Essen/Heinsberg/Dortmund. . Mediziner hoffen auf eine alte Therapieform mit Blutplasma. Gesundete Corona-Infizierte als Spender gesucht. Uniklinik Essen startet Heilversuch.
Mediziner hoffen jetzt auf eine über 100 Jahre alte Therapieform, um das Coronavirus zu bekämpfen. An der Uniklinik Essen ist ein Heilversuch gestartet, der schwerstkranke Covid-19-Patienten retten soll. Als Mittel dient Blutplasma von gesundeten Corona-Infizierten. Sie werden nun als Spender gesucht (Eine Adress-Übersicht findet sich am Ende des Berichtes).
Über 1200 Infizierte sind bis dato in NRW an den Folgen der durch das Coronavirus ausgelösten schweren Atemwegserkrankung Covid-19 gestorben. Nach wie vor gibt es weltweit kein Medikament und keine Impfung gegen das Virus. Umso größer ist die Hoffnung, über Blutplasma eine Therapie zu finden.
Corona: Uniklinik Essen startet Heilversuch an sechs Schwerstkranken
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Es geht um "Rekonvaleszentenplasma", wie es etwa schon bei den Epidemien von Sars1, Mers oder der Schweinegrippe das Leben Erkrankter gerettet hat. "Erste Fallberichte aus China machen Hoffnung, dass Blutplasma auch bei Covid-19 Patienten helfen kann", sagt Prof. Monika Lindemann, Laborärztin am Institut für Transfusionsmedizin am Uniklinikum Essen. Die Therapieform geht auf den Wissenschaftler Emil von Behring zurück, der 1892 ein Serum entwickelte, die Diphterie zu heilen; wie Covid-19 eine Atemwegserkrankung. Dafür erhielt er später den ersten Medizin-Nobelpreis, der je verliehen wurde.
Am Uniklinikum Essen sind seit wenigen Tagen sechs Schwerstkranke im Alter zwischen 26 und 66 Jahren in Behandlung, denen nun Blutplasma gesundeter Corona-Infizierter verabreicht wird, berichtet Lindemann. Der Gesundheitszustand der Patienten, die auf künstliche Beatmung angewiesen sind, sei so schlecht, dass es letztlich die Angehörigen gewesen seien, die für die Einwilligung zu der Therapie von der Klinik befragt werden mussten. Den Schwerstkranken würden innerhalb von mehreren Tagen zwei bis drei Plasma-Präparate verabreicht. Insgesamt 18 Plasma-Präparate seien bis dato von Spendern gesammelt und bis zum Einsatz eingefroren worden, erklärt Lindemann: "Noch ist es zu früh, den Erfolg zu beurteilen." Aber: "Wir brauchen weitere Spenden".
Biotech-Unternehmen will aus Blutplasma Corona-Medikament herstellen
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Nicht jeder gesundeter Corona-Infizierter ist als Spender geeignet", erklärt Tanja Engelen, Transfusionsmedizinerin des bundesweit tätigen Unternehmens Plasma Service, das Spenderzentren auch in Dortmund, Aachen und Köln hat. Nicht alle Infizierten hätten ausreichend Antikörper, um mit ihnen die Viren Erkrankter zu neutralisieren und abzutöten.
Auch Plasma Service sucht seit Jüngstem Ex-Corona-Kranke. Anders als in Essen, wo das Plasma in Form einer Bluttransfusion Schwerstkranken verabreicht wird, soll aus dem gesammelten Plasma der Spender ein Medikament gegen Covid-19 entwickelt werden, erläutert Engelen. Federführend sei dabei das Arzneimittelunternehmen Biotest AG aus Dreieich bei Frankfurt am Main.
Landrat vom Kreis Heinsberg ruft zu Plasma-Spenden auf
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Auch der Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch, hat jüngst auf seinem Videoblog einen Aufruf gestartet, um genesene Corona-Infizierte als Plasma-Spender zu werben. "Wir sollten nichts unversucht lassen", sagt Pusch, dessen Landkreis lange Zeit die meisten bestätigten Corona-Infizierten in NRW zählte, seitdem das Virus dort Ende Februar nach einer Karnevalssitzung im Ort Gangelt eine Infizierungswelle auslöste.
