Duisburg. . Ortskenner erwarten, dass bald wieder zwei Lebensstile aufeinanderprallen. Die einen wollen ihre Ruhe, die anderen draußen sein. Abend für Abend.
Es riecht gerade ein bisschen nach Aufruhr in der Gillhausenstraße. Vier Mann hoch, kräftige Kerle in „Ordnungsamt“-Jacken, sind sie gerade eingefallen, fotografieren und kennzeichnen Kleinlaster und Wohnmobile ohne Kennzeichen.
30 oder 40 Roma, deren Gruppe die Fahrzeuge vermutlich zuzurechnen sind und die mit vielen anderen die Straße flächendeckend bewohnen, stehen vor Häusern und schauen; und zwei ältere, einzelne deutsche Männer drücken sich zwischen all dem hindurch. Sie wohnen auch hier, sie führen große Hunde an kurzen Leinen.
32 Schrottfahrzeuge, 57 wilde Müllkippen
Am Ende passiert nichts. Sieben Tage zählt die Stadtverwaltung auf, sie habe bei der einwöchigen „Null-Toleranz“-Aktion in Marxloh 32 Schrottfahrzeuge entdeckt und 57 wilde Müllkippen. In der Liste stehen noch rund 100 mindere Ordnungswidrigkeiten. Nicht die erste Aktion, nicht die letzte, nicht nur in Marxloh.
„In Marxloh ist alles ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Pater Oliver, der Mann, der das Sozialzentrum Petershof aufgebaut hat. Im Schaukasten stehen die Tropfen, die hier versprüht werden von montags früh bis freitags spät und nächste Woche wieder: Kleiderausgabe und Mittagstisch, Alphabetisierungs- und Deutsch-Kurs, Elterncafé Südosteuropa, 1000 Hilfen mehr.
Wenn es heißer wird
Differenzieren ist seine Natur, Abwägen sein Charakter. „Natürlich ist Marxloh keine Idylle, aber auch keine No-go-Area“, sagt Oliver. Er muss lachen, wenn jemand ihn fragt, ob er sich als erkennbar christlicher Geistlicher noch auf die Straßen traue unter all den Muslimen.
Für die nächsten Wochen allerdings erwarten er und andere: Der Stein wird etwas heißer. Weil der Sommer kommt. Und die Roma, geschätzte 4000 Menschen, dann nicht in den heillos überfüllten und stickigen Wohnungen sitzen bleiben. „Bis Mitternacht draußen Halligalli, da weiß man, was passiert.“ Nämlich: Ruhestörung, Polizei – schlechte Presse.
Die Kriminalitätszahlen fallen
Ein Polizist wird das so karikieren: „Es ruft jemand an, dass Leute einfach nicht reingehen wollen. Dann fragen Sie: Wieviele sind das denn? – Na, so 150.“
Nein, im Ernst: Die Kriminalitätszahlen für Marxloh fallen, die bis Ende 2017 zugesagte Verstärkung wirkt. Und doch sagt ein anderer Polizist: „Seit die Kollegen da sind, ist alles gut. Es macht Spaß hier.“ Ironie aus.
Jedes Klischee stimmt – und wieder nicht
Marxloh ist kaputtgeschrieben. Müll, Untaten, Armut. Jedes Klischee stimmt – und 100 Meter weiter wieder nicht. Es gibt die Straßen der Schrottimmobilien und ihr Reihenhäuser gewordenes Gegenteil; es gibt Ecken, da möchte man wirklich lieber nicht her, aber auch Straßen, die so viel jünger und lebendiger sind, als das Ruhrgebiet es für normal hält. Es gibt zwei Marxlohs.
Der einen Charakterisierung entzieht es sich. „Ich fühl mich hier ganz wohl“, sagt eine 80-jährige frühere Lehrerin – und zehn Minuten später sagt eine halb so alte Türkin: „Als Frau kann man abends nicht raus.“ Wann immer im Internet die No-go-Debatte ausbricht, meldet sich garantiert jemand mit: „Ich wohne selbst da, und mir ist noch nie etwas passiert.“ Garantiert.
„Unser erster Laden!“
Vor Senol Sahinsoys neuem Geschäft riecht es zum Beispiel ganz stark nach Farbe und Zuversicht. Der frühere Schlosser bei Evonik hat gerade aufgemacht: Kinderanzüge, Beschneidungsanzüge für Jungen, Kleider für Blumenmädchen, Kommunion, Konfirmation.
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Ein neues Angebot zwischen all den Brautmodengeschäften, zu denen am Wochenende die Internationale der Brautpaare anreist. „Unser erster Laden!“, sagt Sahinsoy – man beachte das „erster“. Wieso? „Ist ja mittlerweile wie Paris geworden. Modestadt.“
Bukarest, Sofia, Skopje, Belgrad
Mittagstisch bei St. Peter. Eine Mahlzeit für einen Euro, und Pater Oliver sitzt mitten dazwischen. Ein älterer Mann spricht ihn an: „Wird unser Marxloh denn noch mal so schön wie vor 30 Jahren?“ Und er antwortet: „Vor 30 Jahren hat Günter Wallraff geschrieben: Man braucht robuste Gesundheit, um im Duisburger Norden zu leben.“
Mit Thyssen als nächstem Nachbar: Wer konnte, der ging. Später sagt Pater Oliver: „Was der Mann am Tisch gesagt hat, ist symptomatisch für Ältere. Das Gefühl: Mein Marxloh ist nicht mehr, die Ausländer haben uns vertrieben.“ Inzwischen ziehen aber auch Türken fort.
Und die Roma? Gefühlt sind es weniger geworden, heißt es. Genau weiß man das nicht, sie denken nicht sehr deutsch in Sachen Meldewesen. Im türkischen Reisebüro jedenfalls zielen die Sonderangebote, die ganz oben stehen, auf: Bukarest, Sofia, Skopje und Belgrad.