Köln/Ruhrgebiet. Frauen wollen sich von den Exzessen in der Silvesternacht nicht einschüchtern lassen. „Die Armlänge Abstand“ ist zum Spruch der Session geworden

Neulich nachts haben sie dieses Foto gemacht: vier Frauen am Dom, mit Minirock, Netzstrümpfen und pinkfarbener Perücke. Und jeweils einer Hand auf der Schulter der Vorderfrau, Nadine muss das jetzt noch mal erklären: die „Armlänge Abstand“.

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Dieser Ratschlag der Kölner Oberbürgermeisterin nach den sexuellen Übergriffen von Silvester hat sich im örtlichen Karneval längst selbstständig gemacht. Bei Sitzungen, in den Kneipen, auf der Straße: Die „Armlänge Abstand“, die Frauen wenigstens von unbekannten Männern halten sollen, ist zum Spruch der Session geworden und zugleich überall Bitte zum Tanz – Polonaise! Köln, wie es singt und lacht. Köln wie – immer?

„Wir verzichten doch nicht auf unsere Weiblichkeit“

„Nach Silvester“, glaubt die Anwältin Ghazale, 34 und auch auf dem Foto, „ist Karneval sicherer als vorher. Da passiert nichts.“ Als Kölsches Mädche („mit iranischem Migrationshintergrund“) lässt sie sich in ihrer Narretei „nicht einschränken“. Den selbst genähten Lappenrock hat sie sogar noch um eine Lappenlage gekürzt und eben extra Lippenglanz aufgelegt. „Wir verzichten doch nicht auf unsere Weiblichkeit“, sagt Freundin Stefanie. „Man könnte jetzt natürlich hoch geschlossen gehen. Oder gar nicht. Aber wir lassen uns unseren Spaß nicht nehmen!“

Und man muss nicht einmal aus Köln sein, um so zu denken. Auch Laura aus Essen lässt sich „nicht einschüchtern“. Das fehlte ihr noch, dass man ihr „jetzt das Karnevalsgefühl nimmt“. Die Studentin, 25, stürzt sich mit drei Essener Freundinnen in die Kölner Weiberfastnacht, wie jedes Jahr und auch diesmal „ohne mulmiges Gefühl“. Karneval, sagt Laura, „kann immer was passieren“, vielleicht diesmal aber auch gerade nicht: „Die Polizeipräsenz. Wenn was ist. . . Ich fühle mich sicher.“

Zur Not an Karneval mit dem Taxi nach Hause

Linda dagegen bleibt in Oberhausen. Der Kölner Karneval, sagt die 33-Jährige, sei ihr „schon vor ein paar Jahren zu übergriffig“ geworden. „Aber das hat nichts mit Einwanderung zu tun.“ Wohl damit zu tun hat, dass die zweifache Mutter in diesem Jahr Gäste mitnimmt zum Oberhausener Umzug: ihre syrischen Nachbarn. Sie werden mitten in der Stadt am Straßenrand stehen, mit lauter Freunden der KG Blau-Gelb St. Marien. Das ist wichtig für Linda: „Wenn mir mal einer zu nahe gekommen ist im Karneval, waren da immer Freunde um mich herum. Und das ist dieses Jahr auch so.“

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Darauf setzen auch die Freundinnen aus Köln. „Wir geben aufeinander acht“, das haben Nadine, 40, und die anderen einander versprochen. „Keiner geht allein nach Hause.“ Und wenn das Geld alle ist, schmeißen sie eben das Taxigeld zusammen. Aber auch das war eigentlich immer schon so, und Nadine ist da eher schicksalsergeben: „Wenn etwas passieren soll, passiert es sowieso.“

"Bist du sicher, dass du feiern gehen willst?"

Blauäugig sind die Frauen trotzdem nicht unter den künstlichen rosa Wimpern. „Ich habe Sensoren“, sagt Ghazale. „Ich gehe nicht durch Gruppen hindurch, und ich mag es nicht, wenn jemand im Dunkeln hinter mir her geht.“ Ihre Familie hat die 34-Jährige durchaus gefragt: Bist du sicher, dass du feiern gehen willst? Bleib doch lieber zuhause! Und Stefanie kennt tatsächlich Leute, die diese Session auf den Straßenkarneval verzichten, meist von auswärts. „Die wollen abends nicht vom Bahnhof aus zurück.“

Dort stehen zwar jetzt immer viele Polizeiwagen, aber sie erinnern Nadine auch immer an die „tragische Nacht“. Ohnehin geht sie lieber in den „Veedels“-Karneval, in den eigenen Stadtteil. Da kennt man die Leute. Auch die Bochumerin Katharina meidet die Massen. Die 22-Jährige feiert, aber eher in der Kneipe als auf den großen Plätzen. „Weil man dort eh immer angemacht wird.“ Immer.

Das mit der „Armlänge Abstand“, so weiß man als Jeckin, klappt im Karneval eben allenfalls bei der Polonaise.