Essen. Die großen Entdecker der Medizin: Wer waren Robert Koch, Paul Ehrlich oder Rudolf Virchow? Eine Geschichte von Versuch – und so manchem Irrtum.
Auch heute streiten die Gelehrten noch. Christian Drosten (48), Direktor des Instituts für Virologie der Berliner Charité und mit seinem Podcast „Das Coronavirus-Update“ ein Popstar-Professor, hat aus Deutschland ein Volk von 80 Millionen Virologen gemacht; mehr noch: einen neuen Traumberuf kreiert wie einstmals den Astronauten. Sars-CoV-2-„Gegenspieler“ ist der Bonner Hendrick Streeck (42) mit seiner umstrittenen Heinsberg-Studie. Viele vertrauen aber auch TV-Stammgast Alexander Kekulé (61). Und die jüngeren einer Chemikerin – und Youtuberin: Mai Thi Nguyen-Kim (32) alias „maiLab“.
Wir haben ihre Vorgänger und Wegbereiter porträtiert, die großen Entdecker in der Geschichte der Medizin – das Kabinett des Dr. Bakterius:
Weltrekordhalter in Geduld
Er ist nicht nur Mitbegründer der modernen Bakteriologie, sondern wohl auch Weltrekordhalter in Geduld: Robert Koch (1843-1910) gelang es erst im 271. (!) Versuch, das Tuberkulose-Bakterium zu entdecken. Was für ein grandioser Sturkopf! Zuvor hatte er nachgewiesen, dass Tuberkulose ansteckend ist – leider, indem er Meerschweinchen infizierte.
Das von ihm gepriesene Heilmittel Tuberkulin entpuppte sich als kraftloser Flop, später forschte er an Cholera-Erregern. Ihm verdanken Millionen Menschen ihr Leben, heute ist das bedeutendste Institut für Infektionskrankheiten nach ihm benannt – unser allabendliches Sandmännchen.
Vater der modernen Impfung
Ein Königreich für einen „Vater der modernen Impfung“! So wurde John Franklin Enders (1897-1985) genannt. Weil der US-amerikanische Bakteriologe, Virologe und Immunologe, Nobelpreisträger für Medizin, Ehrendoktor von 13 Universitäten und Stammgast in der Polio-Ruhmeshalle, mit seiner Entdeckung der Erreger von Kinderlähmung über 114 Millionen Menschenleben gerettet hat.
Dafür ersetzte er sogar lebende Versuchstiere durch Gewebekulturen – ein Meilenstein in der Virenforschung. Auch an der Entwicklung eines frühen Masernimpfstoffes war Enders beteiligt. Eigentlich wollte er Englischlehrer werden.
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Das Universalgenie
Arzt, Sozialpolitiker und Anthropologe – das nannte man auch im 19. Jahrhundert schon ehrfurchtsvoll Universalgenie: Rudolf Virchow (1821-1902) begründete als Mediziner die Zellularpathologie („Jede Zelle geht aus einer Zelle hervor“) und kümmerte sich als Politiker gleich um die öffentliche Gesundheitspflege mit.
Er prägte Begriffe wie Embolie, Thrombose und Leukämie. Sein größter Irrtum indes: Die Entdeckungen seines Studenten, eines gewissen Robert Koch, erkannte Virchow – selbst Papst genannt – nicht an und tat sie sogar ab als „Bazillenzirkus“. Später grub er mit Star-Archäologe Heinrich Schliemann Troja aus.
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Der von der Milchpackung
Sein Name steht auf jeder Milchpackung: „Pasteurisiert“ wird die Milch, also kurz erhitzt und dadurch vorm allzu schnellen Sauerwerden geschützt. Louis Pasteur (1822-1995) hatte zuvor auch Wein und Bier haltbar gemacht – doch das ist nicht das größte Verdienst des Franzosen. Denn der Mitbegründer der Mikrobiologie fand einen Impfstoff gegen die damals weit verbreitete Tollwut (Tetanus), indem er im Jahr 1885 abgeschwächte Tollwutviren in den Bauch des jungen Joseph Meister injizierte. Der war zuvor von einem tollwütigen Hund gebissen worden. Dank der Impfung gesundete er innerhalb von drei Wochen.
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Der schimmlige Zufallsfund
Was Alexander Fleming (1881 - 1955) wohl durch den Kopf ging, als der Bakteriologe nach der Rückkehr aus der Sommerfrische Schimmel in einer Petrischale entdeckte? Eigentlich hatte er eine Kultur von Krankheitserregern (Staphylokokken) angelegt, um diese zu studieren. Die Probe schien verdorben.
