Essen. . Über „Airbnb“ werden werden immer mehr private Unterkünfte vermittelt. Auch im Ruhrgebiet wächst die Zahl der Angebote rasant. Und die Kritik am Modell.

Die Idee war so charmant wie bestechend: Wer Platz übrig hat, teilt ihn. Mit netten Gästen. Der, der Luftmatratze (engl.: Airbed) und Frühstück (breakfast) bereit stellt, kann sich so ein Zubrot verdienen; den, der beides in Anspruch nimmt, kostet es nicht viel. 2008 gründeten zwei Studenten in San Francisco auf dieser Idee die Firma Airbnb (Airbed ‘n breakfast). Heute ist das Unternehmen der weltweit erfolgreichste Online-Marktplatz für private Unterkünfte. Doch auf dem Weg an die Börse ging der Charme des Modells manchem verloren. Zwei Essenern jedenfalls raubt es die Nachtruhe.

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Familie Hatwich lebt in einem Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Straße auf halbem Weg zwischen Essen-City und Rüttenscheid. Vor 40 Jahren zog das Paar ein; 20 Jahre später kaufte es die Wohnung. Nun können Lothar und Christel Hatwich nachts nicht mehr schlafen. Da ständig Touristen mit Rollkoffern polternd anrückten, wie sie sagen. Und aus Sorge: weil oft Fremde im Haus seien, „die sich nicht immer an die Regeln halten“.

„Grundsätzlich ist gegen eine Vermietung an Feriengäste nichts einzuwenden“

Drei Parterre-Wohnungen wurden zu Ferienunterkünften umgebaut. Ein Makler bietet sie im Namen der Eigentümerin unter anderem auf Airbnb an. Niemand sonst im Haus hat ein Problem damit, sagt der Makler. Im Übrigen sei es Sache der Eigentümerin, was sie mit ihren Wohnungen mache.

Grundsätzlich sei gegen die Vermietung an Feriengäste nichts einzuwenden, bestätigt Werner Klönne, Leiter der Rechtsabteilung des Mieterschutzbunds. „Man kann einem Vermieter nicht vorschreiben, an wen er vermietet.“ Wenn der Dauermieter 1000 Euro im Monat zahle und der Urlauber 2000, sei die Sache klar; auch wenn Mieter Touristen im Haus „erfahrungsgemäß nicht gut finden“. Viele Beschwerden aber gebe es nicht.

„... da nicht mehr alle Kinder bei uns wohnen“

In der Tat liegt das Problem mit Airbnb wohl woanders. Über 700 Unterkünfte bietet das Portal eigenen Angaben zufolge in Essen an, knapp 400 sind es in Dortmund, gut 280 in Bochum. Niemand weiß genau, wer hinter den Angeboten steckt. Die Zahl der Profi-Gastgeber verrät Airbnb nicht. Man könne nicht verhindern, dass sie die offene Plattform nutzten, sagt Julian Trautwein, Pressesprecher der Firma. Doch er betont: „Wir stehen noch immer für Home-Sharing“ – für Menschen, die ihr Zuhause mit anderen teilen wollen.

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Für Menschen wie Oliver und Thomas also: Einen Raum ihrer Mülheimer Altbauwohnung halten sie für Gäste frei, „um euch die Zeit im Ruhrgebiet zu verschönern“. 35 Euro kostet die Nacht, zur Begrüßung gibt’s Obst, und die Wanne im Bad biete „Platz für zwei“. Bernd und Judith fordern 25 Euro für eine Nacht in ihrem Heim über dem Kemnader See. Ein Zimmer stehe leer, „da nicht mehr alle Kinder bei uns wohnen“. Man koche gern und wolle „ein Stück der weiten Welt in unsere kleine Welt herein holen“.

Das „Zweckentfremdungsverbotsgesetz“ von Berlin

Die Essener Maklergesellschaft aber, deren Gäste die Hatwichs nerven, bietet nicht nur drei Wohnungen in deren Haus, sondern acht weitere an. Auch anderswo schummeln sich quasi-gewerbliche Vermieter unters einst so liebenswerte Airbnb-Volk, wie eine Studie der FH Potsdam zeigt. Sie untersuchte unlängst die Lage in Berlin, mit 16.000 Unterkünften deutsche Airbnb-Hauptstadt. Zehn Prozent der Gastgeber dort bieten mehr als eine Unterkunft an, die Top Ten 281. Die Angebote konzentrieren sich auffällig auf drei Stadtteile. Bezahlbarer Wohnraum werde so noch knapper, folgert die Studie.

Die Stadt zog 2014 die Reißleine: Seither verbietet sie, Mietwohnungen als Feriendomizil anzubieten. Die Übergangsfrist für das so genannte „Zweckentfremdungsverbotsgesetz“ läuft im April aus. Im Ruhrgebiet gibt es nur in Dortmund eine ähnliche Verordnung; sie soll aber vor allem Leerstand verhindern.

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„Wir möchten auch, dass Wohnraum bezahlbar bleibt“, sagt Julian Trautwein. Zu Gesprächen mit Städten, die mit Airbnb ein Problem haben, sei man daher gern bereit – auch was entgangene Steuer betreffe. Er gebe aber zu denken, dass die günstigen Airbnb-Angebote manchem den Urlaub in einer beliebten Region überhaupt erst ermöglichten, und dass mancher, der einen Teil seiner Wohnung vermiete, sich diese nur so leisten könne.

Dehoga kritisiert „Wettbewerbsverzerrung“

Axel Biermann, Geschäftsführer von Ruhr Tourismus, spricht von einer „schwierigen Situation“. Bislang seien ihm keine Beschwerden bekannt, aber er fürchte eine „Wettbewerbsverzerrung“. Man beobachte „eine gewisse Asymmetrie“, sagt Thorsten Hellwig, Sprecher des Hotel- und Gaststätten-Verbandes NRW. Wer gewerblich Menschen beherberge, „muss gleich behandelt werden, ob er Hotelier ist, eine Pension betreibt oder bei Airbnb aktiv. Deshalb fordern wir gleiche Voraussetzungen in Bezug auf Hygiene, Baurecht und Brandschutz“.

Nachbarn, die sich gestört fühlen, rät Werner Klönne vom Mieterschutzbund, ein Lärmprotokoll anzufertigen. „Unter Umständen rechtfertigt die Störung eine Mietminderung von zwanzig Prozent.“

Zahlen und Fakten

  • 1800 Euro verdienen Gastgeber durchschnittlich pro Jahr. Das Einstellen des Angebots ist kostenlos, Airbnb finanziert sich über eine Gebühr. Erträge der Firma: geschätzte 900 Millionen Dollar (2015).
  • 200. 000 Unterkünfte waren Ende 2015 weltweit gemeldet; darunter: 1400 Schlösser, 620 Baumhäuser, 270 Inseln und 50 Leuchttürme.
  • 70 Prozent Plus im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete Airbnb im März 2016 bei der Zahl der deutschen Gastgeber.
  • 4000 Unterkünfte werden in Köln angeboten, der stärksten Airbnb-Stadt in NRW.