja, wie man an Hand der Jahre sehen kann, zur Problem-Gruppe gehöre. Corona hat mich einsam gemacht.
Beatrix Zschech, Herne
Die Auswirkung der Krise ist für mich schlimmer als der 2. Weltkrieg. Damals war ich noch jung und dachte: „Irgendwann wird es vorbei sein!“ Das ist jetzt anders. Mich deprimiert, wenn ich täglich in der Tagespresse und im Fernsehen von den vielen Corona-Infizierten und Toten auf der Welt erfahre. Ich hoffe, das man dieser tückischen Krankheit bald etwas entgegenzusetzen hat.
Ursula Hickmann, Essen
Ich bin Unternehmer und von der Krise kaum betroffen. Ich sehe aber wie um mich herum alles aufgrund der Beschränkungen zerfällt. Diese Übergriffigkeit des Staates macht mich sprachlos und muss auf reine Empfehlungen beschränkt werden. Registrierung im Restaurant oder im Schwimmbad? Einfach nur verrückt und nutzlos. Bei der Inkubationszeit interessiert es mich nicht ob vor 7 Tagen möglicherweise jemand bereits erkrankt drei Tische neben mir gesessen hat. Meine jahrzehntelange liberal demokratische Haltung ist verändert, ich werde nun die Parteien wählen die den Eingriff des Staates in meine Grundrechte zukünftig ausschließen wollen. Dazu die sehr einseitige Berichterstattung der Medien - ich kann es nicht mehr hören. Gesundheitsvorsorge ist meine Sache und nicht die des Staates.
Eberhard Mücke, Bochum
Jetzt sind wir alle, die im Bereich Messen und Ausstellungen arbeiten, im Wartemodus und ich muss das bisschen Ersparte, was eigentlich fürs Alter gedacht war, aufbrauchen. Ich selbst bin jetzt 62, topfit und gegenüber diesem Virus vollkommen angstfrei. Durch meinen 36 Jährigen Kontakt mit Publikum habe ich schon Infektionen gehabt jenseits von Gut und Böse, und das einzige was mich jemals außer Gefecht gesetzt hat war eine schwere Fischvergiftung in Hamburg. In dem Jahr als Diana verstarb,da habe ich gedacht jetzt bist Du auch dran.
Uwe Lehmann, Essen
Ich hatte Glück, privat war es nicht wirklich schlimm. Natürlich habe ich meine Freunde vermisst, spontane Zusammenkünfte, Laufveranstaltungen, Hundeschule und die ungezwungene Treffen mit meinen Enkelkindern, aber ich hatte mit Mann und Hund nette Gesellschaft, einen großen Balkon, eine große Wohnung, sogar mit Schwimmbad und Sauna im Haus. Das alles habe ich in den letzten Wochen nochmal ganz anders schätzen gelernt. Mein Arbeitsleben hat sich grundlegend verändert. Als Lehrerin hatte ich unendlich viel zu tun, habe aber gleichzeitig meine Kollegen und meine Schüler vermisst- online ist eben nicht real. In der Schule fehlt mir das Leben, den Schülern wirklich zum Abschluss gratulieren, Gruppenarbeiten, lebendiger Unterricht, das Lächeln auf dem Flur, die Enge im Lehrerzimmer. Der Smalltalk mit den Kollegen, sogar die sonst nicht so beliebten Konferenzen. Was ich jetzt in den letzten Wochen richtig schlimm finde, ist ,dass die Arbeit von Lehrern leider gar nicht mehr gesehen wird und dass obwohl es für mich und viele meiner Kollegen Arbeit bis an die Belastungsgrenze gab, wenig Anerkennung in der Gesellschaft gab. Trotzdem mir geht es gut und ich bin dafür dankbar und auch dankbarer als noch vor ein paar Wochen.
Inga Böge-Krol , Bochum