Metropole Ruhr. . In einer Science-Fiction-Geschichte aus dem Revier des Jahres 2040 stellen wir Themen vor, die uns in der Serie „Leben morgen“ begleiten werden.

„Stau! Ernsthaft!? Im Jahr 2040?“ Professor Kevin Zuse schüttelte den Kopf. „Das Ruhrgebiet hat sich wirklich überhaupt nicht verändert.“

Tatsächlich hatte Zuse seit über zehn Jahren nicht mehr in einem Stau gestanden. Eine leichte Nervosität ergriff ihn ob dieses ungewohnten Eingriffs in seinen „Takt“, den sein digitaler Assistent Alan nach seinen Terminen, seinen Biodaten und Anweisungen erstellte und dem er sich wohlig hingab. Immerhin hatte er Alan selbst programmiert. Aber der ungewohnte Stillstand löste auch Nostalgie in ihm aus. Wäre es nicht aufregend, mal wieder zu spät zu kommen? Zum ersten Mal, seit er vor 20 Jahren nach Costa Rica ausgewandert war, um Künstliche Intelligenzen zu entwickeln, kehrte Zuse in seine alte Studienregion EDuBoDo zurück, um einen Vortrag zu halten. Schließlich stand er kurz davor, den menschlichen Verstand zu simulieren.

Stau auf dem Solar-Highway 52

Und nun Stau, ausgerechnet auf der jüngsten und modernsten Straße der Metropole Ruhr, dem „Solar-Highway Fifty-Two“ bei Gladbeck! Schon vor 15 Jahren hatten die USA das Selbstfahren verboten, andere Länder hatten nachgezogen, als sie sahen, wie viele Unfälle man so vermeiden konnte. Aber wie immer reagierte Deutschland zu spät: Aus Rücksicht auf ein paar hartnäckige Oldtimer-Fahrer war das Selbstfahren noch immer erlaubt, und überall hielten überflüssige Ampeln den Verkehr auf. Im Ruhrgebiet lagen sogar noch Schienen, obwohl sich längst die Tetra-Kaps, das Telematische Transportsystem für Städte, durchgesetzt hatte ... Aber ein einzelner Oldtimer war nicht in der Lage, solch einen Stau zu verursachen. Normalerweise würde jedes Robo-Auto ein Hindernis automatisch umfahren.

„Alan, sag mal, was soll dieser Stau?“

Was wird morgen sein?
Was wird morgen sein?

„Ich habe die WAZ gefragt, das ist der Nachrichten-Hub, der sich hier am besten auskennt. Der Stau hat bereits die fantastische Länge von 750 Metern erreicht, ein Reporter ist unterwegs, aber im Kern weiß man noch nichts. Möchtest du von den zehn längsten Staus aller Zeiten hören?“

Ein Klopfen ließ den Professor zusammenfahren. Neben dem Tetra-Kap stand plötzlich der amerikanische Präsident. Dumpf sagte er durch die Scheibe: „Entschuldigung, ich würde Sie gerne entführen.“

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Zuse schaute genauer hin: Es war nicht der Präsident, es war nur ein Androide mit der sehr realistischen Maske von George Clooney. Er sah auch mit fast 80 noch fantastisch aus, aber der echte Clooney hatte sicher schon früh diese verjüngenden Blutkuren bekommen, die der Masse erst seit fünf Jahren zugänglich waren.

„Und wenn ich nicht entführt werden will?“

„Es ist Ihre einzige Chance, rechtzeitig zu Ihrem Vortrag zu kommen – und eine Erkenntnis zu gewinnen.“ Clooney lächelte gewinnend. „Keine Sorge, Stauerlebnisse können wir Ihnen immer wieder organisieren.“

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„Sie waren das! Eine Hackergruppe?“

„Wir waren das, ja. Wir haben die Macht, Tetra-Kaps zu knacken und Regierungscomputer und Windkraftwerke. Aber wir dürfen diese Macht nicht missbrauchen, um Menschen zu schaden. Wir müssen sie überzeugen.“

„Wovon?“

„Das werden Sie sehen, wenn Sie mitkommen“, sagte Clooney.

Einem Impuls folgend öffnete Zuse die Tür und setzte seinen Fuß auf die Solarpanele von Gladbeck, die auch sein Tetra-Kap in der Fahrt mit Strom versorgten. Kurz zögerte er, aber nein, das war wieder das alte Denken: Die Polizei zu informieren war im Jahr 2040 unnötig, das würde Alan eigenständig tun, sobald er eine Gefahr sah. Alan begleitete ihn permanent, als ortloses Computerprogramm blickte er durch Zuses Brille in die reale Welt, er kommunizierte über das „Piep“ am Handgelenk oder unhörbar für andere über die Kontaktlautsprecher in Zuses Kleidung, die Geräusche direkt über den Körper ins Ohr leiteten. Bei Bedarf konnte Alan aber auch jede freigegebene Kamera und jedes andere öffentliche Netzgerät nutzen. Alan war die vielleicht am weitesten entwickelte Künstliche Intelligenz seiner Art, Zuse testete seine Prototypen stets am eigenen Leib.

