Ruhrgebiet. . Im „Circus Antoni“ scheint die Zeit stehen geblieben: der Messerwerfer, das Kamel, das Ringtrapez. Aber wie lebt und überlebt heute ein so kleiner Zirkus?
Es wird wohl kein guter Tag, es ist zu warm für Menschen, Tiere, Sensationen. Mehr als eine Stunde vor Beginn der Vorstellung schmettert aus Lautsprechern schon die Zirkusmusik über die Straßen von Aplerbeck, damit noch jemand komme; doch drinnen im Viermastzelt kann Vroni Stephan zunächst nur an 16 der etwa 150 aufgestellten Plastikstühle Zettel mit Namen kleben: Ein Kindergeburtstag hat vorbestellt. Undenkbar also, die Vorstellung abzusagen, wie sie es manchmal machen bei wirklich zu wenigen Zuschauern. Heute aber werden sogar 59 Leute kommen, fast alle mit diesen typischen Ermäßigungszetteln, manche mit Freikarten, ganz wenige spontan.
Ein Kind mit Freikarte bringt einen Ermäßigungszahler mit, bringt 16 Euro ein. Man muss spitz rechnen beim Unternehmen Kleinzirkus.
Circus Antoni ist seit 46 Jahren in Witten im Winterquartier
Circus Antoni, Winterquartier in Witten seit 46 Jahren, ist seit März wieder unterwegs. Hattingen, Witten, Neviges, Aplerbeck bisher, Borbeck jetzt, dieselben Städte seit Jahren, dieselben Plätze immer wieder. Denn „wenn man fremd ist in einer Stadt, ist es ganz schwer“, sagt Ramona Tränkler (51, früher Trapez und Vertikalseil, heute Futter, Standplätze, Medien).
Das Publikum, das einen nicht kennt. Die Ämter, die misstrauisch gucken: An dubiose Bettelaktionen aus der Branche müssen sie denken, an vermüllt zurückgelassene Wiesen und vergessene Platzmieten.
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„Es gibt wie in jeder Branche ein paar schwarze Schafe, und die machen das Image kaputt“, sagt Helmut Grosskurth, Präsident der „Gesellschaft der Zirkusfreunde“ – über Antoni hat er freilich nie etwas gehört. Rund 300 kleine Zirkusse gebe es in Deutschland, „genau weiß das niemand“, und entgegen der allgemeinen Ansicht, sie stürben dahin, nehme die Zahl eher zu. „Durch Zellteilung“, sagt Grosskurth und meint damit: Das sind Familienbetriebe, und wird die Familie zu groß, spaltet sich ein neuer Zirkus ab.
"Wir möchten nicht so mit Tieren, das bringt nur Ärger"
Antoni gilt schon als mittelgroß: Ponys, Ziegen, ein Kamel, die Lamas, der Hund. Nichts Exotisches, „wir möchten nicht so mit Tieren, das bringt nur Ärger.“ Vor allem aber sind sie: 24 Leute, die alle zur Familie gehören. Zwölf sind Tränklers, zwölf sind mit Tränklers verbandelt oder gemeinsame Kinder.
Barbara Tränkler, Senior-Chefin, Anton und Josef Tränkler, Auf- und Abbau, David Tränkler, Messerwerfer, Ludwig Tränkler, Direktor. Vroni Stephan, die Partnerin von Josef Tränkler, Mutter von Soni, Zoë und Celina (Ringtrapez, Hula Hoop). Wie kommt man durch als kleiner Zirkus? Indem man keine Personalkosten hat. Und wer nun gar nichts Circensisches kann, „kann immer noch Stühle in die Manege tragen und Teppiche raus“, sagt Ramona. Leicht ist es trotzdem nicht. Strom macht der Zirkus sich selbst, und bis auf die Haftpflicht ist er nicht versichert.
"Circus Antoni" vor und hinter den Kulissen
Inzwischen hat es sich belebt auf der wilden Wiese, die ersten Besucher trudeln ein. Louise allen voran, das Geburtstagskind; an ihrer ziehenden Hand die Mutter. Es ist die typische Konstellation an diesem Nachmittag und immer: Kleines Kind mit großen Augen bringt Vater oder Mutter mit, Oma, Opa. Es zieht sie zu den beiden Eseln hinterm Zaun oder zu dem kleinen Kirmeswagen, wo die Mütter Tröten, Popcorn oder Limonade kaufen; manche Erwachsenen plaudern mit Einlasser oder Kartenabreißerin. Und so erzählt Vroni Stephan (Hunderevue, Lamas, Feuerschluckerin, Internet) gerade, was sie an spielfreien Tagen machen: Sie machen Reklame.
Ohne die Ermäßigungszettel geht gar nichts
Denn da fahren sie frühmorgens mit vier, fünf Leuten an den nächsten Spielort. „Wir gehen mit den Ermäßigungszetteln in Kindergärten und Grundschulen und danach in die Geschäfte“, sagt die 34-Jährige. Ohne die Zettel, die vier Euro Nachlass anbieten, geht gar nichts. „Manchmal kommen auch Leute zur Kasse und sagen: Ich hab ja einen, aber leider zuhause liegen lassen.“
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Um 16 Uhr beginnt die Vorstellung. Soni, der Zehnjährige mit der Clownsnummer (später Diabolos). Die Pony-Dressur. Die Halbstarken-Comedy. Die Pferde. Die Lamas. Feuerschlucker. Soni mit einer weiteren Clownsnummer, es assistiert bereits Damian, der ist drei. Alle sind dabei, alle 24.
Ja, selbst der Kinderwagen mit Zoë (fünf Monate) steht im Zelt. Das Mädchen fiebert leicht, doch in den Wohnwagen wäre jetzt niemand mehr, sie zu hüten. Ihre Mutter Vroni ist bei ihr, wenn sie nicht gerade auftritt, sonst Barbara, oder Angelina, sonst Ramona. Im Moment schwenkt sie allerdings noch den Scheinwerfer.