Bochum. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland sieht Rassismusforscher Karim Fereidooni in Polizei, Schulen und Behörden alltäglichen Rassismus.
Die Bilder der Gewalt in den USA haben auch hierzulande die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Tausende Menschen demonstrieren in den Straßen großer US-Städte gegen Polizeigewalt und Rassismus, der Staat reagiert mit Härte. Sind solche Szenen auch hier möglich, hat auch Deutschland ein Rassismusproblem? „Selbstverständlich“, entgegnet Rassismusforscher Karim Fereidooni. „Wir müssen uns damit auseinandersetzen“, sagt der Juniorprofessor für Didaktik, zuständig für die Ausbildung künftiger Politik-Lehrkräfte an der Ruhr-Uni Bochum.
Die Bilder der Gewalt in den USA sind für unsere Wahrnehmung verstörend. Ist Rassismus vor allem ein amerikanisches Problem?
Karim Fereidooni: Nein, Rassismus ist ein globales Phänomen. Davon sind alle Staaten betroffen. Es gibt auch in Deutschland eine Kontinuität des Rassismus seit der Kolonialisierung Afrikas. Das spiegelt sich in sämtlichen Institutionen wider, in Schulen, Universitäten, der Verwaltung und in der Polizei. Formal haben alle Menschen in Deutschland gleiche Rechte. Dennoch gibt es einen strukturellen Alltagsrassismus, damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Was meinen Sie mit Alltags-Rassismus?
In Schulen ist es von Bedeutung, welchen Namen man trägt, zum Beispiel bei der Notengebung.
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Es gibt Studien, bei denen Grundschullehrern Klassenarbeiten zur Korrektur vorgelegt wurden, die Inhalte waren identisch, nur die Namen waren unterschiedlich. Es zeigte sich, dass Maximilian bessere Noten erhielt als Murat – Kinder mit ausländischen Namen bekamen bei gleicher Leistung durchweg schlechtere Noten. Andere Studien zeigten ähnliche Effekte bei Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz, bei der Wohnungssuche. Alltags-Rassismus zeigt sich auch beim Disko-Einlass oder bei Polizeikontrollen. Der alltägliche Rassismus strukturiert unser Zusammenleben.
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Auch in der Polizei sehen Sie Rassismus?
Den Vorwurf würde jeder Beamte von sich weisen. Doch wir wissen, dass Rassismus eine Rolle spielt. Wer wird kontrolliert? Wer wird geduzt? Wer wird verdächtigt? Wessen Zeugenaussage wird geglaubt? Dies von sich zu weisen, hilft nicht weiter. Wir müssen darüber reden, um etwas zu ändern.
Ist dies mit der Polizei in den USA vergleichbar?
Ein wesentlicher Unterschied ist die Ausbildung der Beamten. In den USA dauert die Polizeiausbildung durchschnittlich drei Monate, hier ist es ein dreijähriges Studium. Auch die Herangehensweise unterscheidet sich. In Deutschland werden die Beamten in der Deeskalation von Situationen geschult. In den USA muss ein Cop damit rechnen, dass jeder Bürger bewaffnet ist. Das erzeugt eine ganz andere Dynamik.
Was müsste sich bei der deutschen Polizei ändern?
Statt interkultureller Kompetenz-Seminare müsste Rassismus-Kritik in der Ausbildung verankert werden. Zudem müssten mehr Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei arbeiten, um zu helfen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Das gilt übrigens ebenso für Schulen, Gerichte und andere Institutionen. Mehr Migranten und People of Color könnten einen Wandel befördern. Zudem sollte das Land eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten, wenn Bürger gegen Polizeigewalt klagen wollen. Denn es gibt eine Cop-Culture, eine Art Korps-Geist in der Polizei.
Ist das Rassismus-Problem in Deutschland größer geworden?
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Deutschland war noch nie so rassistisch wie jetzt, doch zugleich war es auch noch nie so rassismus-kritisch. Mit dem Einzug der AfD in die Parlamente hat sich die Grenze des Sagbaren verschoben. Nach dem Brandanschlag in Solingen mit fünf Todesopfern im Jahr 1993 lehnte Bundeskanzler Helmut Kohl eine Reise nach Solingen mit den Worten ab, er betreibe keinen Beileids-Tourismus. Das würde heute nicht mehr passieren. Deutschland hat sich gewandelt.
Sind Zustände wie in den USA hierzulande denkbar?
Auch in Deutschland sind bereits Menschen in Polizeihaft gestorben. Beispielsweise Oury Jalloh in Dessau oder Ahmed A. in Kleve. Zudem haben sich Ermittlungsbehörden im Zuge des NSU-Komplexes rassistisch verhalten. Es geht mir nicht darum, alle Polizisten pauschal schlecht zu machen, sondern darum, über Rassismus in allen Institutionen zu sprechen, damit die Polizei ihrer Aufgabe besser gerecht wird. Die deutsche Polizei muss eine Polizei für alle Bürger werden.
>>>> Zur Person:
Karim Fereidooni, geboren 1983, ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Uni Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rassismuskritik, Schulforschung, Politische Bildung und Migration. Er machte sein Abitur 2003 an der Gesamtschule Wulfen und arbeitete mehrere Jahre als Lehrer in Dorsten. Seine Dissertation zum Thema „Diskriminiserungs- und Rassismuserfahrungen von Referendar*innen und Lehrer*innen mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen“ an der Uni Heidelberg erhielt die Bewertung summa cum laude. Seit 2016 lehrt er in Bochum.