Auch beim Blutspendedienst West des Deutschen Roten Kreuzes hält man die Plasma-Therapie für "einen sehr interessanten Ansatz, Covid-19 zu bekämpfen", sagt Sprecher Stephan David Küpper. Blutplasma zu gewinnen sei aufwändiger als Blutspenden. Die Spende dauere etwa eine Dreiviertelstunde. "Man braucht spezielle Geräte, denn das Blut wird dem Körper entzogen. In einer Apherese-Maschine wird dann das Plasma getrennt und gereinigt. Das restliche Blut wird dem Spender danach wieder zugeführt", erklärt Küpper.
Uniklinik Essen begleitet Heilversuch mit Studie
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Der Blutspendedienst West, der nach eigenen Angaben drei Viertel des Blutbedarfs in Krankenhäusern in NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland beschafft, sei für Plasma-Spenden jedoch derzeit nicht ausgerüstet: "Neben den medizinischen Geräten braucht es auch speziell ausgebildetes Personal", sagt Küpper. Dennoch gebe es derzeit Überlegungen beim DRK, auf diesem Feld ebenfalls aktiv zu werden.
An der Uniklinik Essen wird der Heilversuch auch mit einer "Beobachtungsstudie" begleitet, sagt Prof. Monika Lindemann. "Wir sind im engen Kontakt und Austauasch mit anderen Universitätskliniken". Auch beim Plasma-Sammeln: Präparate in Essen seien auch von Spendern in Düsseldorf, Aachen und Bad Oeynhausen gekommen.
Frisch gestochene Tattoos sind ein Ausschluss-Kriterium für Spender
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Für Blutplasma-Spender gelten bei Covid-19 im Grundsatz die gleichen Auswahlkriterien wie bei eine Blutspende. Man muss unter anderem körperlich gesund sein, mindestens 50 Kilo auf die Waage bringen, einen stabilen Blutdruck haben und darf bestimmte Medikamente nicht einnehmen. Auch frisch gestochene Tatoos sind ein Ausschluss-Kriterium.
In Sachen Coronavirus ist einer Plasma-Spende zudem eine spezielle Untersuchung vorgeschaltet, heißt es sowohl am Uniklinikum Essen als auch bei Plasma Service. Dabei werde die Menge an Antikörper des Spenders untersucht; in Essen werde am angeschlossenen Institut für Virologie zudem getestet, ob die Antikörper im Plasma des Spenders auch gut genug funktionieren, um Viren eines Patienten zu bekämpfen, erläutert Lindemann.
Uniklinik Essen freut sich über "tolle Bereitschaft zu helfen"
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Das Interesse von Spendern sei in Essen sehr groß, Lindemann freut sich über eine "tolle Bereitschaft zu helfen": 200 gesundete Corona-Infizierte hätten sich Ende März auf den Aufruf der Uniklinik auf deren Website hin gemeldet. Plasma Service meldete am 24. April seinen ersten Plasma-Spender - ein junger Mann aus Dortmund.
Die Zahl der potentiellen Plasma-Spender gegen Covid-19 erhöht sich unterdessen täglich. Inzwischen meldet das NRW-Gesundheitsministerium über 23.500 gesundete Corona-Infizierte. "Man sollte als Spender nicht zu lange warten", sagt Tanja Engelen; vier Wochen müssten nach dem bestätigtem Ausklingen der Infektion jedoch verstrichen sein.
Während Blutspenden bei Frauen und Männern nur höchstens vier bis sechs-Mal im Jahr empfohlen werden, heißt es beim DRK, kann man Blutplasma theoretisch jede Woche aufs Neue abgeben: "Bis zu 60-mal im Jahr ist eine Plasma-Spende möglich", sagt Transfusionsmedizinerin Tanja Engelen.
Potentielle Plasma-Spender, die Covid-19 überstanden haben, können sich unter diesen Adressen in NRW informieren: