Bochum/Herne. Das Ende des Bergbaus hat Zukunft: Bochumer Forscher machen vor, wie man die Zeit danach bewältigt. Etwa das Grubenwasser, das ewig steigt.

Hier sagen Männer noch „Glückauf“. Auf dem Gelände der früheren Zeche Pluto in Herne ist die Einsatzzentrale der Grubenwehr, betreibt die RAG ihr Bodenmanagement – und jetzt auch die kürzlich eröffnete Grubenwasserleitwarte. Sie überwacht das Grubenwasser auf allen Anlagen im Ruhrgebiet, im Saarland und in Ibbenbüren. Glückauf!

Auf dem großen Bildschirm stehen die guten alten Namen: Fürst Leopold, Friedrich Heinrich, Carolinenglück, Concordia ...: Und Concordia piept gerade und blinkt. Bedeutet: Die Männer und Frauen sollten einmal auf die Pegelstände schauen, denn irgendetwas ist zu tun.

Es sind ja noch viele Menschen unter Tage tätig

Pumpen können sie hier ein- und ausschalten, überwachen die Luftzüge unter Tage und die Zusammensetzung dieser Luft. Denn obwohl die Förderung der Steinkohle beendet ist, sind ja noch Menschen in der Tiefe: auf Ibbenbüren ebenda und Prosper-Haniel in Bottrop arbeiten sie hart daran, Gerät von unter Tage zu bergen; und selbst auf Zollverein in Essen fahren noch immer Männer ein, die die Grubenwasserhaltung traditionell managen.

Grubenwasser steigt ewig. Und so ist auch das Gebäude der Warte für wenigstens eine halbe Ewigkeit gebaut.
Grubenwasser steigt ewig. Und so ist auch das Gebäude der Warte für wenigstens eine halbe Ewigkeit gebaut. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Am Mittwochnachmittag bekommt das Gebäude der modernsten Leitwarte der Welt internationalen Besuch. Professoren und Bergbau-Ingenieure aus aller Welt, Teilnehmer einer Tagung zum Thema „Nachbergbau“. Denn auf diesem Gebiet ist das Ruhrgebiet allen anderen Ländern um Jahre voraus. „Wir sind weltweit die einzigen, die sich wissenschaftlich ganzheitlich mit dem Thema Nachbergbau befassen“, sagt Professor Jürgen Kretschmann, Präsident der Technischen Fachhochschule Georg Agricola in Bochum, der früheren Bergschule.

„Bochum ist jetzt auf der Weltkarte“

„Ich bin total begeistert“, sagt Kretschmann: „Bochum ist jetzt auf der Weltkarte!“ Was er meint: Bochum ist nun ein dicker roter Punkt auf dem Globus – jedenfalls was die Bergbauforschung angeht. Denn rund 100 Fachleute aus aller Welt nehmen am Mittwoch und Donnerstag an seiner internationalen Tagung zum Thema Nachbergbau teil.

Sie kommen aus den USA, aus Russland, China, Vietnam, Australien, Afrika, Kolumbien, Peru – von überallher, wo Bergbau betrieben wird – um zu erfahren, wie das Ruhrgebiet das Ende des Bergbaus meistert und was man mit den Flächen, Bauten, Schächten und Gruben nun anstellen kann. „Das ist in Zeiten des schwindenden Kohleabbaus ein brennendes Thema“, sagt Kretschmann.

Höhepunkt der weltweiten Kohleförderung wurde 2013 überschritten

So kommt es, dass er und seine Kollegen von der TFH Georg Agricola beinahe ständig durch die Welt fliegen, um Vorträge zu halten. Denn der Höhepunkt der weltweiten Kohleförderung war 2013, „seither geht es bergab“. Aber was heißt eigentlich Nachbergbau? Was passiert, wenn die letzte Lore gefördert wurde?

Grubenwasser-Leitwarte ist rund um die Uhr besetzt

Die Grubenwasserleitwarte hat im März die Arbeit begonnen. Sie ist immer besetzt, denn Grubenwasser fließt ja auch ständig.

24 Männer und Frauen arbeiten hier, zum Teil frühere Kumpel, zum Teil mit Leitstanderfahrung. Gelbe, rote und grüne Anzeigen melden Wasserstände. Von hier aus werden auch die Gelände der RAG mit Videokameras überwacht und gegebenenfalls Tore geöffnet oder geschlossen.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind extrem hoch, um die Zentrale und die Anlagen vor Sabotage zu schützen. Leiter Marc Tetzlaff (30) schätzt, dass selbst bei einem kompletten Stromausfall in Deutschland der Betrieb hier für Wochen aufrechterhalten werden könnte.

„Man kann ja nicht einfach einen Zaun um ein stillgelegtes Bergwerk machen und ein Schild dranhängen: Betreten verboten“, sagt Kretschmann. Der Bergbau höre ja nicht auf, er werde nur anders. Nach der letzten Schicht fängt für die Wissenschaftler die Arbeit erst an.

Schwerpunkt der Forschung auf den Aufgaben für die Ewigkeit

Auf dem früheren Pluto-Gelände arbeiten noch einige zentrale Dienste der RAG.
Auf dem früheren Pluto-Gelände arbeiten noch einige zentrale Dienste der RAG. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ein Forschungsschwerpunkt liegt auf den sogenannten Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus: Was passiert mit den Grubengasen, die derzeit irgendwo entweichen? Wie hoch darf das Grubenwasser ansteigen, ohne das Grundwasser zu gefährden? Wie lassen sich Bergschäden vermeiden? Ein weiteres Forschungsfeld ist Geo-Monitoring: Um die Frage zu klären, wie sich der Boden in den nächsten Jahren bewegt und die Landschaft verändert, werden neuerdings Satellitendaten ausgewertet. „Da sind wir auch die ersten, die das machen“, sagt der Präsident.

Nachhaltigkeit ist ein weiterer Schwerpunkt, also die Frage, wie sich Bergbauflächen sinnvoll für die Erzeugung erneuerbarer Energien einsetzen lassen. Grubengas zum Beispiel oder das warme Wasser aus der Tiefe. „Auf den Halden weht ein Wind wie an der Nordseeküste“, sagt Prof. Peter Goerke-Mallet, „das sollte man zur Stromerzeugung nutzen.“

Mehr als eine Milliarde Kubikmeter Wasser werden im Ruhrgebiet gepumpt

Zudem bieten die künstlichen Berge schattenfreie Flächen für Solaranlagen. Auch Pumpspeicherkraftwerke in Schächten und Gruben seien denkbar. Ideen gibt es jede Menge – sie finden gerade weltweites Interesse. So betrachtet, hat das Ende des Bergbaus Zukunft. Und wenn die Experten am Wochenende wieder nach Hause fliegen, weiß die ganze Bergbauwelt, wo Bochum liegt – sogar in Amerika. „Allein dafür hat es sich schon gelohnt“, freut sich Kretschmann. Und von der Leitwarte in Herne haben sie mitgenommen: Mehr als eine Milliarde Kubikmeter Wasser werden im Ruhrgebiet gepumpt. Jährlich, versteht sich.