Ruhrgebiet. . Essen und Oberhausen versuchen ihre Trinkerszene zu verlagern. Doch der Erfolg ist ungewiss. Einige Trinker fühlen sich an den Rand gedrängt.

Hier, ausgerechnet hier baut die Stadt Essen. Es ist die falsche Seite der Hollestraße, wo das Gebüsch voller Unrat liegt und wo Sprayer die traurige Fassade einer geschlossenen Suppenküche ausgiebig nutzten – „eine iih-Ecke“, hieß es neulich selbst im Stadtrat. Da hinein baut die Stadt jetzt für 20 000 Euro noch eine Art Toilette und ein paar Steine, auf die man sich setzen kann. Denn hierhin will die Stadt die Trinkerszene vom Hauptbahnhof verlagern und hofft stark, dass sie dann auch in der Hollestraße verharren möge. Dazu wirft sie sogar Sozialarbeiter in die Kesselschlacht.

Säufer, bleib bei deinen Steinen.

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Essen ist nur ein Beispiel, auch in Hamburg oder – zurück im Revier – in Oberhausen ist die Stadtverwaltung gerade drauf und dran, die örtliche Trinkerszene zu verlagern. Zwar nicht „in die jeweilige Nachbarstadt“, wie der Sprecher einer Stadt spottet, der das Ruhrgebiet zu gut kennt: aber doch in die Unsichtbarkeit.

Beleidigung und Abfall, Koten und Erbrechen

Denn die Gruppen von fünf bis 20 oder 30 mehr oder weniger betrunkenen und ungepflegten Leuten werden zusehends als störend bis gefährlich empfunden. So zählt eine Essener Ausschussvorlage auf: „Laute Unterhaltungen, Auseinandersetzungen, Schreien, öffentliches Urinieren, Koten und Erbrechen, unkontrollierte Abfallentsorgung, Straftaten von Beleidigung bis hin zu Sachbeschädigung und Körperverletzung.“

Passanten, Anwohner, Geschäftsleute beschweren sich auch andernorts, und die Städte stört besonders, dass die Szene zentrale Plätze bevorzugt, unübersehbar für Einheimische und Ortsfremde. Essen: eingangs der Fußgängerzone. Oberhausen: Altmarkt. Bochum: Hinterausgang Hauptbahnhof. Duisburg: Rathausnähe. Die Ortswahl speist sich aus guter Erreichbarkeit für alle – und einem Discounter mit Billigbier in der Nähe. Drei Liter gibt’s da für 1,69 Euro. Prost Mahlzeit! Wie heißt es so schön? „Drei große Bier ersetzen eine Mahlzeit – und dann hat man noch nichts getrunken.“

Doch während etwa Duisburg vor allem mit den Mitteln des Ordnungsrechts arbeitet („Der Bereich wird schwerpunktmäßig durch den Außendienst des Ordnungsamtes bestreift . . . In diesem Zusammenhang ist ein klarer Rückgang der Störungen zu verzeichnen“), hat Herne schon einen kleinen Unterstand im Postpark aufgestellt und damit die Wanner Szene dorthin gelockt – auch in eine vergleichsweise unbelebte Ecke.

Warum stören die Trinker eigentlich?

Nun gab es öffentliches Trinken schon immer, woher also plötzlich der verspürte Leidensdruck? Einer, der sich gut auskennt in dieser Frage, ist der Pädagoge Thomas Thanscheidt. Er leitet in Dortmund das „Café Berta“, das als öffentliches Projekt vielen der Trinker vom Nordmarkt eine Heimstatt gibt. Auch in Gelsenkirchen gibt es einen solchen Trinkraum, wo den Leuten zusätzlich zu Dach, Wärme und Raucherlaubnis Hilfe angeboten, aber nicht aufgezwungen wird.

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Thanscheidt also bemerkt seit Jahren eine „europaweit wachsende Empfindlichkeit gegenüber Alkohol. Das ist politisch gewollt und begann bei den Rauchern“, sagt der 48-Jährige. Zugleich war es früher „viel mehr gesellschaftlich verankert, Bier zu trinken“ – so findet man immer Leute, die auf dem Nordmarkt trinken und erzählen, schon ihr Großvater habe dort getrunken. Und als Störfall wurde der noch nicht gesehen. Hinzu kommt, dass die Szene doch etwas gewachsen ist. „Denken Sie an das Gaststättensterben. Wo sollen die Leute hin?“

Wo sollen die Leute hin – daran arbeiten sie ja gerade. In Oberhausen-Sterkrade zog unter Anleitung von Stadt und Werbegemeinschaft die Gruppe schon 2012 um. Typischerweise auch hier: raus aus der Fußgängerzone. Sie bekamen eine Nische im Abseits: Hinter einem Parkhaus stehen zwei Wartehäuschen, aber abholen wird sie hier nie jemand.

„Die Leute haben Angst vor uns, dabei haben wir Angst“

Manuel, André, Ahmed, drei, vier andere. Oettinger trinken sie, rauchen. „Wir werden behandelt wie Menschen vierter Klasse“, sagen sie. Die abgelegene Ecke ist ihnen noch zu öffentlich, von bösen Blicken erzählen sie und Frauen, die ihre Handtasche fester packen. „Man ist abgestempelt hier.“ Und sicher ist es auch nicht. Vom ersten Stock des Parkhauses würden sie öfter beworfen. Mit Eiern. Oder Batterien. „Die Leute haben Angst vor uns, dabei haben wir Angst.“

Sieben Kilometer südlich, in der Innenstadt, hat eine andere Gruppe jetzt gar Unterschriften gesammelt mit der Bitte, einen verlässlichen Platz zu bekommen. Denn zweimal schon wurden sie vertrieben. „Ist ja auch kein schönes Bild, wenn wir den Arsch voll haben“, sagt einer von ihnen. Die Trinker, sagt Thanscheidt, der Pädagoge, „sind für die Politik Ausschuss“.