Gelsenkirchen. Clemens Tönnies, der für Schalke 04 nur das Beste will, hat seinem Klub und sich selbst geschadet. Aber er hängt an seinem Amt. Eine Analyse.
Wir saßen zum Interview in seinem Büro in der Firmenzentrale in Rheda-Wiedenbrück, es ist ein paar Jahre her. Zwei Reporter, ein Fotograf – und ein bestens aufgelegter Clemens Tönnies, der offen unsere Fragen zur Lage von Schalke 04 beantwortete. Plötzlich sprang er auf. Er bat kurz um Entschuldigung, trat vor die Tür und fing dort einen Mitarbeiter seines Großunternehmens ab, der mit einer Schüssel, es mag auch ein Eimer gewesen sein, über den Flur ging.
Zurück kam Clemens Tönnies mit einem Stapel Mettwürste. „Ganz frisch“, schwärmte er, legte jedem von uns ein paar davon auf den Tisch und gönnte sich einen ersten beherzten Biss. „Ein plumper Bestechungsversuch, Herr Tönnies“, scherzte der Besuch von der Zeitung – alle lachten und aßen. Fortan antwortete Clemens Tönnies, der ohnehin gerne Klartext redet, noch entspannter, noch pointierter.
Keine große Entscheidung auf Schalke wird ohne Tönnies gefällt
So ist er. Den Milliardär machen, sagen wir mal, hunderttausend Euro nicht mehr glücklich. Eine gute Fleischware schafft das schon eher. Und Schalke erst recht. Clemens Tönnies, 63 Jahre alt, Miteigentümer von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb mit weltweit 16.000 Mitarbeitern, geht darin auf, der Patron von Schalke zu sein. Keine große Entscheidung in diesem Klub wird ohne ihn, den Entscheidungsfreudigen, gefällt. Der bemerkenswerte Deal mit Hauptsponsor Gazprom wäre ohne die internationalen Kontakte des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht denkbar gewesen, er verheimlicht auch nicht, dass er Putins Handynummer hat. Wenn CT, wie ihn viele Schalker nennen, bei Heimspielen geladene Gäste in seine Arena-Loge bittet, genießt er offen seine Rolle: Als er dort den Weltstar Raúl, den besten Fußballer, der je für Schalke spielte, im April 2018 zum Revierderby gegen Borussia Dortmund empfing, war Tönnies ganztägig anzusehen, was ihm dieser Besuch bedeutete.
Daher ist es geradezu logisch, dass Clemens Tönnies dem Wirbelsturm der vergangenen Tage trotzte und sich diese eine rhetorische Frage stellte: Das alles soll ich aufgeben wegen eines dämlichen Spruchs?
Beim Tag des Handwerks in Paderborn war er als Gastredner mit der Bemerkung entgleist, man sollte mehr Kraftwerke für Afrika finanzieren, denn: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“
Die Folgen des Fehltritts unterschätzt
Es war die Art der Rede, die den Aufschrei provozierte, dieses Kolonialherrengehabe, fernab jeden Feingefühls. Clemens Tönnies ist ein Freund deftiger Worte, das Magazin „11 Freunde“ nannte ihn mal den „Großschlachter mit der Kodderschnauze“, was er schwer hätte widerlegen können. Diesmal aber war es unstrittig, dass er sich zu solchem Stammtisch-Geschwafel nicht hätte hinreißen lassen dürfen.
Was auch verwundert: Dass er, ein erfahrener Tänzer auf dem öffentlichen Parkett, die Folgen eines derart schlimmen Fehltritts unterschätzt hat. Der Vorwurf, den sich Clemens Tönnies seitdem gefallen lassen muss, ist massiv. Seine Aussagen wurden von einer breiten Öffentlichkeit als diskriminierend und rassistisch bewertet. Auch viele Schalke-Fans gingen auf Distanz und zeigten eine unmissverständliche Haltung. „Den Rassismus können wir ihm nicht durchgehen lassen“, schrieb die „Schalker Fan-Initiative“ bei Twitter. „Jemand, der unseren Verein repräsentiert, darf solche Gedanken nicht mal in sich tragen. Der Verein muss jetzt ein Zeichen setzen und Konsequenzen ziehen!“
Dass das Medien-Echo nahezu einhellig ausfiel, dass viele Kommentatoren den Rücktritt des Aufsichtsratschefs forderten, ist dabei weniger bedeutend als die Tatsache, dass die ehemaligen Schalker Spieler Gerald Asamoah und Hans Sarpei, beide ghanaischer Herkunft, erklärten, wie sehr sie sich verletzt fühlten. Sie sind Betroffene. Wenn sie sich beleidigt sehen, lässt sich die Aussage nicht mehr herunterspielen.
Einigung mit dem Ehrenrat
Die erklärende Entschuldigung von Clemens Tönnies reichte vielen Kritikern nicht. Tönnies hält gewöhnlich einiges aus, er rühmt sich damit, vor Schwierigkeiten nicht davonzulaufen. Doch anscheinend fällt es ihm schwer zu begreifen, dass sich die Welt durch die sozialen Medien massiv verändert hat. Heutzutage wird bei Twitter und Facebook täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben und zur Schlachtbank geführt – es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Fleischfabrikant diese Dynamik unterschätzt hat.
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Zum Rücktritt war er nicht bereit, er hängt an seinem Amt. Der juristisch kompetente fünfköpfige Ehrenrat des Vereins einigte sich mit ihm auf eine kurze Auszeit: Für drei Monate lässt Clemens Tönnies nun sein Amt ruhen. Tönnies hofft natürlich darauf, dass im schnelllebigen Fußballgeschäft neue Themen den aktuellen Skandal verdrängen werden. Doch da könnte er sich schwer täuschen. Viele Mitglieder und Fans haben eine hohe Sensibilität für das Leitbild ihres Vereins entwickelt, darin heißt es: „Von uns Schalkern geht keine Diskriminierung oder Gewalt aus. Wir zeigen Rassismus die Rote Karte und setzen uns aktiv für Toleranz und Fairness ein.“ Die Bewahrer dieser Vereinskultur werden nicht schnell dazu bereit sein, wieder zur Tagesordnung überzugehen.
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Durch die Entscheidung des Ehrenrates ist aus der Causa Tönnies längst eine Causa Schalke geworden. Denn nun wirken alle Anti-Rassismus-Kampagnen des Vereins unglaubwürdig. Und eine vereinsinterne Ethik-Kommission, die mit dem Aufsichtsratschef das Strafmaß aushandelt, macht sich überflüssig.
Der schwere Weg zurück zur Normalität
Bei allem aber bleibt dringend festzuhalten: Es gibt keine Liste von Ausfällen, die es rechtfertigen könnte, Clemens Tönnies einen Rassisten zu nennen. Trotz seines Vergehens ist eine klare Grenze zu ziehen zu tatsächlich täglich Hassschürenden.
Clemens Tönnies, das lässt sich nicht abstreiten, hat dem Klub geschadet, für den er immer nur Bestes will. Sein Ehrgeiz und sein Selbstverständnis werden ihn zur Wiedergutmachung antreiben. Doch was auch immer ihm jetzt noch einfallen mag, um zu erreichen, dass man ihm verzeiht: Es wird aussehen wie der Versuch, im überfluteten Keller mit einem Teelöffel gegen das steigende Wasser anzukämpfen.