Essen. Nachhaltig leben heißt: Auf alles verzichten? Fleisch, Reisen, Spaß? Stimmt nicht. CO2 lässt sich einsparen, ohne dass es schmerzt. Die Ideen.
Rund elf Tonnen CO2-Äquivalente (Kohlendioxid und andere Treibhausgase) verursacht jeder Bundesbürger pro Jahr, weniger als eine Tonne sollten es sein, wollen wir die Pariser Klimaziele bis 2045 erreichen. Also: nie mehr Fleisch essen, nie mehr verreisen, nur noch Fahrrad fahren? „Wir müssen alle umdenken, die Gesellschaft muss sich ändern“, sagt Philip Heldt. „Aber man kann seinen persönlichen CO2-Fußabdruck reduzieren, ohne dass es furchtbar schmerzt.“ Der 41-Jährige ist Referent für Ressourcenschutz bei der Verbraucherzentrale NRW – und er kennt die „Big Points“, die Stellen, an denen sich am besten schrauben lässt. Dies sind seine acht Top-Tipps für Verbraucher, die CO2 einsparen wollen – ohne zu darben.
1. Weniger fliegen
Der Experte rät: Innerhalb Deutschlands niemals fliegen, Fernreisen soweit möglich reduzieren.
Warum? „Fliegen ist die klimaschädlichste Art des Reisens und gerade für kürzere Strecken gibt es gute Alternativen.“ Relativ gesehen seien Inlandsflüge zudem besonders belastend fürs Klima (weil der Startvorgang den meisten Sprit schluckt) – und absolut verzichtbar“, findet der Nachhaltigkeitsexperte. Das gelte für private wie Dienstreisen. „Man spart kaum Zeit und die meisten Ecken in Deutschland sind mit der Bahn gut zu erreichen, selbst nach Italien, Frankreich und Spanien gibt es inzwischen gute Nachtzugverbindungen.“
Was es bringt:* Mehr als auf Coffee-to-go-Becher zu verzichten, sagt der Nachhaltigkeits-Experte. Die müssten auch nicht sein, natürlich nicht. „Aber ein einziger Flug von Berlin nach München verursacht genauso viel CO2-Emissionen wie 8900 solcher Becher.“ Mit 252 Kilo CO2-Ausstoß schlägt sich laut „co2online“ ein Flug von Düsseldorf nach München in der persönlichen Öko-Bilanz nieder – 28,8 Kilo kostet dieselbe Reise im ICE. Wer ins australische Sydney fliegt (via Dubai, Economy Class), muss laut Ausgleichsdienstleister „Atmosfair“5.373 Kilo CO2-Ausstoß berechnen.
2. Bus, Bahn und Fahrrad statt Auto fahren
Der Experte rät: Umsteigen auf Rad oder ÖPNV, wo und wann immer es geht.
Warum? „Warum fahren Menschen mit dem Auto ins Fitnessstudio oder Brötchen holen“, stellt Heldt die Gegenfrage. Wer ins Studio radele, trainiere doch schon auf dem Weg dahin und der nächste Bäcker sei in den meisten Städten zu Fuß erreichbar. Für die, die nicht so fit seien oder auf dem Land lebten, wo es hügelig sei, seien Pedelecs eine gute Alternative.
Was es bringt? Jeder Kilometer, der mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurückgelegt wird, spart rund 140 Gramm CO2 ein, erklärt der Verkehrsclub Deutschland. Klingt nach wenig, summiert sich aber. Ein Vollzeit-Beschäftigter, der für den Weg zu seiner 15 Kilometer entfernten Arbeitsstätte nicht mehr ins Auto steigt, sondern aufs Rad, spart pro Jahr 966 Kilo CO2. Wer Bus oder Bahn nutzt anstelle des Pkws, reduziert seine Treibhausgas-Emission pro Kilometer um etwa 70 Gramm.
3. Klüger duschen
Der Experte rät: Für 20 Euro im Baumarkt einen Sparduschkopf kaufen und einbauen.
Warum? „Tatsächlich ist diese sehr einfache Klimaschutz-Maßnahme eine sehr sinnvolle, die sich zudem schnell amortisiert“, sagt Philip Heldt. Rund 13 Prozent der Energiekosten eines Haushalts gingen auf das Konto „Warmwasser“. Ein Sparduschkopf könne den Warmwasserverbrauch halbieren. Das Gerät reduziert die „Schüttmenge“ pro Minute, den Wasserdurchfluss der Dusche. Weniger warm und kürzer sowie seltener zu duschen, seien weitere simple Maßnahmen, die dem Klima helfen. „Zähne putzen und Hände waschen geht mit kaltem Wasser“, sagt der Experte. „Und wer nicht am Hochofen arbeitet, muss auch nicht täglich unter die Dusche….“
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Was es bringt: Kann jeder mithilfe des „Duschrechners“ der Verbraucherzentrale selbst herausfinden. Im Schnitt spare ein Sparduschkopf pro Person und Jahr 0,3 Tonnen CO2, sagt Heldt. „Und 300 Kilo sind eine Menge!“
4. Pflanzenbetont ernähren
Der Experte rät: Weniger Fleisch und tierische Produkte essen.
