Ruhrgebiet. Nach einer Umfrage ist erstmals eine Mehrheit für ein Böllerverbot. Auch im Handel setzt ein Umdenken ein. Doch die Praxis sieht anders aus.

Erstmals ist eine deutliche Mehrheit der Deutschen für ein Verbot der privaten Böllerei zu Silvester – zumindest in einer repräsentativen Umfrage von YouGov. Das Meinungsforschungsinstitut befragte 2000 Bürger im Auftrag des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“. Im Vorjahr waren in einer Umfrage des gleichen Instituts nur 43 Prozent der Deutschen für ein generelles Verbot. Aber auch damals befürworteten fast zwei Drittel ein Knall-Verbot in Innenstädten und wünschten sich stattdessen ein zentrales Feuerwerk.

Ein Umdenken scheint auch im Handel einzusetzen. So kündigte die Baumarktkette Hornbach an, im kommenden Jahr kein Feuerwerk mehr zu verkaufen. Sprecher Florian Preuß erklärt, bei dieser Entscheidung hätten neben der strategischen Besinnung aufs Kerngeschäft und ethischen Überlegungen auch Rückmeldungen von Kunden eine Rolle gespielt: „Wir bieten ja auch Tierbedarf an.“ Hunde, Katzen und andere Haustiere reagieren oft verstört auf die Knallerei. Ebenso leiden Wildtiere, weswegen Umweltverbände wie Peta, Nabu und die Deutsche Umwelthilfe schon lange für ein Knallverbot werben.

Doch auch Müllvermeidung, Verletzungsgefahr und Feinstaub hätten eine Rolle gespielt, sagt Hornbach-Sprecher Preuß. Umsatzzahlen nennt er nicht, das Geschäft habe sich aber gelohnt. Er sieht den Verkaufsverzicht im Zuge einer Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit in der Branche, die vor rund 20 Jahren bei der Holzbeschaffung angefangen habe und etwa 2016 zum Verzicht auf Bienen gefährdende Pflanzenschutzmittel geführt habe.

Bauhaus prüft einen Verkaufsverzicht

Auch die Bauhaus-Kette kündigte an, im kommenden Jahr „das Sortiment an Feuerwerk und Böllern in Hinblick auf Nachhaltigkeit komplett zu überarbeiten“. Nur vereinzelt verzichten Supermarktbetreiber auf den Verkauf von Knallern. Auch Ulrich Budnik weiß, dass seine Kunden im Zweifel einfach in den nächsten Laden gehen, denn bei ihm können sie nun kein Feuerwerk mehr kaufen. Der Betreiber zweier Rewe- und zweier Getränke-Märkte im Dortmunder Süden will auch „gar nicht die Leute bekehren“.

„Wir haben eine Hundehütte vor dem Laden.“ Dort hat ihm ein Kunde berichtet, wie panisch sein Hund in der Silvesternacht reagiere. Da hat Budnik, der selbst mal einen Hund hatte, beschlossen, die bereits georderten Knallchargen abzubestellen. „Und ein bisschen der Luft zuliebe. Klar verzichten wir auf etwas Umsatz.“ Aber die Kundenreaktionen seien fast durchgängig positiv. Branchen-Kollegen dagegen haben sich nur vereinzelt bei Budnik gemeldet. In der Region bietet ebenfalls Alexander Elskamp in Bocholt und Christoph Windges in Erkrath kein Feuerwerk mehr in ihren Edeka-Märkten an. Ein Hagebaumarkt in Langenfeld hat schon im vergangenen Jahr diese Entscheidung getroffen.

Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) dagegen spricht von einer „Scheindebatte“. Hornbachs Böller-Boykott nennt der Verband einen „Marketing-Gag“. Geschäftsführer Klaus Gotzen: „Soweit erkennbar, werden die meisten Verkaufsstellen auch dieses Jahr weiter verkaufen.“

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„Die Mehrheit der Bürger, glaube ich, freut sich darauf, das Ende des Jahres farbenprächtig zu begehen.“ Tatsächlich ergibt eine weitere aktuelle YouGov-Umfrage, dass 84 Prozent sich über künstliche Sterne am Himmel freuen. Jedoch zündet nur gut ein Viertel der Bundesbürger selbst Feuerwerk an Silvester: 12 Prozent böllern jedes Jahr, 14 Prozent gelegentlich. Für den Rest der Bürger ist Knallen tabu. 37 Prozent der Befragten haben sogar noch nie Feuerwerk gezündet.

