Düsseldorf. . Nach der Einstellung geht der Loveparade-Prozess mit drei Angeklagten weiter. Richter verspricht Aufklärung: „Wir haben uns nichts vorzuwerfen.“

Als der Prozesstag zu Ende ist, umarmen sie sich hüben wie drüben. Zwischen den Anklagebänken fallen sie ihren Anwälten um den Hals, sie lachen und scherzen, ziehen die Stecker ihrer Computer und gehen freudig Händeschütteln: Richtern, Schöffen, jedem einzelnen Justizbeamten. Es ist kurz nach zwölf und ein Abschied – gerade hat die Strafkammer den Prozess um die Loveparade gegen sieben Angeklagte eingestellt. Auf der anderen Seite des Saales stehen sie still beisammen, kopfschüttelnd, traurig. Die Hinterbliebenen schauen nicht herüber.

Zum letzten Mal haben sie am Morgen die „Strafsache gegen D. und andere“ aufgerufen, zum letzten Mal hat der Vorsitzende Richter Mario Plein auch die zehn Angeklagten „herzlich“ begrüßt. Am späten Vormittag braucht die Kammer eine gute Stunde zur Beratung und zur Verkündung kaum eine Minute: Erwartungsgemäß wird das Verfahren gegen die sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und den Kreativdirektor des Veranstalters Lopavent eingestellt. „All jenen, die uns verlassen“, sagt Plein freundlich, „wünsche ich alles Gute. Und danke für die gute Zusammenarbeit.“

Auch weiterhin dabei: Rechtsanwalt Heinz Schmitt, der den damaligen Produktionsleiter (41) verteidigt. .
Auch weiterhin dabei: Rechtsanwalt Heinz Schmitt, der den damaligen Produktionsleiter (41) verteidigt. . © Lars Heidrich

Eine Anwältin, schon im Mantel, gibt ihrem Kollegen Heinz Schmitt die Hand: „Ich drücke die Daumen, dass es nicht mehr so lange dauert.“ Schmitt vertritt den 41-jährigen Produktionsleiter, der am Mittwoch nicht entlassen wird. Er – ebenso wie der technische Leiter (66) und der Sicherheitsverantwortliche (59) – hat der Einstellung nicht zugestimmt. Bei diesen dreien sahen Gericht und Staatsanwälte eine „mittlere Schuld“, sie hätten nur gegen eine Geldauflage gehen dürfen. Das wollten sie nicht. Aber auch sie lächeln, als die anderen schnellen Schrittes davoneilen.

„Leichtfertig gültige Gesetze umgangen“

Die Angehörigen sind die letzten, die den Saal verlassen. „Enttäuscht und traurig“ sei sie, hat Nadia Zanacchi, Mutter von Giulia, gesagt, „dass kein Schuldiger gefunden wurde“. Er sei „wie vor den Kopf geschlagen“, sagt Klaus-Peter Mogendorf, Vater von Eike, am Morgen im Prozess. „Wir“, erklärt er später, „haben den Preis zu zahlen für die Fehler, die gemacht worden sind.“ Der gelernte Bauingenieur ist sicher, dass auch die, die nun nicht mehr vor Gericht sitzen, „leichtfertig und fahrlässig gültige Gesetze umgangen“ haben.

Mogendorf sagt, er könne das beurteilen, weil er eben nicht nur trauernder Vater, sondern auch sachkundig sei. Das sei „manchmal quälend“. Bislang stehe weder Schuld noch Unschuld fest, über einzelne Taten sei schließlich noch gar nicht gesprochen worden. Der 52-Jährige nennt Beispiele, „diese Ungeheuerlichkeiten sollten hier diskutiert werden“. Er und auch Ehefrau Stefanie meinen, es müsse weiter aufgeklärt werden: „Es gibt noch viele brennende Fragen.“

