Ruhrgebiet/Essen. Desinfektionsmittel sind begehrt – aber bringen gar nichts gegen Corona, erklärt eine Hygienikerin. Viel wichtiger ist die Zwei-Meter-Regel.
Hände desinfizieren bringt im Prinzip gar nichts gegen das Coronavirus. Ist aber auch nicht schlimm, erklärt Anne Eva Lauprecht, die Leiterin der Hygieneabteilung und Infektiologin an den KEM (Evangelische Kliniken Essen-Mitte). Denn Corona überlebt nur kurz an Händen und Türklinken – und auch die Klimaanlage braucht man nicht zu fürchten.
Helfen die nun überall heißbegehrten Haushalts-Desinfektionsmittel überhaupt gegen Viren?
Anne Eva Lauprecht: Es gibt sehr unterschiedliche Desinfektionsmittel, aber gerade die Aussage „Tötet 99,9 Prozent aller Bakterien“, sagt wenig darüber aus, wie virusabtötend ein Mittel ist. Viele der frei verkäuflichen Mittel sind kaum geeignet. Allerdings macht es im privaten Bereich auch praktisch keinen Unterschied, ob ich mir die Hände desinfiziere oder mit Seife Wasche. Grippe-Viren überleben zum Beispiel nur wenige Minuten auf einer Hand und auch nur kurz auf einer Fläche. Corona-Viren gehören zu den besonders empfindlichen Viren. Sie trocknen sehr schnell aus und sind dann nicht mehr ansteckend. Eine Studie mit Bochumer Beteiligung, die kürzlich dazu veröffentlicht wurde, wurde falsch gedeutet: Coronaviren sind zwar noch mehrere Tage auf Flächen wie Türknäufen nachzuweisen – aber sie sind eben schon nach kurzer Zeit nicht mehr infektiös.
Und welches frei erhältliche Mittel tötet zuverlässig Coronaviren?
Ich würde ein Mittel nehmen, das auch gegen Noroviren wirksam ist. Außerdem würde ich fragen, wie lange es dafür braucht, um diese Viren wirksam abzutöten. 30 Sekunden wären in Ordnung, ein oder zwei Minuten sind nicht praktikabel und im Alltag viel zu lang. Auch Essig ist viruswirksam, man müsste nur seine Hände 15 Minuten darin baden. Das Desinfektionsmittel müsste eingeordnet sein als „Begrenzt viruzid plus“. Das ist die mittlere Kategorie, nur „begrenzt viruzid“ genügt nicht, „viruzid“ alleine ist zu stark, es wird in der Hauptsache für Flächen eingesetzt. Aber wie gesagt: Desinfizieren ist gar nicht nötig, um sich vor Corona zu schützen.
Aber Händewaschen wird empfohlen?
Händewaschen ist zum eigenen Schutz immer gut, dabei geht es aber eher darum, andere Erreger fernzuhalten. Man will dadurch das Risiko einer Infektion zum Beispiel mit Durchfallerregern mindern. Einige Bakterien können lange Zeit auf der Hand überleben, aber Viren in der Mehrzahl nicht.
Aber trotzdem gibt es doch ein Risiko, wenn ich eine Türklinke benutze, die ein infizierter Kollege kurz zuvor angefasst hat. Oder einen Drucker, einen Rolltreppenlauf und Ähnliches?
Das ist ein theoretisches Risiko. Sie werden keine Studie finden, in der beim jetzigen Coronavirus eine Fläche als Übertragungsweg in Betracht gezogen wurde. Auch Schweiß und andere Körpersekrete sind nach derzeitigem Wissen nicht infektiös, es ist allein die Flüssigkeit aus dem Rachen oder der Lunge. Alle Infektionen sind mit direkter Tröpfcheninfektion verbunden.
Breiten sich Viren schon über den Atem aus, oder muss ein Infizierter erst sprechen, niesen oder husten?
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Ja, man muss den Mund schon öffnen. Beim Sprechen besteht ein geringeres Risiko als beim Niesen oder Husten. Beim Niesen fliegen Tröpfchen in der Regel 1,5 Meter weit, „mit Rückenwind“ auch mal 1,8 Meter. Zwei Meter sind ein ausreichender Sicherheitsabstand. Wir wissen das sehr genau, denn es handelt sich um einen seit Jahrhunderten bekannten Infektionsweg. Beim Sprechen kann man keine genaue Distanz angeben, die Menschen sprechen unterschiedlich feucht. Aber man sagt, wenn man die zwei Meter länger als 15 Minuten unterschreitet, besteht ein Risiko.
Und wie lange bleiben die Tröpfchen in der Luft?
Einen kurzen Moment nur. Sie fallen direkt nach unten. Man muss schon in der direkten Flugbahn sein. Das kann man sich rein mechanisch vorstellen, wie bei einer Gartensprühpistole.
Wie siehts im Flieger aus, verteilt die Klimaanlage tatsächlich die Viren, wie immer wieder behauptet wird?
Nein, die Klimaanlage ist kein Übertragungsweg für Viren. Aber wegen der dichten Besetzung gibt es ein Risiko sich per direkter Tröpfcheninfektion anzustecken, zwei Reihen hinter und vor einem, sagen Studien.
Müssten Notaufnahmen nicht auch baulich neu gedacht werden, um Infizierte nicht mit anderen Patienten in Kontakt kommen zu lassen?
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An den KEM (Evang. Kliniken Essen-Mitte) haben wir Wegeleitsysteme und Räume, um Patienten und Mitarbeitende zu schützen. Kinderärzte machen das häufig bei Luft-übertragenen Infektionen wie Windpocken so, dass sie zwei Eingänge und andere Sprechzeiten vorhalten. Spezielle Eingänge oder separate Ambulanzen für alle Patienten mit Symptomen wie Gliederschmerzen und Fieber sind aus meiner Sicht nur eine scheinbar sichere Lösung. Die einen haben Grippe, die anderen eine bakterielle Lungeninfektion und der nächste hat vielleicht das neue Corona-Virus. In der Versorgung steht der Schutz der Patienten und Mitarbeitenden immer an erster Stelle. Das muss in jeder Ambulanz und jeder Notaufnahme gesichert sein. Ich halte das Essener Modell für einen guten Weg. Bürger mit Grippesymptomen und möglicher Corona-Infektion melden sich telefonisch, dabei wird abgeklärt, ob überhaupt ein Risiko besteht. Eine Corona-Infektion ist ja immer noch ein extrem seltenes Ereignis, die Infektionsketten sind noch nachvollziehbar. Im Zweifel kommt auch die Feuerwehr vorbei und nimmt einen Abstrich.
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Was kann der Bürger noch tun, um sich zu schützen?
Die Menschen machen ja schon viel. Sie meiden vor allem viele große Ansammlungen und achten auf sich und andere. Und es findet gerade viel Gesundheitsaufklärung statt. Meine Prognose wäre, dass wir darum in diesem Jahr deutlich weniger Influenza-Infektionen haben werden. Das wäre ein sehr positiver Nebeneffekt, denn den Grippe-Virus sollten wir nicht unterschätzen bei all den Diskussionen um den Coronavirus.