Essen. Eine Mutter klagt, ihr Sohn sei in seiner Kita-Gruppe isoliert, weil alle anderen Kinder kein Deutsch sprächen. Die Stadt Essen weist das zurück.
Sie spricht mit leiser Stimme, aber ihre Wut ist unüberhörbar: In einem Video auf Facebook hat sich eine junge Mutter dieser Tage an die Öffentlichkeit gewendet: Ihr Sohn sei in seiner Kita völlig isoliert – weil er Deutscher sei.
„Mein Sohn fühlt sich hier wie ein Ausländer“, klagt Leen K. und fragt: „Darf das, liebe Politiker?“ Der Clip wurde in kürzester Zeit tausendfach geteilt, die Mutter traf wohl einen Nerv. Kita-Träger und Stadt erzählen indes eine etwas andere Version ihrer Geschichte.
„23 Kinder in der Kita-Gruppe verstehen kein Deutsch“
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Glaubt man Leen K., sei schon die Vergabe der Kitaplätze nicht fair gelaufen: Sie habe den Platz gerichtlich erstreiten müssen, weil sonst ihre berufliche Existenz bedroht gewesen wäre. Als sie dann zum Start des Kitajahres im August mit der Eingewöhnung ihres Sohnes begonnen habe, „stellte sich heraus, dass die Eltern von Mohammed und Ali und wie sie alle heißen, nicht klagen mussten. Weil Integration vor Existenz steht.“
Das führe dazu, dass es in der Gruppe neben ihrem Sohn nur ein deutsches Kind gebe. „Die anderen Kinder, 23 an der Zahl, verstehen kein Deutsch, sind der Sprache überhaupt nicht mächtig.“
Untereinander könnten sich die anderen Kinder gut verständigen, nur ihr Sohn verstehe sie nicht, finde keinen Anschluss. Integration könne doch nicht heißen, dass sich ihr Sohn den anderen anpasse. Sie habe Angst in einem Land, in dem sie als Mensch zweiter Klasse behandelt werde „und deutsche Kinder islamisiert werden“. Nun wolle sie einen neuen Kitaplatz suchen.
Islamisierung in einer katholischen Kita?
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Den Namen der Einrichtung nennt Leen K. im Film nicht. Es ist die Kita St. Joseph an der Rudolfstraße in Leithe: eine katholische Kita also, in der nun vermeintlich die Islamisierung droht? Beim Träger, dem Kita-Zweckverband im Bistum, teilt man die Befürchtung nicht. Es seien keinesfalls alle Kinder in der Gruppe muslimisch, erklärt Petra Struck vom Zweckverband. „Es gibt welche, die buddhistisch sind oder konfessionslos.“
Richtig sei, dass nur zwei der 25 Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft hätten. Die anderen stammten aus Syrien, Vietnam, Kroatien, der Türkei... „Ihre einzige gemeinsame Sprache ist Deutsch.“
Unter ihnen gebe es Flüchtlingskinder, bei denen es mit den Deutschkenntnissen noch hapere, aber die Hälfte der Jungen und Mädchen spreche Deutsch, auch zu Hause: „Weil schon ihre Eltern hier geboren sind.“ Integration sei nicht immer leicht, aber diese Kinder seien ja erst ein paar Wochen in der Kita: „Denen muss man Zeit geben.“
„Ohne die Notgruppe hätte das Kind gar keinen Platz“
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Außerdem weist Struck auf einen besonderen Umstand hin: „Der Junge ist in einer Notgruppe, die wir auf Wunsch der Stadt neu geschaffen haben.“ Die 25 Plätze werden aus städtischen Mitteln bezahlt, um den Mangel an Kitaplätzen abzumildern. Berücksichtigt wurden hier Familien, die dringend eine Betreuung benötigen, die bereits einen Rechtsanspruch angemeldet oder wie Leen K. geklagt haben. „Ohne die Gruppe hätte ihr Kind gar keinen Platz“, sagt Struck.
Gut möglich, dass in den drei regulären Gruppen von St. Joseph mehr deutsche Kinder sind, weil hier katholische Familien einen Vorteil haben. Aber: St. Joseph hätte diese Kinder nicht umverteilen können, um so die Zusammensetzung der Notgruppe zu ändern: Die Notgruppe ist städtisch und überdies nur zeitlich befristet.
„Kita-Plätze werden nicht nach Herkunft vergeben“
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Dass die Notplätze bevorzugt an Migranten vergeben wurden, weist Jugendamtsleiter Ulrich Engelen zurück. „Der Familienpunkt hält sich bei der Vergabe an eine feste Reihenfolge.“ Dabei gehe es nicht um Herkunft, sondern um Rechtsansprüche. Da verbiete sich natürlich auch die Bevorzugung deutscher Kinder. Im konkreten Fall vertraue er darauf, dass die Kinder in St. Joseph miteinander ins Gespräch kommen – auf Deutsch.
Sollte Leen K. ihren Sohn dennoch dort abmelden, könne sie den Rechtsanspruch formal nicht noch einmal geltend machen, sagt Engelen. „Aber wenn es in einer Kita hakt, versuchen wir immer, den Eltern zu helfen – egal, welche Nationalität sie haben und ob sie sich auf Facebook zu Wort melden.“
> KITA-AUSBAU HÄLT MIT BEDARF NICHT SCHRITT
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In den rund 270 Essener Kitas stehen gut 18 000 Plätze für Kinder im Alter von vier Monaten bis zur Schulpflicht zur Verfügung. Nach Plänen der Stadt sollen es bis Jahresende mehr als 20 000 sein. Dazu kommen Plätze bei Tagesmüttern und -vätern.
Schon im Frühjahr sagte die Stadt, dass für das Kita-Jahr 2018/19 über 2000 Kitaplätze fehlten. Der Ausbau laufe, aber manches Bauvorhaben verzögere sich. In den nächsten Jahren sollen 3000 Plätze in 30 neuen Kitas/Erweiterungen entstehen.