Essen. Die Eisenbahnbrücken in NRW sind mit die marodesten in der ganzen Republik. Mehr als die Hälfte ist über 80 Jahre alt, 248 sind Sanierungsfälle.

Fahren noch Ford T-Modelle durch die Straßen unserer Großstädte? Sind noch Dampfloks vor die ICE-Waggons gespannt oder saniert der Landesbetrieb Straßen. NRW saniert erst jetzt die plattenbelegten Ur-Autobahnen aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts? Sehen wir mal von liebevoll gepflegten Oldtimer-Stücken ab: Nein.

Aber wer Schätzchen aus Gründerzeiten sehen will, muss eigentlich nur bis zur nächsten Bahnstrecke laufen. Dort findet er die Eisenbahnbrücken im bevölkerungsreichsten Bundesland.

Mehr als die Hälfte der Brücken in NRW sind älter als 80 Jahre

Von den insgesamt 4458 Gleis-Überquerungen sind 2300, also mehr als die Hälfte, im Greisenalter: Älter als 80. Das Durchschnittsalter der bisher nicht sanierten Brückenbauwerke liegt in NRW bei 67 Jahren. 248 Brücken werden von den Bahningenieuren der schlechtesten Zustandskategorie 4 zugeordnet, was bedeutet: Es sind dringende Sanierungsfälle. Auch: Viele von ihnen findet man im Ruhrgebiet, im Sauerland und nahe Köln.

Die Daten erschrecken. Sie sind offiziell. Die Bundesregierung hat sie in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten im Bundestag aufgeschrieben. Daraus wird zudem deutlich, dass das Bundesland gegenüber anderen Ländern auch hier einen erheblichen Sanierungs-Nachholbedarf aufweist. Bundesweit liegt der Brückenaltersschnitt laut Bundestags-Grünen nämlich bei 55,9 Jahren.

Etwa sechs Prozent der Brücken in NRW sind sanierungsbedürftig

Baden-Württemberg, sagt das Berliner Verkehrsministerium, weist einen Bahnbrücken-Altersschnitt von 59 Jahren auf, Schleswig-Holstein von 57. Der Anteil der „dringend sanierungsbedürftigen“ Bauwerke erreicht in beiden Ländern zwischen drei und vier Prozent. In NRW sind es grob gerechnet sechs Prozent.

Wo also sind die Problemfälle zu finden? Eine Brücke zwischen Nachrodt und Werdohl im Sauerland auf der 104 Kilometer langen Ruhr-Linie zwischen Hagen und Siegen ist der Methusalem. Sie stammt aus dem Jahr 1904. Platz 2 hat ein Bauwerk der Angertal-Bahn bei Ratingen, einer Güterzugstrecke: Baujahr 1910. Ein überraschend großer Anteil der heute noch in Betrieb befindlichen und schnell zu sanierenden oder auch zu ersetzenden Bauwerke ist 1927 in Betrieb gegangen und jetzt genau 90 Jahre alt.

20 Jahre alter Neubau ist Sanierungsfall geworden

Dazu zählen zahlreiche Stücke an den wichtigsten Strecke durchs Revier – wie Brücken bei Duisburg-Kaiserberg über Ruhr und Häfen, die von ICE, IC und Regionalbahnen genutzt werden. Auch rund um Essen und Dortmund räumt die Bundesregierung zahlreiche Sanierungsfälle ein. Im nördlicheren Revier fallen Überquerungen zwischen Bottrop und Osterfeld, zwischen Oberhausen und Duisburg-Meiderich und bei Recklinghausen auf.

Etwas peinlich: Ganz im Süden von NRW, auf der Strecke zwischen Bonn Hauptbahnhof und Bonn-Bad Godesberg, ist ein etwas mehr als zwanzig Jahre alter Neubau zum dringenden Sanierungsfall geworden, Baujahr 1995.

Sanierungsarbeiten dauern lange und sind oft kompliziert

Sanierungsarbeiten ziehen sich lange hin und sind oft höchst kompliziert. Das zeigt gerade das Beispiel der aus dem Jahr 1897 stammenden und knapp 500 Meter langen Müngstener Brücke zwischen dem Ruhrgebiet und dem Raum Köln durch das Bergische Land:

Deren Renovierung zieht sich seit 2015 hin, hatte mehrere Totalsperrungen auch für den S-Bahn-Verkehr zur Folge und dürfte erst 2018 ganz abgeschlossen sein. Bei den Bauarbeiten haben die Statiker ein wichtiges Wort mitzureden: Hält das Bauwerk noch? Inzwischen ist die Bahn zur Erkenntnis gekommen, dass die Brücke eine Lebenserwartung von weiteren 30 Jahren haben dürfte.

Frage der Finanzierung ist noch nicht geklärt

Der Bahn ist der marode Zustand eines größeren Netzteils in NRW bewusst – und auch die technische Schwierigkeit, die die Sanierung im dicht gedrängten und befahrenen Ballungsraum mit sich bringt.

Ihre Ingenieure haben eine brisante Lösung im Kopf und beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) nachgefragt, ob eine völlige Stilllegung des Zugverkehrs im Revier über eine längere Phase möglich sei. Der VRR hat einer Komplettsperrung eine Absage erteilt. „Millionen Menschen“ könnten nicht einfach „abgekoppelt“ werden. Ob der Plan wirklich vom Tisch ist, scheint offen. In Wuppertal ist das Verfahren über die Osterferien angewandt worden.

Bahn kann bis 2019 vier Milliarden Euro für Streckennetz investieren

Ein zweite Frage ist die der Finanzierung der dringend notwendigen Sanierung der 248 baufälligen NRW-Bahnbrücken. Zwischen 2014 und 2016 sind in NRW zwar schon 40 Bauwerke angefasst worden, zahlreiche davon im Rheinland. Und in diesem Jahr stehen zehn weitere auf der To-Do-Liste. Aber die finanziellen Grenzen dürften schnell erreicht sein.

Bis 2019 kann die Bahn vier Milliarden Euro für Investitionen in ihr Streckennetz stecken. Bundesweit. Experten glauben: Alleine der Brückenerhalt koste vier Milliarden. Jährlich.