Düsseldorf. . Zwei Stunden lang erklärt Richter Mario Plein, warum die Kammer den Loveparade-Prozess beenden will. Die Hinterbliebenen reagieren geschockt.
Viele waren lange nicht in diesem Gerichtssaal, aber am Tag danach sind sie wieder da. Die Eltern von Clara, Eike und Christian, die Mütter von Giulia und Marina, die alle bei der Loveparade von Duisburg ums Leben gekommen sind. Die Einstellung des Prozesses steht im Raum, schon Anfang Februar ist damit zu rechnen. Sie wollen wissen, warum.
Und sie wollen sagen, wie enttäuscht sie sind. Nach dem „Massaker“, sagt Nadia Zanacchi, Mutter von Giulia, habe sie „acht Jahre voller Versprechen, Hoffnungen, Erwartungen, Enttäuschungen“ erlebt. „Uns wird gesagt, es gibt keine Schuldigen. Doch es gibt eine Schuld.” Eine Einstellung des Verfahrens wäre „ein Fluchtweg, eine demütigende Niederlage“.
Unter Tränen verliest die Mutter der Spanierin Clara, Nuria Caminal, die Namen der Todesopfer, nennt sie „die Vergessenen dieses Prozesses“. Als Vater, sagt ihr Mann Paco Zapater, wolle er ein Urteil. Bis dahin oder bis zu einer Verjährung weiterzuverhandeln, „wäre ein kleiner Trost für mich“.
Auch Klaus-Peter Mogendorf, Vater von Eike, hat das Ansinnen des Gerichts „schier umgehauen“. Sein Sohn, sagt der 62-Jährige, „wird nun nach 153 abgehandelt“. Das ist der Paragraf der Strafprozessordnung, der eine Einstellung wegen geringer Schuld möglich macht. Geringe Schuld, fragt Mogendorf, wenn ein Kind stirbt?
Der Vorsitzende Richter Mario Plein erklärt, fast zwei Stunden lang. Es ist ein Protokoll des Rechtsgesprächs vom Mittwoch, bei dem die
Öffentlichkeit nicht mithören durfte. Es kommt viel „hätte“, „dürfte“, „könnte“ darin vor, es geht um den „derzeitigen Kenntnisstand“, aber die Richtung ist klar: Es sei richtig gewesen, das Verfahren gegen die zehn Angeklagten zu führen, und immer noch wahrscheinlich, dass sie eine Mitschuld an den „tragischen Ereignissen“ trügen. Sie hätten das Gelände, das Konzept und Besucherströme „falsch eingeschätzt“. Aber: Besonders das Gutachten habe ergeben, dass „eine Vielzahl von Personen und Institutionen” ebenfalls beteiligt gewesen seien. „Ein kollektives Versagen dürfte nicht auszuschließen sein“, ist einer der entscheidenden Sätze.
Die Schuld der Angeklagten sei deshalb als gering oder allenfalls als „mittelschwer“ einzuschätzen. Sie hätten auf Grundlage unklarer Gesetze gehandelt, seien zudem durch die lange Dauer des Verfahrens belastet. Und das könne noch länger dauern, als es darf: Am 27. Juli 2020 verjähren die Vorwürfe.
Gerade an dieser Begründung stoßen sich die Nebenkläger, die aber nicht
mitentscheiden. „Man sollte die Zeit, die man noch hat, nutzen, um weiter aufzuklären“, sagt Rainer Dietz, Anwalt von Klaus-Peter Mogendorf. „Auf halbem Wege abzubrechen, wäre noch einmal tragisch.“ Kollege Franz Paul ärgert sich über die angebliche „geringe Schuld“: „Geringfügigkeit verbietet sich bei 21 Toten.“ Auch das Argument der Kammer, es bestehe kein öffentliches Interesse mehr, sei „Quatsch“.
Dass doch noch weiterverhandelt wird, denkt am Donnerstag in Düsseldorf niemand. „Man wäre Fantast, wenn man das glauben würde“, sagt ein Rechtsanwalt. Schließlich haben auch die Verteidiger kaum Einwände außer dem, dass sie sich einen Freispruch gewünscht hätten. „Aus Zeitgründen” sei eine Einstellung „opportun“. Die Staatsanwälte, am Mittwoch noch entschlossen, nur unter Geld-Auflagen einzustellen, geben sich einen Tag später entspannt: Man werde das „überprüfen“.
Hinterbliebene versuchen,Juristen umzustimmen
Im Saal versuchen die Hinterbliebenen ein letztes Mal, die Juristen umzustimmen. Sehr persönlich wendet sich der Vorsitzende darauf an die
Eltern: „Mein Versprechen gilt: Wir werden Ihnen sagen, warum Ihre Kinder gestorben sind, am letzten Tag, an dem wir hier zusammensitzen”. Man sage nicht, so Mario Plein, niemand habe einen Fehler gemacht. „Unheimlich viele haben Fehler gemacht.“ Auch unter denen, die „nur“ als Zeugen ausgesagt hätten. Auch dort, sagt Plein tatsächlich, habe man „noch keinen Schweinehund ausmachen können“. Was den Nebenklägern passiert sei, sei „das Schlimmste, was einem widerfahren kann, Sie haben Ihr Kind zu Grabe tragen müssen. Das haben wir im Blick.“
Ein Nebenkläger, der wünscht sich die Einstellung sogar: Manfred Reißaus, Vater von Svenja, lässt erklären, er wolle einen Abschluss und danach Gespräche mit den Beteiligten der Loveparade: „Damit wäre mehr geholfen als mit dem Versuch, Menschen zu bestrafen, die vielleicht keine Schuld tragen.“