Gericht: „Viele Leute haben Schuld“

Richter Mario Plein will da nicht einmal widersprechen. Tatsächlich sei die Kammer noch nicht so weit, dass sie eine Schuld feststellen könne. Es werde durch einen Einstellungs-Beschluss aber „nichts verharmlost”, sagt er in einem persönlichen Wort an die Adresse der Mogendorfs. „Dass Sie einen schrecklichen Verlust erlitten haben, sehen wir alle.“ Es gebe immer noch einen hinreichenden Tatverdacht, nur: „Viele Leute haben Schuld.“ Die der Bauamts-Mitarbeiter und des Kreativdirektors gilt dem Gericht wie der Staatsanwaltschaft aber nach dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme als „gering“.

Er könne verstehen, sagt Plein, dass „geringe Schuld und nicht ausreichendes öffentliches Interesse Reizworte für Sie sind“. Die Entscheidung des Gerichts sei „unpopulär“ und „sicher schwer zu verstehen“, „aber wir halten sie juristisch für richtig“.

Stefanie und Klaus-Peter Mogendorf mit ihrem Anwalt Rainer Dietz am Morgen im Prozess, kurz bevor sie eine Stellungnahme abgeben.
Stefanie und Klaus-Peter Mogendorf mit ihrem Anwalt Rainer Dietz am Morgen im Prozess, kurz bevor sie eine Stellungnahme abgeben. © Lars Heidrich

Der Vorsitzende wehrt sich gegen Vorwürfe, nur wegen der drohenden Verjährung im Juli 2020 einen „Verlegenheitsvorschlag“ gemacht zu haben. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen.“ Das Gericht sei „gänzlich unabhängig. Niemand auf dem Planeten Erde kann uns sagen, wie wir unsere Arbeit machen sollen.“ Eine mögliche Verjährung schrecke ihn nicht: „Wir sind alle der Meinung, dass wir viel mehr geschafft haben, als man gedacht hat, als man uns zugetraut hat und alle erwartet haben.“

Weitere Termine bis in den Herbst hinein

Und es wird weitergehen. „Wir werden weiter unserer Aufklärungspflicht nachkommen“, verspricht Plein. Bis Ende April stehen bereits Zeugen auf der Einladungsliste, zunächst kommen weitere Polizisten, danach Mitarbeiter von Lopavent. Zusätzliche Termine bis in den Herbst hinein will die Kammer kurzfristig festlegen. „Wann auch immer hier der letzte Tag ist“, sagt der Vorsitzende Richter einmal mehr, werde man alles ausführlich erklären. „Wir werden etwas hinterlassen.“

Am nächsten Dienstag schon geht es weiter, man werde lediglich „enger zusammenrücken“, sagt Plein. Möglich, dass die, die sich am Mittwoch umarmen, dann alsbald Wiedersehen feiern. Denn nun, wo die Sieben nicht mehr angeklagt sind und also nicht mehr schweigen dürfen, könnten sie als Zeugen geladen werden.

>>INFO: „EIN REINER SCHAUPROZESS“

Persönlich wollten keiner der am Mittwoch aus dem Verfahren entlassenen Angeklagten äußern. Einige Verteidiger erklärten aber am Rande, ihre Mandanten seien „erleichtert“.

Kerstin Stirner, Verteidigerin des 47-jährigen damaligen Kreativdirektors der Veranstalter-Firma Lopavent, sagte, eine individuelle Schuld ihres Mandanten sei nicht nachweisbar. Schon vor Beginn der Hauptverhandlung sei klar gewesen, „dass keiner der zehn Angeklagten verurteilt werden wird. Die Hauptverhandlung war daher ein reiner Schauprozess auf Kosten der Angeklagten und letztlich auch der Nebenkläger.“

Die Betroffenen-Initiative Lopa 2010 hingegen schrieb in einem Brief: „Es ist für die meisten Betroffenen unerträglich, dass die Mehrheit der Angeklagten ohne ernsthafte Konsequenzen aus dem Verfahren hervorgeht.“