Ruhrgebiet. Evakuierungsverweigerer verzögern Entschärfungen oft – wegen schlafender Babys oder aus Angst vor Plünderern. Aber Städte sind nicht machtlos.

Am Sonntag ist Dortmund eine Geisterstadt: An vier „Verdachtspunkten“ mitten in der City müssen womöglich Blindgänger aus dem Weltkrieg entschärft werden. Die beiden größten Kliniken der Stadt werden dafür evakuiert, Hotels und Altenheime. Züge und U-Bahn stoppen, selbst der Luftraum wird kurzzeitig gesperrt. 14.000 Anwohner sollen Wohnungen und Heime verlassen – und einige von ihnen werden sich weigern, das zu tun. Aus Trotz. Aber auch aus Angst vor Plünderern, die es bei der Entschärfung in Dortmund-Hombruch gab.

Renitente Evakuierungs-Verweigerer wird es also auch am Sonntag im Dortmunder Klinikviertel sicher geben – trotz aller Aufklärung im Vorfeld, trotz der 9100 Infozettel, die noch am Montag verteilt wurden, sei das „nicht ausgeschlossen“, so Maximilian Löchter, Pressereferent der Stadt.

Einige Städte gehen inzwischen massiv gegen „Evakuierungsverweigerer“ vor. Köln etwa. Die Behörden dort klagten erst jüngst wieder über die „zunehmende Renitenz“ von Anwohnern: Im vergangenen Jahr habe es bei zehn der insgesamt 20 Bomben-Evakuierungen Schwierigkeiten mit beharrlichen, oft aggressiven „Stubenhockern“ gegeben. Anfang September soll ein Polizist beim „Klingelrundgang“ vor der Entschärfung gar tätlich angegriffen worden sein.

„Es kommt regelmäßig zu Verzögerungen wegen Verweigerern“

Auch Sebastian Hiedels, Sprecher der Stadt Duisburg , räumt ein, dass es bei Bombenentschärfungen „regelmäßig zu zeitlichen Verzögerungen“ käme, weil sich Anwohner weigerten, das Gebiet zu verlassen. Gelegentlich locke die Entschärfung sogar Neugierige erst an. Ältere begründeten ihren Widerstand gern „mit Verweis auf Erlebnisse aus dem zweiten Weltkrieg“. Oft bekäme man zu hören: „Es ist ja noch nie etwas passiert!“ oder „Die Bombe liegt ja schon seit Jahrzehnten dort und ist nicht explodiert“, ergänzt Löchter in Dortmund. Aber selbst mit einem schlafenden Baby sollen sie dem Ordnungsamt schon gekommen sein.

Landesweit einheitliche Regeln für den Umgang mit Verweigerern gibt es nicht. „Die Ordnungsbehörden können die Räumung des Gefahrenbereichs erzwingen“, erläutert eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. Ob und in welcher Höhe Ordnungsgelder verhängt werden, entscheide aber jede Kommune für sich.

Duisburg will künftig härter durchgreifen und Bußgelder verhängen

Schon im Vorfeld der Bomben-Evakuierung bemühen sich die Städte um Aufklärung. Meist können sie die Anwohner überzeugen, für kurze Zeit ihre Wohnungen zu verlassen.
Schon im Vorfeld der Bomben-Evakuierung bemühen sich die Städte um Aufklärung. Meist können sie die Anwohner überzeugen, für kurze Zeit ihre Wohnungen zu verlassen. © dpa | Axel Heimken

Mit Platzverweisen reagierte die Stadt Duisburg bislang auf Verweigerer. Notfalls mit einer „Gewahrsamnahme“, so Hiedels. Künftig allerdings will sie härtere Maßnahmen ergreifen: Die „Missachtung des Aufenthaltverbots“ im Sicherheitsbereich rund um einen Bombenfundort soll demnächst als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dann könnte man „renitente“ Anwohner auch zu Bußgeldern verdonnern. Der entsprechende Ratsbeschluss zur Änderung der städtischen „Sicherheits- und Ordnungsverordnung“ steht allerdings noch aus.

Die Stadt entschied sich für dieses Vorgehen, auch weil sie jüngst mit einer Strafanzeige gegen einen widerspenstigen Bürger gescheitert war. Im März vergangenen Jahres hatte sich ein Mann seiner Evakuierung widersetzt, die Entschärfung in Meiderich verzögerte sich deswegen. Sören Link versprach damals „Null Toleranz!“ Wäre die gefundene, gefährliche Säurezünderbombe unkontrolliert explodiert, so Duisburgs OB, „hätte dies zu schweren bis tödlichen Verletzungen führen können“. Die Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren trotzdem ein.