„Der Klassiker ‚Dicke Brummer‘ kehrt als XXL-Version zurück“, wirbt dennoch der Feuerwerksproduzent Weco aus Eitorf im Süden NRWs. Großkalibrig, effektstark und imposant sind die Stichworte – was nicht zusammengeht mit der angeblichen Abkehr der Bundesbürger von der Knallerei. Eher erinnert es an die Situation bei großen Autos, die verstärkt als umweltschädlich gegeißelt werden und doch umso stärker nachgefragt werden.

Gibt es tatsächlich eine breite Abkehr von der Knallerei?

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Branchenkenner Uwe Krüger vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) geht davon aus, dass die Nachfrage weiter hoch bleibt. „Ich glaube nicht, dass die Konsumenten weniger Geld für Feuerwerk ausgeben werden“, sagt er. Rund 133 Millionen Euro waren es 2018 – nur ein Bruchteil der 8,7 Milliarden Euro, die die Deutschen zum Beispiel für Blumen und Pflanzen ausgaben. Allerdings an nur drei Verkaufstagen. Es war ein leichter Rückgang zum Vorjahr (137 Mio. in 2017), den der VPI mit dem damals schlechten Wetter erklärt.

Die Nachfrage ist ungebrochen“, sagt Krüger. „Und der Handel wäre schlecht beraten, diese nicht zu bedienen.“ So haben Aldi, Lidl, Kaufland und Real angekündigt, an dem Geschäft mit der Knallerei festhalten zu wollen. „Solange die großen Discounterketten nicht mitziehen, wird sich wenig tun.“ Auch Branchenführer Weco sieht in den Verhandlungen mit Großkunden fürs kommende Jahr „noch keinerlei Anzeichen für Verzichtsabsichten“.

Der nordrhein-westfälische Städte- und Gemeindebund spricht sich gegen ein Böllerverbot aus, wie es die Deutsche Umwelthilfe (DUH) für bundesweit 98 Städte fordert. In NRW verbieten nur Aachen, Bielefeld, Düsseldorf und Köln in Teilen der Innenstadt das Knallen. Allerdings nicht aus Umweltschutz-, sondern aus Sicherheitsgründen.

Wie groß ist die Umweltbelastung durch Feuerwerk?

Was die Umweltbelastung angeht, muss man unterscheiden zwischen Feinstaub und Klimabelastung. Letztere ist gering und beträgt laut Umweltbundesamt nur etwa 7200 Tonnen CO 2 – weniger als ein Millionstel der Gesamtemissionen in Deutschland. Feinstaub ist das Problem, er wirkt nicht aufs Klima, sondern gesundheitsschädigend auf die Lungen der Anwohner – das ist bekannt aus der Debatte um Diesel-Fahrverbote.

„In der Silvesternacht messen wir die höchsten Feinstaubwerte, die wir im ganzen Jahr feststellen. Da sprechen wir über Werte, die 1.000 Mikrogramm pro Kubikmeter überschreiten können“, sagte die Meteorologin Ute Dauert der Redaktion der TV-Sender RTL/ntv. Im Jahresmittel würden in Städten etwa 18 Mikrogramm gemessen. Für Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthmatiker könne das zu gesundheitlichen Problemen führen.

In der Tat wird am Neujahrstag in vielen Städten der EU-Grenzwert gerissen – somit ist einer der 35 erlaubten Überschreitungstage verbraucht. Rund 4.200 Tonnen Rußpartikel (PM10) sollen nach Zahlen des Umweltbundesamtes freigesetzt werden, dies entspricht etwa zwei Prozent der gesamten Feinstaubmenge im Jahr. Der Lobbyverband VPI hält diese Zahlen für zu hoch gegriffen und kündigt eine unabhängige Studie in seinem Auftrag an. Zudem, so Weco, seien die Stäube durch Feuerwerk wasseranziehend und verschwänden schneller wieder aus der Luft als die Stäube durch Straßenverkehr.

Neben den kaum zu messenden Effekten durch Feinstauberleiden in Deutschland jährlich etwa 8.000 Menschen zu Silvester Schädigungen des Innenohrs. In einer Umfrage in 51 Augenkliniken verletzen sich jedes Jahr etwa 450 Menschen, jeder vierte schwer. Rund ein Zehntel der Patienten behält dauerhafte Schäden. Die Mehrzahl (60%) ist 25 Jahre oder jünger. (mit dpa/epd)

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