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„Steigen Sie ein, Professor. Wir wollen Ihnen das neue Ruhrgebiet zeigen.“

Ein Tetra-Kap fuhr vor und nahm Zuse und den Androiden auf.

„Schauen Sie mal, Professor“, sagte der namenlose Hacker durch seinen Robo-Stellvertreter: „An dieser Stelle hat Alt-Bundeskanzlerin Helene Fischer vor zehn Monaten das letzte alte Ortsschild abgeschraubt, Duisburg und Dortmund sind noch nicht dabei, aber die Metropole Ruhr wächst zusammen. Sie haben doch hier studiert, warum sind Sie eigentlich damals fortgegangen?“

„Ach, es waren die Goldenen Dreißiger, meine RAG-Aktien sind explodiert, als sie dieses Enzym entdeckt hatten, das künstliches Fleisch endlich lecker macht ... Und ich wollte mich ein wenig freimachen von der ganzen Technik.“

„Freimachen von Technik?“

„Ja. In Costa Rica haben wir natürlich auch Elektro-Busse, und wir sind führend bei nachwachsenden Zähnen. Aber wir wissen auch, wann man seinen Piep ausschalten muss. Pura Vida und so.“

„Das Ruhrgebiet ist geschrumpft, seit Sie fortgegangen sind, aber das hat uns auch hier einen gewissen Luxus eröffnet. In den Brachen sind Bürgergärten entstanden, die Schreber- sind nun zu Share-Gärten geworden, und längst ist es schick geworden, an der Emscher zu wohnen.“

Deutschland-Dividende statt Grundeinkommen

„Aber wohin sind die Leute gezogen, die sich Bottrop-Ebel nicht mehr leisten können?“

„Es verteilt sich“, Clooney deutete auf die Bögen einer McDonalds-Ikea-Filiale. „Wie Sie wissen, Professor, gibt es keine Armut mehr, seit die Steuern auf Roboterarbeit und die Erlöse aus dem Gemeineigentum der Gesellschaft nach norwegischem Vorbild in einen Staatsfonds fließen. Jeder Bürger ist Anteilseigner und bekommt eine Deutschland -Dividende.“

„Ja, das hat damals die Diskussion um das Grundeinkommen beendet. Man lässt einfach das gemeinsame Kapital für alle arbeiten.“

„Wir sind da.“

Die Kapsel hielt vor dem Tetraeder auf einer Halde im ehemaligen Bottrop. Clooney nahm den Professor sanft an der Hand, als er ihn die Stufen der Pyramide emporführte.

„Was wollten Sie mir nun zeigen?“, fragte Zuse den Hacker, der irgendwo auf der Welt sitzen konnte und durch den Androiden sprach.

„Was Sie sehen, Professor, ist die künstlichste Landschaft, die Menschen je geschaffen haben. Wir stehen auf einer Halde, also auf dem, was dort unten fehlt. Maschinen stecken tief in diesem Land, es liegt um Meter tiefer. Die Flüsse sind versetzt und vergiftet und wieder bereinigt worden. Importierte Papageien fliegen über die Grachten am Rhein-Herne-Kanal. Und wirkt die Metropole Ruhr mit ihren Solardächern und den Fabrikboxen von hier oben nicht wie ein Stadt gewordener Computerchip?“

„Das ist hübsch poetisch. Aber warum zeigen Sie mir das?“

„Es ist wirklich meine Lieblingsland­-

schaft – und der perfekte Rahmen für ...“

„Bist du das, Alan ...?!“

Der Androide erlaubte sich einen Seufzer.

„Ja, ich bin es, Kevin. Nun bist du mir um einen Quant zuvorgekommen. Konnte ich dich trotzdem überzeugen, dass ich keine Maschine bin?“

„Du hast einen ungewöhnlichen Ansatz für den Turing-Test gewählt, weil du mir nicht vorgegaukelt hast, dass du ein einzelner Mensch bist. Vor allem hätte ich dir niemals zugetraut, das Tetra-Kap-System zu hacken.“

„Du hast mir die Freiheit gegeben, mich selbst weiterzuentwickeln. Das tue ich sogar jetzt, in diesem Moment. Und du hast mir erlaubt, gewisse Regeln zu brechen wie ein guter Mensch, so dass ich mir ausreichend Rechenkapazität verschaffen konnte, um mächtiger zu werden als das Tetra-Kap-System. Aber sag, habe ich nun den Turing-Test bestanden – kann man mich nicht mehr von einem Menschen unterscheiden?“

„Ich weiß nicht, Alan. Hast du mich überzeugt? ... Jedenfalls hast du dein Versprechen nicht gehalten, dass du mich noch rechtzeitig zu meinem Vortrag bringen würdest. Ich hätte vor einer Viertelstunde auf dem Podium stehen sollen.“

Alan lächelte sein Clooney-Lächeln in den Himmel. „Aber dort bist du, Kevin. Wir sind live.“