Köln kassiert bis zu 300, Essen 200 Euro

Köln fordert inzwischen bis zu 300 Euro Bußgeld von Anwohnern, die nicht gehen wollen, wenn sie müssen. „Wir stehen ratlos davor“, gesteht Heribert Büth, Sprecher des Kölner Ordnungsamtes. „Aber wir müssen dafür sorgen, dass niemandem etwas passiert.“ Essen kassiert 200 Euro von „Evakuierungsverweigerern“, als „letztes Mittel“. Tatsächlich kassiert wurde bislang selten.

Dortmund betont vor der anstehenden Aktion am Sonntag, die Aufforderung zur Räumung sei „kein freiwilliger Aufruf“: „Es besteht eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen“, so Pressereferent Löchter. In der Regel ließen sich Verweigerer durch die städtischen Mitarbeiter vor Ort meist doch zum „Abzug“ bewegen. Falls erforderlich, werde jedoch „mit Unterstützung der Polizei Zwang angewendet“. Schließlich könne die Entschärfung nicht beginnen, ehe nicht alle Personen den vorgegebenen Sicherheitsbereich verlassen haben. Kosten, die dabei – etwa für den hinzu gerufenen Schlüsseldienst – entstehen, würden den Verursachern im Übrigen nachträglich in Rechnung gestellt.

Dreiste Diebe stiegen 2013 während der Evakuierung in acht Objekte ein

Gerade in Dortmund allerdings ist ein Argument der Verweigerer nicht so rasch von der Hand zu weisen: Mancher fürchtet, es Einbrechern allzu leicht zu machen, wenn er an einem solchen Tag sein Haus räumt, wenn ganze Straßenzüge plötzlich leer sind: 2013 machten dreiste Diebe bundesweit Schlagzeilen, als sie während einer Bomben-Evakuierung im Stadtteil Hombruch auf Plünder-Tour gingen: Sie stiegen in sieben Wohnungen und eine Gaststätte ein, stahlen Geld, Schmuck und Unterhaltungselektronik im Wert von 8000 Euro. Fünf Monate später gingen zwei Männer der Polizei ins Netz. Mindestens vier der Einbrüche sollen auf ihr Konto gehen. DNA-Spuren an den Tatorten überführten sie.

Am kommenden Sonntag, verspricht Maximilian Löchter, werde das Augenmerk der zahlreichen Polizeikräfte vor Ort „vor allem auf dem Schutz des Eigentums der Dortmunderinnen und Dortmunder liegen“. Erstmals würden an diesem Tag auch Kameras und Drohnen, soweit möglich zudem ein Hubschrauber das Gebiet überwachen.

„Überredungskunst hilft meistens“ – aber nicht immer

Volker Schütte, Sprecher der Polizei in Bochum, kannte die Dortmunder Täter von 2013 von einem Verbrechen in Witten als „Tresorknacker-Bande alten Schlags“. Dass in Bochum selbst während einer Evakuierung einmal eingebrochen wurde, ist ihm nicht bekannt. Überhaupt scheint Bochum sowas wie eine Insel der Seeligen zu sein. Stadtsprecher Thomas Sprenger mochte es selbst kaum glauben, als er nachfragte. Aber er stellte fest: Das Phänomen „Evakuierungsverweigerer“ ist in Bochum keines. „Kommt hin und wieder vor, ist aber kein ernstes Problem.“ Das Ordnungsamt, so seine Erklärung, sei im Vorfeld und vor Ort immer auch mit Mitarbeitern (mit Migrationshintergrund) im Einsatz, die in den verschiedensten Sprachen erklären könnten, was passiert. „Das macht es leichter!“ Auch die Feuerwehr spräche Anwohner „frühzeitig, offensiv und wertschätzend“ an, man informiere zudem frühzeitig über alternative Unterkünfte.

Mit ein wenig „Überredungskunst“, sagt Schütte, ließen sich „Verweigerer“ fast immer überzeugen“. An jenen Fall aus dem Jahr 2014, als alles gute Zureden nicht half, erinnert er sich nicht: Einer der 600 damals vor einer Bombenentschärfung zu Evakuierenden weigerte sich vehement, seine Wohnung zu verlassen. Er verbarrikadierte sich hinter seiner Tür. Die Feuerwehr kam trotzdem rein: mit ihrem „Zieh-Fix“, einem Gerät, das den Zylinder des Schlosses aus seiner Tür rupfte.

>>>INFO: Bomben im Revier

Die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes haben im Jahr 2018 in NRW 2811 Bomben entdeckt und unschädlich gemacht, darunter 291 Blindgänger, die mehr als 50 Kilo wogen.

In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres wurden bereits 263 solcher schweren Fliegerbomben entdeckt. Statistisch gesehen also: beinahe tägliche eine.

Gut die Hälfte der Blindgänger fällt bei Auswertung von Luftbildern auf. Das Ruhrgebiet war im Zweiten Weltkrieg als industrielles Herz des Landes stark von Bombardierungen betroffen.