Ruhrgebiet/Essen. Quarantäne soll vor der Verbreitung des Coronavirus schützen, doch sie wird im Revier unterschiedlich gehandhabt. Welche Regeln gelten?

„Es hat mich sehr irritiert, dass wir nicht zuhause bleiben müssen.“ Die Frau von Christian M. (Name geändert) steht unter Quarantäne, angeordnet vom Essener Gesundheitsamt, da sie mit einer infizierten Person Kontakt hatte. Doch ihr Mann und die zwei kleinen Kinder, erklärte ihnen das Gesundheitsamt auf Nachfrage, dürften ruhig weiter zur Arbeit oder in die Kita gehen. Aber was ist eine Quarantäne wert, wenn drei Personen ein- und ausgehen können? Hier die wichtigsten Fragen zur Corona-Quarantäne.

Macht eine freiwillige Quarantäne Sinn?

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Das Gesundheitsamt Essen hat, anders als in Heinsberg, überwiegend freiwillige Quarantänen empfohlen. 243 Personen wurde die „häusliche Absonderung“ nur nahegelegt. In 25 Fällen wurde sie angeordnet. „Aus virologischer Sinn macht es Sinn, weitere Infektketten zu unterbrechen“, ordnet Professor Ulf Dittmer die Regelung ein, der Leiter der Virologie am Uniklinikum Essen. „Eine freiwillige Quarantäne ist eher ein Kompromiss, da man in Deutschland nicht einfach jeden unter Quarantäne stellen kann. Man muss die Verhältnismäßigkeit berücksichtigen und orientiert sich darum am Risikoprofil der betreffenden Person.“

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Hatten Betroffene weniger als 15 Minuten Face-to-Face-Kontakt mit einer infizierten Person, fallen sie nach den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI) in die „Kategorie II“ mit geringem Risiko, was „Empfehlung“ bedeutet (Originaldokument). Natürlich entstehen durch eine „Anordnung“ höhere Kosten für die öffentliche Hand und höherer Kontrollaufwand für die Gesundheitsämter – auch dies, ist aus Fachkreisen zu hören, sei Teil der Abwägung.

Aber ist es noch eine Quarantäne, wenn drei Personen im Haushalt einer Verdachtsperson der Kategorie I. ein- und ausgehen können?

„Natürlich ist die theoretische Gefahr da, dass diese Person das Virus auf Angehörige überträgt“, sagt Dittmer. „Wie mit Kontakten zweiten Grades umgegangen wird, ist nicht durch das Infektionsschutzgesetz oder die Richtlinien des RKI geregelt. Empfehlen könnte das Gesundheitsamt schon die Quarantäne auch für Familienmitglieder.“

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Die Stadt Essen erklärt, dass auch in diesem Fall eine Risikoeinschätzung vorgenommen worden sei. Auch im gemeinsamen Haushalt müsse es nicht zur Ansteckung kommen, hätten viele Fälle gezeigt. Man müsse zudem die Inkubationszeit berücksichtigen. Sollte der Test der Frau eine Infektion anzeigen, würde der Fall sofort neu bewertet.

Machen Schulschließungen Sinn?

„Wir wissen, dass Kinder sehr wenig betroffen sind“, sagt Dittmer. „Auch im häuslichen Umfeld findet man nur sehr selten das Virus bei ihnen, das heißt, sie übertragen es auch weniger häufig. Man sollte sich mehr auf die Behandlung der Hauptleidtragenden fokussieren, auf die Alten. Fast alle Coronatoten in Italien sind über 70 Jahre alt gewesen.“

Wären nicht landes- oder bundesweite Regelungen für Schließungen und Veranstaltungen sinnvoll?

„Ja, eindeutig“, sagt Dittmer. „Dies jeder Kommune zu überlassen, ist bei einem bundesweiten Infektionsgeschehen überhaupt nicht sinnreich. Man braucht immer Leute vor Ort, um Fälle zu verfolgen und Infektionsketten nachzuvollziehen. Aber wenn man etwa an die Bundesliga denkt – das kann nicht nur ein Bundesland allein regeln.“ Formal kann tatsächlich nur das lokale Gesundheitsamt ein Bundesligaspiel verbieten, das Landes- oder Bundesministerium hat dieses Recht nicht. De facto, heißt es aus Fachkreisen, würden sich aber die Gesundheitsämter der Linie der höheren Ebene anschließen – wenn es denn eine gäbe.