Essen. Die Essener Innenstadt rühmt sich als "Einkaufsstadt". In der Tat hat Essen für Shopping-Wütige Einiges zu bieten - nicht zuletzt durch das neue Einkaufszentrum am Limbecker Platz . Doch auch andere Städte glänzen längst mit attraktiven Angeboten. Ist Essen also noch immer DIE Einkaufsstadt?
Wer mit dem Zug in den Hauptbahnhof Essen einfährt, sieht als Erstes das: Einen riesigen Schriftzug „Essen – Die Einkaufsstadt“ auf dem Dach eines gegenüberliegenden Hotels. Ein großes Versprechen an shoppinghungrige Touristen, die zum ersten Mal nach Essen kommen. Aber auch eine klare Ansage an die Essener Bürger, wie sich ihre Stadt nach außen präsentieren will. Doch was bedeutet dieser Schriftzug, der schon seit 1951 die Gäste in Essen willkommen heißt, in Zeiten von identischen „H&M-“, „New Yorker-“ und „Mediamarkt“-Filialen in nahezu allen größeren Städten in Nordrhein-Westfalen? Sticht die Stadt im Herzen des Ruhrgebietes als Einkaufsstadt überhaupt noch aus der Masse hervor?
Über dieses Thema diskutieren die User angesichts des Umbaus am Limbecker Platz in Essens Innenstadt im Forum von „DerWesten“ schon seit einiger Zeit sehr angeregt. Grund genug für „DerWesten“ einmal nachzuhaken: Hält die Einkaufsstadt noch immer das, was sie verspricht? Darauf antworten ein unabhängiger Experte, der Planungsdezernenten der Stadt Essen und der Einzelhandelsverband Ruhr mit einem entschiedenen „Ja, aber“. „Ja“, weil es in Essen laut Meinung von Theodor Damman, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Ruhr nach wie vor einen guten „Branchenmix“ bei den Geschäften gibt und zudem alle „namhaften Ketten“ vertreten seien. „Aber“, weil eben seit 1951, als Essen sich selbst als Einkaufsstadt deklarierte, Einiges passiert ist.
Einkaufsstadt kein Alleinstellungsmerkmal im Ruhrgebiet mehr
Denn ein Alleinstellungsmerkmal hat Essen durch sein Angebot an Geschäften schon lange nicht mehr. „In der Nachkriegszeit war Essen nahezu konkurrenzlos, da gab es einfach kaum gute Geschäfte in der Umgebung. Durch ihre zentrale Lage wurde die Stadt zum Mekka der Einkaufswilligen“, erinnert sich Hans-Jürgen Best, Essener Planungsdezernet, nicht ohne Wehmut. Diese Zeiten sind spätestens seit „Ruhrpark“, „Centro“ und Co definitiv vorbei. Die so genannten „Einkaufszentren auf der grünen Wiese“ machen den Innenstädten die Besucher abspenstig. In den vergangenen Jahren erlebte Essen einen Rückgang der Kaufkraftbindung von acht Prozent.
Mit dem Bau des riesigen Einkaufstempels am Limbecker Platz will Essen dem einen Riegel vorschieben: Wenn im kommenden Herbst wie geplant auch der zweite Bauabschnitt fertig ist, sollen allein dort auf 55.000 Quadratmetern so genannter „Netto-Verkaufsfläche“ mehr als 200 Geschäfte zum Geldausgeben anreizen. Der Konsumbereich des Hauptbahnhofs wird erweitert und modernisiert und auch das „City-Center“ soll als „Rathausgalerie“ in Zukunft in neuem Glanz erstrahlen und einen weiteren Anlaufpunkt für Powershopper bilden.
