Essen. . Die Trinkerszene am Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt polarisiert. Was sagen überhaupt die Betroffenen selbst zu der geplanten Verdrängung?
Der Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt am Nachmittag um kurz nach zwei. Trotz sengender Hitze haben sich 16 Szene-Leute an der Treppe zum U-Bahn-Eingang versammelt. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die meisten trinken Bier aus Flaschen und Dosen, auch Mixgetränke sind im Umlauf. Einige nutzen den spärlichen Schatten, den der gläserne Fahrstuhlschacht auf den Platz wirft.
Angesprochen auf die kontrovers und leidenschaftlich diskutierten lokalpolitischen Dauerbrenner – Alkoholverbot und Verdrängung der Szene – , entwickelt sich eine lebhafte Debatte. Tenor: Gegen eine Verlagerung des Treffpunkts gut 200 Meter weiter zur Hollestraße hin hat keiner der Befragten etwas einzuwenden. „Das wäre für mich okay“, sagt Melanie (42), die der Szene angehört, seit sie 19 Jahre alt ist. Auch Sandra (30) könnte sich mit dem vom Rathaus für Ende August angekündigten Umzug anfreunden. „Meine Erfahrung ist die: Egal, wo wir uns aufhalten, ob Willy-Brandt-Platz, Kopstadtplatz oder Weberplatz, überall werden wir von der Polizei weggeschickt.“
"Wir sind friedliche Typen"
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Wolfgang (46), den hier alle „Willo“ nennen, gehört der Szene schon seit einem Vierteljahrhundert an. Er sagt: „Alle denken, wir seien böse Menschen, bloß weil wir Alkohol trinken.“ Auch Melanie fühlt sich falsch beurteilt. „Wir sind friedliche Typen“, beschwört sie, und macht demonstrativ Platz, als sich eine junge Mutter mit Kinderwagen dem Aufzug nähert. „Wir belästigen und behindern niemanden“, betont sie.
Es ist ein illustres Volk, das sich ausgerechnet hier trifft: am Portal zur Innenstadt, genau da, wo sich Essen, die Einkaufsstadt, eigentlich von seiner besten Seite zeigen sollte. Die meisten räumen ein, wegen Dealerei, Drogenkonsum, Einbrüchen und Schwarzfahren hinter Gittern gesessen zu haben. „Ich bin im Programm“, sagt Melanie, deren Drogenkarriere schon mit 15 anfing und die auf zehn Jahre Knast zurückblickt. Bei „Willo“ addieren sich die Strafen für Drogenhandel, Eigenkonsum und Einbrüche sogar auf 18 Jahre.
Elke (54), die gute Freunde in der Szene hat, sagt über sich: „Ich nehme weder Drogen noch Alkohol.“ Die Verlagerung des Treffs zur Hollestraße, schräg gegenüber vom Haus der Technik, wo sich einst die Caritas-Suppenküche befand, würde sie sehr begrüßen. „Hauptsache, niemand wird weggejagt.“
Freiluft-Klo verbreitet bestialischen Gestank
Es ist kurz vor halb drei, da nähern sich ein Streifenpolizist und seine Kollegin. Unruhe macht sich breit, dabei sind die Streifenbeamten höflich. „Bitte machen Sie den Aufzug frei, bitte gehen Sie auf die andere Seite“, sagen sie. Willo berichtet aber auch von anderen Erfahrungen mit der Polizei: von Erniedrigungen und einem ruppigen Tonfall. „Manchmal setzen sie auch Pfefferspray ein.“
Ingo (49) wird substituiert und trinkt viel Alkohol. „Zehn Pullen am Tag“, sagt er. Und fügt hinzu, wie wichtig der Discounter im Hauptbahnhof für die Szene sei. „Sechs Halbliter-Flaschen kosten da nur 1,69 Euro.“ Würde der Treff verlagert, wäre der Discounter immer noch nah genug.
Nur wenige Meter von ihnen entfernt befindet sich der Treppenaufgang, der als Open-Air-Klo missbraucht wird und gerade an heißen Tagen einen bestialischen Gestank verbreitet. „Ich könnte die Leute, die da runter gehen, in den Hintern treten“, sagt Ingo kopfschüttelnd, „ich finde das abartig“.