Ochtrup. . Am 25. November vor zehn Jahren erlebte NRW die größte Energiekrise seiner Geschichte: Plötzlicher Eisregen setzte das Münsterland Schach matt.

Der November 2005 ist warm, ähnlich wie in diesem Jahr. Niemand ist auf den Winter eingestellt, als er kommt – am 25. November vor zehn Jahren. „Niederschläge, die auch im Flachland vielfach als Schnee fallen“ hat der Wetterbericht angekündigt und „Wind mit Stärke 4 bis 6 aus südwestlicher Richtung“. Freitagsmorgens schon fängt es an zu schneien, abends ist es weiß im ganzen Ruhrgebiet. Im Münsterland ist es zudem dunkel. Am frühen Nachmittag sind dort die Lichter ausgegangen. Und in manchen Orten dauert es Tage, bis sie wieder angehen. Nordrhein-Westfalen erlebt die größte Energiekrise seiner Geschichte.

100 Jahre hat es nicht so geschneit im Land. Binnen 24 Stunden fallen zwischen 30 und 50 Zentimeter. Am schlimmsten trifft es das westliche Münsterland. Deshalb schellt am späten Nachmittag bei Christof Huil das Handy. Huil, bei der RWE-Tochter „Westnetz“ verantwortlich für Betrieb und Instandhaltung der Leitungen, eilt in die Zentrale. Dort gibt es große Bildschirme, die den Zustand des Netzes anzeigen. „Die wurden nach und nach immer dunkler.“ Wie das Land. 82 Strommasten sind unter der Last des nassen Schnees geknickt, 250.000 Menschen ohne Elektrizität. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

"Ich habe gedacht, es dauert nicht lange"

„So etwas gibt es nur einmal in 100 Jahren“: RWE-Techniker Christoph Huil zum Schneechaos vom November 2005 im Münsterland. (Foto: dpa)
„So etwas gibt es nur einmal in 100 Jahren“: RWE-Techniker Christoph Huil zum Schneechaos vom November 2005 im Münsterland. (Foto: dpa)

Elisabeth Wilken steht in ihrem Haus in Ochtrup am Bügelbrett, als die Lichter ausgehen, schaut aus dem Fenster. „Alles dunkel.“ Sorgen macht sie sich nicht. „Ich habe gedacht, das dauert nicht lange“, erinnert sich die heute 64-Jährige.

Ein Irrtum. Doch Elisabeth Wilken und ihr Mann Heinrich haben Glück im Unglück. Sie haben nicht nur ein analoges Telefon, ein batteriebetriebenes Radio und reichlich Kerzen im Haus, sondern auch einen alten Kohleofen, den sie anwerfen können. Bald kommen die ersten Nachbarn, um sich aufzuwärmen. „Wir sind alle etwas zusammengerückt.“ Das Haus verlassen wollen die Wilkens nicht. Lieber gehen sie dick vermummt ins Bett. „Dann ging das schon.“

Die Menschen rückten zusammen

Bei anderen im Ort geht es nicht. Die Kühe der Bauern leiden Schmerzen, weil die Melkmaschinen nicht arbeiten. Junge Mütter suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, die Milch für ihre Babys zu erwärmen. Während Stadthallen zu Notquartieren umfunktioniert werden, sind Huil und seine Männer rund um die Uhr im Einsatz. Die Handynetze sind zusammengebrochen, LKW mit Notstromaggregaten und Lichtmasten bleiben im Schneesturm stecken.

Auf „drei Wochen“ schätzt ein Experte die Dauer der Reparaturarbeiten. Am Ende brauchen die RWE-Techniker fünf Tage. Eine Leistung, auf die Huil bis heute stolz ist. „Das hätten nicht viele geschafft“, sagt er, gibt aber zu, dass das nur möglich war, „weil alle an einem Strang gezogen haben“. Das THW hilft beim Equipment aus, das DRK bringt Verpflegung, Anwohner bieten Zimmer und Garagen für Ruhepausen an.

15 Zentimeter dicker Eispanzer legte sich um Stromleitungen

Trotzdem gerät der Stromriese unter Beschuss. Die Deutschen lernen den Begriff „Thomasstahl“ kennen. In den 50er-Jahren erlaubt, aber im Alter leicht brechend. „Und die alten Masten“, behaupten viele Ochtruper lange Zeit, „sind als erste umgefallen.“ Huil schüttelt den Kopf. „Auch neue Masten sind gefallen, wenn sie ungünstig standen.“ Und gebrochen, sagt er, sei kein einziger. „Alle umgenickt.“ Weil sich um die eigentlich 23 Millimeter starken Leitungen dazwischen ein 15 Zentimeter dicker Eispanzer gebildet hatte. „Schuld war allein das Wetter, haben Gutachten bestätigt.“

Dennoch hat man reagiert bei RWE. Hat Satelliten-Telefone angeschafft, Notfallausrüstung aufgestockt und die Zahl der Übungen erhöht. Und die Masten können jetzt die doppelte Schneelast tragen. Selbst das hätte vor zehn Jahren allerdings nicht gereicht. „Dem Wetter hätte nichts standgehalten.“ Grund zur Sorge besteht nach Huils Einschätzung aber nicht. „So etwas“, glaubt er, „gibt es nur einmal in 100 Jahren.“