Essen. . Im Morgengrauen griffen sie zu: Im Oktober 2015 hat die Ermittlungskommission Kasimir eine international agierende Bande von Navidieben gesprengt.
Mit einem leisen Quietschen öffnen sich die schweren Türen des Containers, der gut bewacht an einem geheimen Ort in Essen steht. Unscheinbar sieht er von außen aus, im Inneren stapelt sich High-Tech. Auf langen Regalen liegen da Navigations- und Entertainment-Systeme, Airbags, Scheinwerfer. Alle gestohlen, überall im Ruhrgebiet und im Rheinland, sichergestellt bei einer der größten deutschen Razzien gegen das organisierte Verbrechen. Im Oktober 2015 schlugen die Fahnder zu, und dass sie so erfolgreich waren, das liegt vor allem an den Männern der Ermittlungskommission Kasimir.
Zwei von ihnen sind an diesem Morgen gekommen. Bilder von sich wollen sie nicht in der Zeitung sehen, ihren echten Namen nur ungern dort lesen. „Wir wollen ja auch in Zukunft noch verdeckt ermitteln können“, sagt einer. Und nicht gegen irgendwelche Strauchdiebe, sondern auch gerne mal gegen „die Mafia“. Nennen wir sie also Dirk Müller und Martin Weber.
Umschlagplatz für frisch gestohlene Navis
Als Essens Polizeipräsident auf der Pressekonferenz erzählt von den Festnahmen, den sichergestellten Beutestücken, da liegt bereits ein Jahr Arbeit hinter den Ermittlern. Natürlich kennen sie die steigende Zahl von Navi-Diebstählen viel länger. Sie lesen ja Zeitung, sie bekommen die Statistiken. „Aber du brauchst etwas, bei dem du ansetzen kannst“, sagt Weber.
Das bekommen sie im Herbst 2014. Da kriegt Weber einen Tipp, dass eine Lagerhalle am Essener Autokino als Umschlagplatz für frisch gestohlene Navis dient. Dort werde Ware gesammelt und nach Litauen geschafft, wo die Navis umprogrammiert werden und auf dem Schwarzmarkt zwischen 300 und 500 Euro bringen. Natürlich könnten sie jetzt handeln, könnten die Halle sofort durchsuchen, vielleicht sogar jemanden festnehmen. „Aber was hätte uns das gebracht?“, fragt Weber. „Wir wollten nicht die Ameisendiebe, wir wollten die Hintermänner.“
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Die Bosse ordern, Kinder liefern
Also sprechen sie mit der Staatsanwaltschaft, nehmen Kontakt zu den Kollegen in Osteuropa auf. Damit sie verdeckt ermitteln können über die deutschen Grenzen hinaus. Das klingt einfach, ist aber mit unglaublichem bürokratischen Aufwand verbunden. Und längst nicht immer rennen sie dabei offene Türen ein. Dieses Mal schon. „Dieses Mal hat alles gepasst“, lobt Müller.
So beginnen sie – verstärkt durch Kollegen aus Nachbarstädten und anderen Kommissariaten – zu observieren; sie hören Telefone ab, sammeln Informationen, erkennen Zusammenhänge. Bald wissen sie, wie die Bande arbeitet. Sie erfahren von den „Kindern“, 16- bis 19-jährigen Jugendlichen, die aus Litauen herübergeschickt und einem „Gruppenführer“ zugeordnet werden, der sie einweist, beaufsichtigt und auch Schläge verteilt, wenn sie nicht parieren.
Nachts ziehen die Kinder los
Nachts ziehen die „Kinder“ durch die Straßen um zu liefern, was die Bosse in Litauen geordert haben. Navis oder Radios, manchmal ganze Autos. BMW, Mercedes, Porsche, hin und wieder unauffällige Vans oder Lieferwagen. Entdecken sie, was sie suchen, kriegen sie ein Video auf ihre Smartphones geschickt, das haargenau zeigt, wie sie das Auto knacken und das Navi ausbauen müssen. „Für jede Marke, für jeden Typ.“
Rücksicht kennen die jungen Diebe nicht. Sie rupfen raus, schneiden Kabel ab, verwüsten Armaturenbretter. Schäden in fünfstelliger Höhe sind keine Ausnahme. Und oft kommen sie wieder, weil sie wissen, dass die Geschädigten ja ein neues Gerät haben einbauen lassen. Müller kennt einen Bochumer, dem haben sie fünfmal in ein paar Monaten das Navi gestohlen. „Da kannst du nur raten, sich ein anderes Auto zu kaufen.“
Wenn sie Verdächtige auf frischer Tat ertappen oder von konkreten Beutezügen erfahren, müssen die Fahnder zugreifen. „Strafverfolgungszwang“, sagt Weber, und wie er das sagt, klingt es nicht so, als wäre er begeistert. „Das kann viel kaputt machen“, weiß er. Doch wieder haben die Fahnder Glück. Die Bande legt die Festnahmen unter der Rubrik „Berufsrisiko“ ab. Meist kommt schon am nächsten Tag Ersatz aus Litauen.
„Wir können die Sache beenden“
Zwölf Monate trägt die 13-köpfige EK Kasimir Beweise zusammen, dann sagt die Staatsanwaltschaft: „Wir haben genug belastendes Material, wir können die Sache beenden.“ Noch einmal glühen die Drähte zu den Kollegen, werden Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse ausgestellt, Zeitpläne abgestimmt, letzte Informationen gesammelt. Die Nächte vor dem Zugriff schlafen Müller und ein paar Kollegen zwecks Telefonüberwachung auf Luftmatratzen im Büro. „Zwei, drei Stunden vielleicht.“
Dann ist es soweit. Im Morgengrauen des 20. Oktober schlagen die Fahnder zu. In ganz Deutschland und in Litauen durchsuchen sie 110 Wohnungen und Büros, am Ende des Tages haben sie 47 Personen festgenommen und Diebesgut für knapp 4,2 Millionen Euro sichergestellt. „Aber damit“, so Müller, „war die Arbeit nicht beendet.“
Gut 150 Meter Akten stehen mittlerweile auf den Fluren des Kommissariats. „Das werden aber noch mehr“, ist Müller sicher. Denn immer noch sind sie damit beschäftigt, die rund 1200 sichergestellten Navis den passenden Anzeigen zuzuordnen. Schon die gestohlene Ware mit einem versiegelten Lkw und vier Beamten wieder nach Deutschland zu holen, war aufwändig. Durch Polen durfte das Diebesgut nach geltendem Recht nicht transportiert werden. „Wir mussten eine Fähre nehmen.“ Die fünf Hauptverdächtigen haben sie mittlerweile mit dem Flieger nach Deutschland geholt. Mit einem deutschen Flieger. „Sonst hätten wir ausländisches Hoheitsgebiet betreten. Verboten.“
„50 Jahre Knast“
Noch in diesem Jahr sollen die Köpfe der Bande in Essen vor Gericht kommen. „Wenn am Ende des Verfahrens 50 Jahre Knast herauskommen“, findet Müller, „hat sich die Mühe gelohnt.“ Auch Weber ist nicht unzufrieden. Nicht nur die kleinen Fische, auch die großen Hechte seien ins Netz gegangen. Dauerhafte Entwarnung vor Navidieben aber will er nicht geben. „Da drüben“, ist Weber überzeugt, „gibt es genügend Leute, die das Geschäft hier fortsetzen wollen.“