Brüssel. Der Italiener Rosario Crocetta ging als Bürgermeister in Sizilien mutig gegen das organisierte Verbrechen vor. Nun fordert er als EU-Abgeordneter die mächtigen Clans heraus.
Ohne Leibwächter geht Rosario Crocetta nicht aus dem Haus; die Gefahr ist sein ständiger Begleiter – und die Angst auch. Ständig bekommt der Italiener Morddrohungen, deswegen gehören eine 24-Stunden-Überwachung ebenso zum Alltag wie eine Wohnung mit Panzerglas.
Ein Killerkommando aus dem Osten verfolgte ihn
Einmal sei sogar eine Gruppe Litauer in Sizilien hinter ihm her gewesen, erzählt der 58-Jährige. Ein Killerkommando aus dem Osten. Doch die Bande wurde festgenommen und mangels gültiger Aufenthaltserlaubnis ausgewiesen. „Irgendwie ist es doch Ironie des Schicksals, dass ich hier im EU-Parlament ausgerechnet das Büro eines litauischen Kollegen übernommen habe“, sagt er - und lacht.
Der frisch gewählte EU-Abgeordnete weiß, dass er nirgendwo vor den Verbrechern sicher sein wird, egal, wo er sich in Europa bewegt. Denn der ehemalige Bürgermeister der sizilianischen Kleinstadt Gela vereint gleich mehrere Eigenschaften, die ihm den Hass einflussreicher Banden einbringt: Er ist Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, homosexuell und darüber hinaus der wohl erfolgreichste Mafiajäger des Landes. Nun will er von Brüssel aus gegen das Organisierte Verbrechen vorgehen.
„Die Mafia ist längst kein italienischen Problem mehr; sie ist in ganz Europa aktiv, aber in keinem anderen EU-Land weiß man so genau, wie man gegen sie vorgehen soll“, sagt er.
Korrupte Beamte wanderten ins Gefängnis
Crocetta hofft, seine Erfahrungen an andere Politiker weitergeben zu können. Seine Stadt Gela im Süden der sizilianischen Provinz Caltanissetta gilt als Hochburg des organisierten Verbrechens. Bevor er sein Amt antrat, war die ganze Baubranche von der Mafia durchsetzt. Sie machte Geld mit Drogen, Waffen und Schutzgelderpressung und hielt zahlreiche politische Ämter besetzt. Später kamen weitere Mafiaorganisation hinzu. Es soll Zeiten gegeben haben, in denen fast jeden Tag ein Toter auf den Straßen lag.
Als Crocetta vor sechs Jahren zum Bürgermeister gewählt wurde, ging er sofort gegen die mächtigen Clans vor. Er verschärfte die Vergaberegeln für öffentliche Bauaufträge und führte die Jobrotation in der Behörde ein. Korrupte Beamte und Unternehmer wanderten ins Gefängnis, selbst die komplette Führung des Fußballclubs Gela Calcio erklärte er für mafiös durchdrungen und damit für abgesetzt.
"Mafia ist über Grenzen hinweg organisiert"
Mehr Feinde kann man sich in einer kleinen Stadt kaum machen – aber seine Wähler haben es ihm am Ende gedankt. 2007 wurde er mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt.
Auch in Brüssel gibt Crocetta keine Ruhe. Kaum hatte er sein neues Büro im Parlamentsgebäude bezogen, schrieb er einen Brief an den neuen EU-Parlamentspräsidenten Jerzey Buzek und forderte einen speziellen Ausschuss, der sich allein mit den Machenschaften der Mafia beschäftigt. „Wir brauchen auch auf europäischer Ebene ein Gesetz, das wie in Italien die Mitgliedschaft in einer mafiösen Organisation bestraft“, schrieb er. „Wir haben nicht mehr eine Mafia, sondern viele Mafias, die schwer zu bekämpfen sind, weil sie die Wirtschaft und die Politik durchdringen. Sie organisieren ihre Geschäfte wie Unternehmer – auch über Grenzen hinweg.“
Wie bemisst man die Gefahr?
Crocetta hat keine Familie, die man bedrohen könnte - sonst würde er den Job nicht machen. Er müsse nur für seine eigene Sicherheit sorgen und das sei oft schon schwer genug, sagt er. In Brüssel zum Beispiel hat er bislang keinen Personenschutz vom Staat bekommen, er musste sich seinen eigenen aus Italien mitbringen. „Ich sollte die Gefahr bestimmen, in der ich mich befinde“, erzählt er empört. „Aber wie bemisst man die? Wie lang ist der Arm der Litauer oder der Sizilianer oder von wem auch immer?“
Crocetta wünscht sich ein Europa, in dem jeder in Frieden leben und arbeiten kann. Es wäre auch eine Befreiung für ihn selbst.