Gladbeck. . Die einzige Geburtsstation in Gladbeck soll schließen – aus Kostengründen. Zur Welt kommt man dann fast nur noch in den Nachbarstädten.
- Die einzige Geburtsstation in Gladbeck soll zum Jahresende schließen.
- Ab 800 Geburten im Jahr rechnet sich fürs Krankenhaus der Betrieb.
- Die Hebammen protestieren gegen den Beschluss, ebenso viele Bürger und Teile der Politik.
Nina Lostermann hat sich hingesetzt und den „Katholischen Kliniken Emscher-Lippe (KKEL)“ die geharnischte Meinung geschrieben. „Ich habe keinen Führerschein, bereits ein Kind, mein Mann arbeitet in Düsseldorf im Schichtdienst“, so die Frau aus Gladbeck: „Wie soll ich im Fall eines plötzlichen Blasensprungs oder Einsetzens der Wehen ohne Auto mit einem Kind in ein Krankenhaus nach Bottrop oder Gelsenkirchen kommen? Mit dem Bus? Mit dem Taxi? Für 30-40 Euro, mit nur einem Verdienst im Haushalt?“
Wirtschaftliche Interessen sind ausschlaggebend
Das zweite Kind hat die 31-Jährige nämlich geplant für „in ein, zwei Jahren“. Dass die einzige Geburtsstation in Gladbeck dann nicht mehr bestehen würde, das stand freilich nicht im Plan: Die im St.-Barbara-Hospital, betrieben von den KKEL, schließt zum Jahresende.
„Geburtshilfe wird 2017 nicht mehr fortgeführt“ schreibt KKEL jetzt im Internet genau an der Stelle, wo bis vor ein paar Tagen stand: „Sie können sich darauf verlassen, dass wir immer für Sie da sind.“ Soviel zu katholischen Garantieversprechen. Wirtschaftlichkeit schlägt Verlässlichkeit.
Auch in Hattingen gibt es keine Geburtsklinik mehr
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Gladbeck ist kein Einzelfall, es gibt zusehends weniger Geburtsstationen in Deutschland. Nach Zahlen des Verbandes der Hebammen sank ihre Zahl zwischen 1991 und 2014 um 40 Prozent, von 1186 Stationen auf 725. Selbst in einer Mittelstadt wie Hattingen ist es kaum mehr möglich, auf die Welt zu kommen, es sei denn als Haus- oder Sturzgeburt. Und der Trend zum Dichtmachen geht weiter, obwohl die Geburten seit 2011 wieder zunehmen: Von rund 663 000 auf 738 000 im letzten Jahr.
„Eine Geburtshilfe rechnet sich erst ab 800 Geburten oder mehr“, sagt Dr. Ulrike Ellebrecht, Geschäftsführerin der KKEL. Andere Experten gehen gar von 1000 Geburten im Jahr aus. Aus der vertraulichen Liste eines bekannten Babynahrungsherstellers geht hervor: Das erreichen die meisten Krankenhäuser in NRW bei weitem nicht, in denen noch entbunden wird.
Im Ruhrgebiet mehr Geburtshilfen als auf dem Land
Und was macht die Geburtshilfe so teuer? Dass sie ständig vorgehalten werden muss. Dass die Haftpflichtversicherung sehr teuer ist. Dass sie viel Personal braucht. „Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir in NRW eine hohe Dichte von geburtshilflichen Abteilungen, aktuell 173“, so ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums.
Er verweist auch darauf, dass für viele Schwangere die Entfernung weniger wichtig sei als „individuelle Wolhlfühlfaktoren“, die lange vor der Geburt erkundet würden. Und natürlich ist richtig: Das Problem der wachsenden Entfernung zur nächsten Geburtshilfe ist auf dem Land weit dramatischer als im Ruhrgebiet. Deshalb verweist KKEL ja auch auf die Alternativen in Bottrop und Buer.
Viele Hebammen fühlen sich überlastet
Das ist freilich der Moment, in dem Daniela Erdmann der Kragen platzt. „Das Argument hört man sehr häufig“, sagt die 2. Vorsitzende des „Landesverbandes der Hebammen NRW“: „Die Abteilungen laufen aber alle schon am Limit. Da stockt niemand Kapazitäten oder Stellen auf.“ Eine Hebamme im Krankenhaus müsse schon heute bis zu vier Frauen unter der Geburt gleichzeitig betreuen.
Da wird es nun vollends absurd: Denn wegen der Überlastung zögen sich immer mehr Hebammen aus den Krankenhäusern zurück. Der Verband fordert unter anderem, für eine Geburt eine höhere Fallpauschale einzusetzen, um der Wirtschaftlichkeit wieder näher zu kommen.
Noch bis zum 23. Dezember Entbindungen in Gladbeck
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In Gladbeck hat alles nichts genutzt. Nicht die Elterninitiative, nicht die Demonstrationen, nicht die Meinung der Parteien noch der Stadt, nicht der Hilferuf an den Bischof. Die Verwaltung soll nun prüfen, ob man vielleicht ein Geburtshaus einrichten könne. Von Hebammen betrieben. Die Zeit drängt.
Denn die Schließung zum Jahresende bedeutet de facto, dass Kinder hier nur bis zum 23. Dezember auf die Welt kommen können. Damit sie im Fall von Komplikationen noch ein paar Tage auf der Station bleiben können. Für Tanja Pereiras errechneten Geburtstermin ist das knapp zu früh, sie sagt: „Wir haben schon überlegt, ob wir einen Esel mieten und damit am 24. Dezember auflaufen sollen.“
>>>HINTERGRUND:
Hattingen hat die Entwicklung in Gladbeck vorweggenommen. In der 56 000-Einwohner-Stadt gibt es schon seit 2008 keine Geburtsklinik mehr. Haus- und Zufallsgeburten sind selten.
Seit 2012 wurden nach den Daten des „Landesverbandes der Hebammen NRW“ folgende Geburtsstationen im Ruhrgebiet geschlossen: Castrop-Rauxel, Ev. Krankenhaus mit ca 300 Geburten. Essen, kath. Krankenhaus mit 400 Geburten. Kamen, Städtisches Hellmig-Krankenhaus mit knapp 200 Geburten.
Außerdem machten in NRW Geburtskliniken dicht in Bünde, Eitorf und Hemer, in Jülich und Münster, Steinfurt und Warendorf sowie in Wuppertal, Wermelskirchen und Solingen.