Dortmund. Alice Hasters (30) hat ein Buch über Alltags-Rassismus geschrieben. Auch, weil sie die Frage nach ihrer Herkunft nicht mehr hören kann.

Wie sie sie verabscheut, diese Frage: „Und wo kommst du her?“ Ihre Antwort füllt eine ganze Buchseite, sie handelt von Kolonialismus und Sklaverei, von Afrika und Amerika, und eigentlich enthält sie lauter neue Fragen. Aber meist sagt Alice Hasters nur das: „Meine Mutter kommt aus Philadelphia, mein Vater aus Düsseldorf, ich komme aus Köln.“

Was noch nicht erklärt, was die Menschen tatsächlich wissen wollen, wenn sie fragen nach der Herkunft, nämlich: „Wieso bist du schwarz?“ Alice Hasters jedenfalls ist überzeugt, dass sie das meinen; nur sagen die Leute nicht „schwarz“, sondern „dunkelhäutig“ oder „farbig“, denn so dunkel ist die 30-Jährige nun auch wieder nicht. Womit wir schon mitten drin stecken in der Problematik, über die Alice Hasters ein Buch geschrieben hat: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“.

Kann ein Wachsmalstift rassistisch sein?

Die Journalistin findet die Herkunftsfrage rassistisch, sie lehnt auch die Farben ab, die die Menschen ihr zuschreiben. Sie selbst nennt sich schwarz, im Buch schreibt sie das Wort grundsätzlich groß. Braun wie Milchkaffee, das würde es wohl treffen, aber Hasters schreibt, sie mit einem Getränk zu vergleichen, mache sie zum Objekt. „Farbig“ mag sie nicht, nicht weil das auch lila bedeuten könnte, sondern weil ihr die Abgrenzung zu Weißen nicht gefällt: „Sind die dann farblos?“ Früher, im Kindergarten, hat die kleine Alice selbst „mittelbraun“ gesagt, weil so der Wachsmalstift hieß, mit dem sie sich selbst malte. „Hautfarbe“ sieht schließlich rosa aus und sie selbst eben nicht.

Ja, kann denn ein Stift rassistisch sein?

Will nicht „milchkaffeebraun“ genannt werden: Alice Hasters bezeichnet sich selbst als schwarz.
Will nicht „milchkaffeebraun“ genannt werden: Alice Hasters bezeichnet sich selbst als schwarz. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

„Es reicht nicht aus, sich über Rassismus zu wundern“, schreibt Hasters, es sei „wichtig, dass wir verstehen, wie man rassistisch sein kann“. Das beginnt für sie im ganz Kleinen, dort, wo es keiner böse meint, und es muss gar nicht ganz groß werden: Rassismus, das ist eine wesentliche Botschaft im Buch, gibt es nicht nur bei Rechtsextremen, „ich muss nicht vor Nazis weglaufen“. Rassismus beginne viel früher, man dürfe ihn „nicht erst bekämpfen, wenn er in radikaler Form auftritt“. Wogegen diese Frau streitet, ist die Ignoranz.

Erst die Herkunft, dann der Name

Die im Buchtitel auch schon steht – aber nun wollen so viele Menschen in Deutschland die Autorin kennenlernen, dass sie gar nicht mehr dazu kommt, Rundfunk zu machen. Sie ist ihre eigene Sprecherin geworden; in Dortmund kommen an einem Freitagabend 550 Leute in ein Kulturzentrum. Und die da Stühle schleppen, sind zum Großteil weiß.

Alice Hasters – der Nachname spricht sich deutsch aus, weil er vom Vater stammt – ist eine attraktive Frau, aber das sagt sich viel zu leicht. Zu viele hat sie erlebt, die das sagten und ihr in die Lockenmähne griffen, „bevor sie überhaupt meinen Namen wussten“. Und diesen typischen Frauen-Satz glaubt sie nicht mehr: „Deine Haare hätte ich auch gern“, denn dann müssten all’ diese Frauen doch auch in ihrem Leben aufwachen jeden Tag, mit all den Anfeindungen und Diskriminierungen… „Und das wollen die bestimmt nicht.“