Großes Angebot, zentral gelegen
Diese „T-Struktur“ hält Stefan Kruse, Kommunalberater und Einzelhandelsgutachter aus Dortmund, für eine Stärke der Einkaufsstadt Essen. „Die drei Pole bilden gute Ankerpunkte, zwischen denen sich Frequenzen bilden können“, sagt der Fachmann. Auf Deutsch: Der geneigte Shopper hält sich nicht nur in einem der drei Konsumtempel auf, sondern flaniert auch von einem zum anderen und nimmt vielleicht sogar all die kleinen Läden auf dem Weg wahr, die es sonst noch in der Innenstadt gibt. Für Planungsdezernent Best macht die Lage der großen Warenhäuser mitten im Essener Zentrum die Stadt so einzigartig. „Hier haben die Menschen alles, was sie im ´Centro´ auch haben und sind trotzdem sofort am Hauptbahnhof.“
Doch – mehrere Highlights für Einkaufswillige haben viele Städte; und auch Wuppertal liegt zum Beispiel sehr zentral zwischen Köln und Düsseldorf. Die Crux ist also: Was hat die Einkaufsstadt Essen, was andere nicht haben? „Ein Dortmunder würde heutzutage nicht mehr zum Einkaufen nach Essen fahren, weil er dort alle großen Ketten findet, die er auch in Dortmund hat“, so die Erfahrung des Kommunalberaters Kruse. Um wirklich Kundenströme aus dem Umland anzuziehen, müsse eine Stadt auch individuelle Angebote installieren, ein „Refugium für Spezialisten“ schaffen. So solle eine Einkaufsstadt zwar durchaus den nachgefragten „Mainstream“ der großen Ketten bedienen, aber zusätzlich auch durch Straßenzüge mit hochwertigen Läden und Gastronomie ein „Mehr an Qualität“ bieten. Stefan Kruse führt dazu als gelungenes Beispiel das „Rosenviertel“ an der Kleppingstraße in Dortmund an. Der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Ruhr, Damman, kontert das Beispiel mit der Essener „Theaterpassage“, in der viele Läden und Gastronomie im Hochpreissegment angesiedelt seien. Die Innenstadt im Allgemeinen wolle man aber lieber für ein breites Publikum „mit unterschiedlichen verfügbaren Einkommen“ gestalten. Jeder Kunde ist schließlich König.
Stadt hat kaum Einfluss auf "elende Filialisierung"
Auch Planungsdezernent Best bedauert die „elende Filialisierung“, die ihn aber nicht nur in seiner Heimat Essen verfolge, sondern nach eigenen Angaben bis in den Sommerurlaub nach Italien. „Überall die gleichen Ketten, die einzigen Unterschiede bilden noch die kleinen, inhabergeführten Einzelhandelsgeschäfte. Doch wir von der Stadt haben kaum Einfluss auf die Ansiedlung bestimmter Läden in einer Straße – das regelt die freie Marktwirtschaft“, erklärt Best. Denn die Kommune kann nur aus städtebaulichen Gründen ein bestimmtes Geschäft ablehnen, im Einzelfall auch aus Schutz der Sittlichkeit; so darf etwa nicht an jedem Standort ein Erotikkino eröffnet werden. In der Regel haben Geschäftsführer aber eine Rechtsanspruch auf die Einmietung in eine Immobilie – das letzte Wort haben dann immer die Eigentümer.
Und das obwohl Essen als so genanntes „Oberzentrum“ auch eine Verantwortung trägt. Ab einer gewissen Größe gelten Städte als Oberzentren, die nicht nur ihren Bürgern, sondern auch den Einwohnern kleinerer Nachbarstädte einen gewissen Standard an Waren, Dienstleistungen, kulturellen Einrichtungen und Bildungsstätten bieten müssen. Seiner „oberzentralen Versorgungsaufgabe“ muss Essen mit der Bereitstellung von „H&M“ und Co nachkommen, aber eben auch mit individuellen Spezialgeschäften. „Das Problem ist, dass die Inhaber kleiner, hochwertiger Läden oft nicht in im Stande sind, die horrenden Mieten in den hochpreisigen Lagen zu zahlen. Sie sind dann gezwungen, an den Rand der Innenstädte abzuwandern“, beklagt Kommunalberater Kruse. Weil die großen Ketten dagegen die Mieten zahlen können, komme es zu einer „Mc Donaldisierung“ der Innenstädte, im Fachjargon zu einem „ubiquitären Angebot“.
"Aufenthaltsqualität" statt reinem Zweckeinkauf
Für den Kunden heißt das: Er kann auch in seiner eigenen Stadt bleiben und dort einkaufen – das Angebot ist fast überall das selbe. Falsch, sagt der Essener Planungsdezernent Best: In Essen kaufe man in Zukunft mit „viel mehr Flair“ ein. Die Stadt wolle ihren Besuchern mehr bieten als nur eine hohe Dichte an bekannten Läden. In der Einkaufsstadt von heute gehe es nicht um den reinen Zweckeinkauf, da spielten Umgebung und „Aufenthaltsqualitäten“ eine immer größere Rolle. Auch Theodor Damman vom Einzelhandelsverband Ruhr betont: „Der heutige Kunde kauft da ein, wo er sich wohlfühlt. Und er ist mobil genug, um sich den schönsten Ort in seiner Region zum Shoppen auszusuchen.“
Um diese Botschaft adäquat zu transportieren, müsste der Schriftzug auf dem Schild am Hauptbahnhof dann in Zukunft wohl besser lauten: „Essen – die Wohlfühl-Einkaufsstadt“ oder doch einfach nur „Essen – EINE Einkaufsstadt“?