Essen. Die italienische Mafia hat im Ruhrgebiet stärker Fuß gefasst als bisher von der Politik eingeräumt. Sie operiert in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund und Hagen. „Deutschland ist kein Ruheraum. Hier werden Straftaten geplant”, sagt der Bochumer Polizeidirektor Friedhelm Althans.
Das Bundeskriminalamt geht in einem internen Bericht davon aus, dass bundesweit 229 Clans und 900 Personen im Drogenhandel, der Schutzgelderpressung und der Geldwäsche engagiert sind - zum Großteil aus dem Ballungsraum Rhein/Ruhr gesteuert.
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Das BKA bestätigt die Existenz des Reports, der 2008 als „Grundlage für die ermittelnden Länderbehörden” verfasst wurde. Angehängt ist eine Liste mit Restaurants, die von der kalabrischen N'drangheta betrieben werden. Die N'drangheta hat die Spitzenposition unter den in Deutschland aktiven Mafia-Organisationen. Der sechsfache Mord im Restaurant Da Bruno in Duisburg am 15. August 2007 geht auf einen Familienkonflikt innerhalb der Organisation zurück.
N'drangheta steuert Kokainhandel vom Revier aus
Das BKA wird Donnerstag seinen neuen „Lagebericht Organisierte Kriminalität” veröffentlichen. Zwar dominieren dort zahlenmäßig andere Tätergruppen - beispielsweise aus Osteuropa. Das BKA: „Aber Zahlen sind nicht immer entscheidend”.
Es sei schwierig, die Aktivitäten der N'drangheta zu beobachten, räumt der Bochumer Polizeidirektor Friedhelm Althans ein. Der Mafia-Fahnder sagte der WAZ-Mediengruppe, es gebe eine „große Fluktuation” unter den Verantwortlichen seit der Wiedervereinigung, als die Clans nach Ostdeutschland expandierten. Dennoch werde vor allem der Kokainhandel weiter aus dem Revier gesteuert, weil Drogen hier, teils in Containern, aus belgischen und holländischen Häfen angeliefert würden. Und: „Hier sitzen sehr viele einflussreiche Leute”. Althans geht davon aus, dass die Mafia für ihren „Aufbau Ost” in Thüringen und Sachsen öffentliche Gelder, so aus der EU-Kasse, genutzt hat.
Ermittlungs-Schwerpunkt gefordert
Der innenpolitische Sprecher der SPD im Landtag, Karsten Rudolph, fordert, beim Landeskriminalamt ein Aufgabenschwerpunkt Mafia zu bilden. Kleine Polizeidirektionen kämen mit den Ermittlungen alleine nicht zurecht.
Der Fortschritt ist eine Schnecke. Der sechsfache Mord von Duisburg ist zwei Jahre her. Nach den Schüssen im Ristorante Da Bruno im Klöcknerhaus am Hauptbahnhof am 15. August 2007 schworen die Politiker, die Mafia-Umtriebe zu stoppen. Aber erst vor drei Wochen beschloss der Bundestag, dass in Deutschland Vermögen beschlagnahmt werden kann, welches im Ausland illegal „erwirtschaftet” wurde. Er tat es auf Druck der EU.
Dabei wissen die Experten nicht erst seit der Mordnacht von Duisburg, wie tief die Strukturen krimineller italienischer Clans in die deutschen Vorstädte reichen. Er fahnde seit 1994 in Sachen N'drangheta, sagt Friedhelm Althans, Polizeidirektor in Bochum. Immer ging es um Tötungsdelikte, Drogenhandel, Fälschungen.
Kulissen der organisierten Kriminalität
Althans ist überzeugt: „Die Mafia hat schon seit 30 Jahren Fuß gefasst im Ruhrgebiet”. Sie operiere gut getarnt. „Das L'Opera galt als eines der besten Restaurants von Essen”, erinnert sich der Mafia-Fahnder. Auch die Stadtprominenz speiste hier gerne. Versteckt hinter einer Spitzenküche lag die Operationszentrale des La Minore-Clans, der in seiner Heimat Kalabrien für 150 Entführungen verantwortlich ist. Und wie war das mit dem Top-Hotel in Duisburg, das aus der Sicht der Fahnder immer auch als Versteck für Mafiosi fungieren sollte? Beinahe wäre der Bundeskanzler hier abgestiegen. Gerhard Schröder wollte die Musikgruppe „Scorpions” treffen. Erst im letzten Moment überzeugte man den Berliner Regierungschef, zu stornieren.
Mehrere Autoren haben sich mit den Phänomen Mafia befasst - wie Jürgen Roth („Mafialand Deutschland”, Eichborn-Verlag) und Petra Reski („Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern”, Droemer). Ihr Credo: Die Branche sieht in Deutschland nicht nur eine Region, in der man sich bedienen kann. Sie ist auch Geldwaschanlage.
Experten glauben: Jedes Jahr fließt eine halbe Milliarde Euro in die Bundesrepublik, um hier in Immobilien und Firmen angelegt zu werden. „Mafiöse Organisationen parken ihr Geld mit Vorliebe in Deutschland”, sagt Klaus-Uwe Benneter (SPD), der sich im Innenausschuss des Bundestages mit Mafia-Fragen befasst.
229 Mafia-Familien arbeiten in Deutschland
Fast 400 Seiten lang ist eine Analyse des Bundeskriminalamtes von Ende 2008, die sich mit der kalabrischen N'drangheta und ihren deutschen Ablegern beschäftigt und die Verdachtsmomente erhärtet. Sie enthält Namen und Nachrichten.
44 Milliarden Euro Umsatz macht die Organisation weltweit - mit Waffen- und Drogenhandel, Mord, Geldwäsche, einem hohen Anteil von Schutzgelderpressung. 229 Familien arbeiten in Deutschland, 200 Mitglieder der Clans aus San Luca alleine sind darunter, dem Dorf, aus dem Mörder wie Opfer des Duisburger Massakers stammten. „Seit den Vorkommnissen von Duisburg” nehme das Bundeskriminalamt die Mafia-Geschäfte noch ernster, so ein BKA-Sprecher. Der Report diene dazu, den Länderbehörden Hintergrund zu geben.
Ob die Landesregierung dies nutzt, wird sich herausstellen. Im Herbst kommt ein Fragenkatalog der SPD-Opposition in den Landtag NRW. Bislang hatte Innenminister Ingo Wolf eher zurückhaltend informiert. Dem Innenausschuss teilte er mit: „Keine neue Gefahrenlage”.