Dann schaute der Schotte noch einmal genau hin und erkannte, dass der Schimmelpilz die Bakterien getötet hatte. Durch diesen Zufall entdeckte Alexander Fleming 1928 Penicillin – das Antibiotikum revolutionierte die Medizin und brachte ihm 1945 den Nobelpreis.
Im Filmklassiker „Der Dritte Mann“ von 1949 mit Orson Welles ging es übrigens um schmutzige Geschäfte mit diesem sauberen Stoff.
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Ein kleiner Ritzer für den jungen James, ein großer Schritt für die Menschheit
Er hatte schlichtweg einen Stich: Edward Jenner (1749-1823) hat die Pockenschutzimpfung erfunden, steckte den Jungen James Phipps mit Kuhpocken an, um ihn vor Menschenpocken zu schützen. „Halt still, es ist nur ein kleiner Ritzer“, rügt der Brite in Berkeley den Achtjährigen – ein riskantes, aber geglücktes Experiment in der Blütezeit von Polio, Pest und eben Pocken. Als Kind hatte er selbst darunter gelitten, jetzt infizierte er sogar seinen eigenen Sohn, um die Abwehrkräfte wissenschaftlich anerkannt zu bekommen. Gottlos!, wetterte die Kirche, noch heute gibt es Impfgegner. Seit 1980 aber sind die Pocken besiegt.
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Er gab Kinderlähmung keine Chance
Impfstoff-Pionier Jonas Salk(1914-1995) nahm es mit mehreren Geißeln der Menschheit auf: Grippe (Influenza) und Kinderlähmung. Mit seinem Mentor Thomas Francis entwickelte er 1939/40 eine Impfung gegen Influenza, die bald in der Armee eingesetzt wurde. Größer sein Verdienst im Kampf gegen Polio-Viren: Mit seinem Impfstoff, 1955 zuerst an den drei Söhnen getestet, konnte die Verbreitung der Kinderlähmung eingedämmt werden. Sein Kollege Albert Sabin entwickelte parallel die angenehmere Schluckimpfung, weshalb Polio-Viren in den Industrienationen so gut wie ausgerottet sind.
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Der Vater der Desinfektion
Der Vater der Desinfektion, Ignaz Semmelweis(1818-1865), wurde als „Nestbeschmutzer“ geschmäht. Motivation: In Wien sah er, dass Mütter öfter an Kindbettfieber starben, wenn Ärzte statt Hebammen sie behandelten. Grund: Ärzte obduzierten täglich Leichen, untersuchten danach Schwangere und übertrugen Keime.
Die Lösung: Hand-Desinfektion mit Chlorkalk, die Todesrate fiel. Der Haken: Kaum ein Arzt glaubte ihm, erst nach Semmelweis’ Tod erkannte man die Bedeutung.
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Seinen Namen trägt das Bundesinstitut für Impfstoffe
Paul Ehrlich (links, 1854 - 1915) – seinen Namen trägt das Bundesinstitut für Impfstoffe, an dem das erste Mittel gegen das neue Coronavirus am Menschen getestet wird. Der Wissenschaftler, der eine Arznei gegen Syphilis erfand, arbeitete mit Emil von Behring (1854 - 1917), der an Tetanus forschte. 1892 entwickelten sie ein Serum, das die Sterblichkeit an Diphtherie stark reduzierte – eine Infektionskrankheit der Atemwege, die meist Kinder betraf. Behring erhielt 1901 den ersten Medizin-Nobelpreis, der je verliehen wurde. Ehrlich wurde sieben Jahre später geehrt. Beide waren Assistenten von Robert Koch.
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Ein Engel der Barmherzigkeit
Frauen in der Forschung – das war zu ihrer Zeit nicht üblich. Und doch hat die britische Krankenschwester Florence Nightingale (1820 - 1910) viel bewegt, als Pionierin der modernen Krankenpflege. Im Krimkrieg (1853 - 56) rettete sie Soldaten das Leben, die es nicht auf dem Schlachtfeld, sondern aufgrund von Seuchen verloren hätten. Nightingale sorgte dafür, dass die Menschen auf die Hygiene achteten. Sie selbst hatte unter anderem bei Diakonissen in Kaiserswerth gelernt. Ihre Erfahrungen schrieb sie nieder – so entstand das erste Lehrbuch für Krankenschwester.