Recklinghausen/Bottrop. . Die angeschlagene Warenhauskette Karstadt macht im Zuge ihrer Sanierung fünf weitere Warenhäuser dicht. Damit droht jetzt neuer Leerstand im Revier.

Richard Sczesny erfährt es zu Hause, spätnachmittags, ein Anruf, Christa Schubert ist dran, die Betriebsratsvorsitzende. „Sie klang schon so fertig am Telefon, ich wusste sofort, was kam“, sagt der 52-jährige Betriebsrat und Dekorateur. Was kam, war die Nachricht, dass Karstadt schließt in Recklinghausen. „Wir sind alle fassungslos, auch meine Töchter. Die eine steht vor dem Abitur, die andere im Studium“, sagt der alleinerziehende Vater aus Dorsten. Rund 100 Mitarbeiter sind sie hier noch, die jetzt um ihre Existenz bangen.

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Karstadt liegt am Altstadtmarkt, zentral, riesig, hässlich, Anmutung Luftschutzbunker. Neben dem Eingang sitzt ein Straßenmusiker und spielt Balkanmelancholisches auf dem Schifferklavier. Drinnen ist es still, sehr still am Dienstag, lieber Himmel, man hört weithin die Rolltreppen! Mitarbeiter reden leise miteinander, „gerade habe ich gedacht, wir sind aus dem Schneider – und Pustekuchen!“ Äußern wollen sie sich nicht, zumindest nicht mit Namen, ach nein, lieber gar nicht. „Man kann ja nichts machen.“ „Ich bin 57. Für Arbeit zu alt, für Rente zu jung.“ Kunden machen Kondolenzgesichter.

„Ich weine Tränen seit heute morgen“

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Viele sind sie nicht, die schlechte Ertragslage kann man mit Händen greifen. Aber auch das Personal ist für ein fünfgeschossiges Kaufhaus auf groteske Weise rar, „wir sind ja schon immer weniger geworden in den letzten Jahren“, sagt eine Frau. Und eine Kassiererin in der Parfümerie zu der einen anstehenden Kundin: „Können Sie bitte da drüben zahlen? Ich bin hier alleine und muss einpacken.“

Draußen steht Lilo Koke und sagt: „Ich weine Tränen seit heute Morgen.“ Sie ist 80 Jahre alt und zu Karstadt gegangen, seit sie denken kann. Recklinghausen ohne Karstadt ist für sie und viele andere unvorstellbar. „Man denkt ja auch an die Mitarbeiter.“ Schon 1893 kam das Unternehmen noch unter dem Namen „Althoff“ in die Stadt und baute hier 1911 ein erstes Warenhaus: an demselben Markt, an dem der Nachfolgebau heute steht. Zum neuen, großen Einkaufszentrum „Palais Vest“ läuft man zwei Minuten – es soll Karstadts Umsatz stark geschmälert haben.

Es ist, als hätte jemand den Stecker gezogen

Man hört aber auch Kritisches. „Karstadt zieht schon lange nicht mehr viele Leute an“, sagt Sylvia Keller, die ein kleines Modegeschäft direkt daneben führt: „In der Mittagspause laufe ich manchmal da durch und bin immer entsetzt, wie wenige Leute da einkaufen.“ Und in einem dritten Geschäft sagt die Verkäuferin Ute Henschel: „Ich bin da schon seit Jahren nicht mehr reingegangen. Trotzdem sind wir traurig. Leerstand wäre tödlich.“

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Das wäre er. Im Ruhrgebiet geht es seit 2009 den Kaufhäusern wie den Zechen zuvor. Hertie, Kaufhof, Karstadt – früher galten die Kaufhauskolosse als Kundenmagneten: Sie trieben die Passantenströme an. Heute ist es, als hätte jemand den Stecker gezogen.

In Mülheim zum Beispiel beginnt die Fußgängerzone am Hauptbahnhof mit seinem Forum-Einkaufscenter, doch an ihrem anderen Ende steht der Kaufhof seit 2009 leer. Seitdem hat die Schloßstraße rund drei Viertel ihrer Anziehungskraft eingebüßt: An einem Samstag, dem beliebtesten Einkaufstag der Woche, zieht es nur noch 1100 Menschen pro Stunde an ihr unteres Ende, wo der aus der Zeit gefallene dunkle Klotz sich ihnen in den Weg stellt.

Was tun mit den Problem-Immobilien?

Was tun mit diesen Problemimmobilien – in Mülheim, Gladbeck, Herne, Oberhausen undsoweiter? Sie abzureißen würde ein Heidengeld kosten. Sie attraktiv zu bespielen, ist wegen ihrer Größe schwierig bis unmöglich. Gleichzeitig sind aber die Lagen so „premium“, dass die Stadtplaner sich einfach nicht verabschieden wollen von der Magnet-Idee.

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Was haben die Mülheimer sich nicht alles ausgedacht für ihren Ex-Kaufhof: ein Basar mit türkischem Hamam-Bad, eine Fachhochschule und ein Second-Hand-Kreativ-Kaufhaus, solche Visionen. Zur Zeit ruhen die Hoffnungen auf einem seriöseren Investor, dem eine Mischung aus Hotel, Seniorenwohnungen und Einzelhandel vorschwebt.

Ein Riss durch die Fußgängerzone

Und wie oft wurde in Gladbeck schon gefordert, das Hertiehaus abzureißen? Selbst das angeflanschte Parkhaus ist nicht mehr nutzbar. Aber es gehört der Stadt eben nicht. Und die 4,5 Millionen Euro, die der Besitzer beim Zwangsversteigerungstermin im Februar forderte, waren einfach zu viel. Kein Gebot. Vielleicht aber will die Stadt zuschlagen, wenn der Klotz Mitte August erneut unter den Hammer kommt – um wenigstens Einfluss zu bekommen auf die Entwicklung. Denn ein überzeugendes Konzept hat sie auch nicht.

Das Hertie-Haus in Herne hingegen gehört schon der Stadt. Eine Lösung steht aber aus, zumal am Standort ein tiefer Riss die Fußgängerzone spaltet: Südlich von Hertie ist sie ansehnlich, nördlich folgen fast nur Billigläden und Imbisse.