Kein Interesse an der Person, sondern Bestätigung von Vorurteilen

Alice Hasters diskutierte in Dortmund zunächst mit Schülern und abends auf einem Podium im Dietrich-Keuning-Haus über Rassismus.
Alice Hasters diskutierte in Dortmund zunächst mit Schülern und abends auf einem Podium im Dietrich-Keuning-Haus über Rassismus. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Wollen nicht leben mit dem Gefühl, nicht dazuzugehören, weil man nicht der Norm entspricht. Mit Menschen, die sich im Bus woanders hinsetzen, die ihre Handtasche festhalten, die sie für das Personal halten. Die ihr Dinge nicht zutrauen, aber schon, dass sie alles wissen müsse über Afrika oder Amerika. Oder tanzen, rappen, sowieso toll singen können. Und die immerzu Fragen stellen: „Kannst du auch Sonnenbrand bekommen?“, „Wieso sprichst du so gut Deutsch?“ und: „Wo sind deine Wurzeln?“ Eine Frage, die für Hasters nicht nach Interesse an ihr klingt, sondern nach „der Bestätigung bestimmter Vorurteile“.

Das alles fühlt sich für sie an wie kleine Mückenstiche, „im Einzelnen auszuhalten, doch in schierer Summe wird der Schmerz unerträglich“. Alice Hasters beschreibt ihn als „unangenehmes Gefühl, das sich in der Magengegend ausbreitet, sich auf die Brust legt und in den Kopf schießt“. Überhaupt, die Gefühle: Auch mit der Liebe tut sich die Autorin schwer. Sehr persönlich schreibt sie auf, dass sie nicht „der Typ“ von jemandem sein will. Nicht, dass ein Mann stolz ist, eine schwarze Freundin zu haben. Dass er sich fühlt, als sei er er deshalb „einer von den Guten“. Früher hat sie das alles nicht so empfunden, sich angepasst, doch irgendwann die „Leichtigkeit“ verloren – die, um die sie die Weißen so beneidet. Es muss spätestens bei der Bundestagswahl 2017 passiert sein, als „politische Stimmung und Gesellschaftsbild rechter“ wurden, sagt sie, und der Rassismus vom rechten Rand in die Mitte kam.

Hasters hasst nicht, aber sie ist wütend

Es trifft die 30-Jährige nicht jedes Mal, „dann hätte ich oft einen schlechten Tag“, aber sie denkt anders darüber nach. Im Buch belegt sie den neuen alten Rassismus mit literarischen Zitaten, mit wissenschaftlichen und historischen. Sie erklärt, woher Rassismus kommt und was er „kann“: „Er hat die Fähigkeit, Menschen zu unterdrücken.“ Weiße, schreibt Hasters, haben die Menschen getrennt, und sie selbst sind immer oben. „Weiß ist ist Haupt-, Schwarz ist Nebenrolle.“

Ob sie die Weißen dafür hasst, haben Schüler die Autorin in Dortmund gefragt. Aber Alice Hasters hasst nicht, das findet sie unproduktiv. Sie ist wütend. Auch, weil Menschen sich so angegriffen fühlten, wenn man sie rassistisch nennt. Wenn sie argumentieren, sie kennten das Gefühl auch: etwa, wenn sie in Afrika angefasst würden, weil sie weiß und blond sind. Aber Weiße würden berührt, hält Hasters dann dagegen, „als privilegierte Person, nicht als benachteiligte“.

Nun hat sie das alles nicht aufgeschrieben, um zu klagen. Sondern um sich zu wehren. „Ich will, dass sich was ändert.“ Man ahnt es schon, und dann sagt sie es auch: „Man kann nicht nicht rassistisch sein.“ Aber: „Wir müssen offener und klüger über Rassismus reden.“

>>INFO: „MIR GING ES NOCH SIE SO WIE DIR“ – EIN BUCHAUSZUG

Brief an einen imaginären Partner: „Fangen wir bei den Basics an. Du bist weiß. Was bedeutet das? Egal, ob du melancholisch, optimistisch, nachdenklich oder spontan bist, als weißer Mensch hast du eine gewisse Leichtigkeit. Du machst dir über bestimmte Dinge, um die ich mich sorge, einfach keine Gedanken. Du hast zum Beispiel keine Angst vor Wohnungsbesichtigungen oder davor, nach Russland zu reisen. Ich staune über das Selbstbewusstsein, mit dem du Bewerbungen schreibst. Oder dass du durch deutsche Kleinstädte laufen kannst, ohne dass deine Schultern dauerhaft hochgezogen sind. Mir ging es noch nie so wie dir.“

Auszug aus Alice Hasters: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Verlag Hanserblau, 208 Seiten, 17 Euro.

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