Nostalgischer Besuch auf Zeche Auguste Victoria in Marl
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Ruhrgebiet. . Ein dampfender Sonderzug brachte am Samstag 320 Bahn- und Zechenbegeisterte nach Marl. Im nächsten Monat ist dort Schicht am Schacht
Der Zug ist schon von gestern, die Zeche wird es bald sein. Schnaufend, ratternd, bimmelnd fährt die alte Dampflok am Samstag zu Auguste Victoria, ein letzter Besuch zweier Hundertjähriger; vor Weihnachten noch ist Schicht am Schacht in Marl. „Abschied von der Kohle“ hat das Eisenbahnmuseum diese Ausfahrt genannt, „noch mal werden wir nicht hinkommen“, sagt Walter Thomassen. „Der letzte Personenzug überhaupt.“
Personen sind es heute 320, plus ein paar Schaffner im historischen Frack. Die meisten buchten Holzklasse, man sitzt recht kuschelig in den betagten Waggons. Gehstöcke zwischen den Beinen, ein gutes Tröpfchen in der Tasche, Kamera in der Hand, und manchmal springen sie auf: „Guck, da kannste den alten Förderturm noch sehen!“ Ohnehin ist es ein Schauspiel: die blankgeputzte preußische P8 vorn, der weiße Dampf, in den sie die Bahnhöfe hüllt, die grünen Wagen dahinter, das bunte Laub. Die Kulisse wird wohl tausendfach fotografiert, man hätte diesen Tag nicht schöner malen können.
Dabei gehört es sich doch, traurig zu sein. Das Zugpersonal erwartet Wehmut -- es sollte die Bahnbegeisterten besser kennen. Die nennen einander „Bahni“ und kriechen bei jedem Halt bald unter die alten Achsen, um noch die allerletzte Niete zu knipsen. Die anderen: sind dann wohl „Zechis“: Torsten Rüdiger beispielsweise, aus Regensburg angereist, weil ihn Zechen schon als Kind faszinierten. „Es ist das Gigantische.“ Barbara Meisner aus Düsseldorf, die schon weinen muss, als sie den Bahnhofsaushang sieht, „Sonderzug zu Auguste Victoria“. Der Vater fuhr dort einst ein, „da stirbt jetzt etwas“, sagt die 51-Jährige. Auf ihrer Schulter wird es weiterleben: Dorthin hat sie sich den Förderturm von „AV“ tätowieren lassen, „Mein Erz, mein Herz“.
„Herzschmerz ist schon dabei“
Zusammen ruckeln sie durch den Norden des Reviers, über unbekannte Güterzuggleise, „schön“ nennt Nikolai Ingenerf in seiner Durchsage „diese Hinterhöfe des Ruhrgebiets“. Es geht vorbei an Matthias Stinnes, General Blumenthal, Unser Fritz, die stillgelegten Zechen stehen dem Zug Spalier. „Als hätten wir“, knarzt die Stimme durch das Zugtelefon, „noch nicht genug davon gehabt heute.“
Mit der Dampflok zur Zeche
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Im Wagen „Hannover“ lauscht Wilhelm Form, im Bauch „eine Gefühlsmischung aus Wiedererkennens-Freude und Wehmut“. Es ist ihm Gewohnheit, mit dem Dampfzug zu fahren, aber diesmal dachte er sich: „Nimmste AV noch mal mit.“ Manchmal trifft er Kollegen, „die jetzt noch auf Sohle sind“. Aber Bergleute, hat Walter Thomassen gesagt, „werden rar“.
Matthias Ingenerf, Nikolais Opa in Wagen 1, war einer, 80 Jahre alt und 26 Jahre auf Hugo. „Man fühlt sich“, sagt der Gelsenkirchener, „immer noch hingezogen.“ Den Abschiedsschmerz aber, behauptet Peter Wurbs, 34 Jahre Ewald und Hugo, „habe ich hinter mir gelassen“. Wurbs redet tapfer von neuen Zeiten, aber „Herzschmerz ist schon dabei“. Sagt seine Frau.
Und als wäre der Nostalgie noch nicht genug, spielen sie bei der Einfahrt auf Auguste Victoria das Steigerlied, „wie die Nationalhymne beim Fußball“. Für Thomassen ist das „jedes Mal wie Weihnachten“: zu sehen, ob jemand singt. Und sie singen, die Männer vor allem, die meisten reglos in ihrer Bank. Nur: Fehlte da nicht die Strophe mit dem Schnaps? Da neigt sich in Wagen 3 Herbert Schäfer vor, 90 Jahre alt und „Ich war Steiger!“ auf Katharina in Essen, die ist auch schon über 40 Jahre zu. Schäfer singt. Lauter als der Lautsprecher: „Und sie tragen das Leder vor dem Arsch“, dröhnt er, seine Urenkel lassen mit offenen Mündern die Smartphones sinken. „Und saufen Schnaps!“ Der Opa…
Man sieht nicht viel von AV hinter Stahl und Birken, kurz erscheint der Doppelbock, die Bahn bimmelt, am Materialplatz nehmen Männer den Helm ab und winken. Hier liegt das Werkzeug, das man im Abbau braucht, „nicht mehr lange“, brummt jemand. Es fällt der Begriff Zukunft, aber die sei nun „relativ übersichtlich“.
Fünf Tonnen Kohle verbraucht
Obwohl, mit dem Abschied von der Kohle ist das ja eine Sache. Allein für diese besondere Fahrt hat die alte Dampflok fünf Tonnen davon gebraucht. 5000 Kilo Kohle! Gut, dass sie auf Prosper noch fördern. Das wird der nächste Abschied, 2018. Mit noch mehr Wehmut. „Wenn den Leuten bewusst wird“, sagt Walter Th omassen, „dass nur noch eine da ist.“
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