Warum? Der ernährungsbedingte CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr beträgt laut Bundesumweltministerium 1,75 Tonnen. Tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier, Butter oder Köse schneiden dabei sehr viel schlechter ab als pflanzliche; laut einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF liegt ihr Anteil an allen ernährungsbedingten Treibhausgas-Emissionen bei 69 Prozent. Rindfleisch ist dabei für das Klima am schädlichsten. „Wir müssen nicht alle vegetarisch oder vegan leben“, sagt Umweltexperte Heldt. „Nie wieder Schnitzel!“ zu fordern nennt er „unrealistisch“. „Aber die Umwelt freut sich, wenn wir es hin und wieder ausprobieren.“ Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt – der Gesundheit zuliebe – höchstens 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen. „Wer sich daran hält, isst vermutlich schon weniger als zuvor“, sagt Heldt.
Was es bringt: Pro Kilo erzeugtem Rindfleisch fallen laut WWF 25,5 Kilogramm CO2-Äquivalente an. Bei Schwein sind es 10,3, bei Geflügel 9,2; für Butter liegt der Wert bei 10,6, für Käse bei 7,3 – und für ein Kilo Spinat bei 0,5. Die Datenbank „Statista“ gibt den durchschnittlichen CO2-Ausstoß pro Person und Jahr für Fleischesser mit 1.730 Kilo an, für Vegetarier mit 1.280 und für Veganer mit 1.040.
- >>> Hier lesen Sie ein Interview mit dem Nachhaltigskeitsexperten Philip Heldt.
- >>> Eine Essener Familie testet die Tipps. Zum dreimonatigen Experiment geht es hier.
5. Bewusster konsumieren
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Der Experte rät: Nachdenken, bevor neue Textilien, Schuhe oder Möbel gekauft werden.
Pfleglich mit Dingen umgehen. Reparieren statt wegwerfen. Tauschbörsen nutzen. Leihen statt selbst anschaffen. Lieber gebraucht kaufen als neu.
Warum? „In Deutschland wird zu viel gekauft, viel mehr als wir verschleißen“, sagt Philip Heldt. 60 Prozent der Elektrogeräte, die in Wertstoffhöfen abgegeben würden, seien noch funktionsfähig; Möbelstücke im Sperrmüll absolut intakt; Kleidungsstücke in Altkleidercontainern noch tragbar; „Das muss nicht sein, die Herstellung dieser Produkte ist mit erheblichen CO2-Ausstoß verbunden.“ Er empfiehlt: „Lassen Sie abgetragene Schuhe neu besohlen! Studieren Sie Kleinanzeigen, wenn Sie einen neuen Küchentisch brauchen! Verkaufen oder verschenken Sie Dinge, die Sie selbst abzugeben haben! Leihen Sie sich,was Sie nur selten benötigen, von der Ski-Ausrüstung bis zum Gartengerät! Und: Fragen Sie sich bei jedem T-Shirt, das Sie neu kaufen wollen: Brauche ich das wirklich?“ 20 Prozent der 60 Kleidungsstücke, die deutsche Konsumenten jährlich neu kaufen, würden nie getragen. „Auf zwölf Teile also können wir verzichten, ohne sie zu vermissen“, erklärt Heldt.
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Was es bringt: Der Kauf von Secondhand-Kleidung verursacht gegenüber Neuware bis zu 59 Prozent weniger CO2-Emissionen, ergab eine aktuelle Erhebung des Re-Commerce-Händlers momox. Bei einer Jacke lassen sich demnach ganze 6,42 Kilo CO2 einsparen, bei einem Pullover 4,62 und bei einer Hose 4,07.
6. Kälter waschen
Der Experte rät: Die Waschmaschine auf 30 statt 60 Grad programmieren.
Warum? „Deutschland ist ein Hochtemperaturland“, sagt Philip Heldt. Hier werde Wäsche am liebsten bei 40, besser noch bei 60 Grad gewaschen. Das Wasser zu erhitzen, koste aber viel Energie. Sauber werde Wäsche – nachweislich – auch bei 20 oder 30 Grad. „Seien Sie mutig, probieren Sie das aus!“, empfiehlt er. Nur einmal im Monat sollte eine Maschine Wäsche mit 60 Grad und Vollwaschmittel laufen, „sonst müffelt es“.
Was es bringt: Bis zu 60 Prozent weniger CO2-Emissionen, sagt der WWF, der zusammen mit „Ariel“ im vergangenen Jahr in Hamburg den ersten „Kaltwaschsalon“ Deutschlands eröffnete. Bürger dürfen dort kostenlos Wäsche waschen, jedoch nur bei maximal 30 Grad.
7. Schöner wohnen
Der Experte rät: Weniger heizen, besser dämmen, abschalten.
Warum? Die Zimmertemperatur um ein Grad zu senken, spart sechs Prozent Heizenergie. „Das heißt, es sind 36 Prozent weniger, wenn ein Raum nur noch 18 statt 24 Grad warm ist“, erklärt Heldt. Dass man im Winter daheim einen Pullover trägt, findet er „zumutbar“, „in den 60er-Jahren war das noch ganz normal“. Allen, die nicht zur Miete wohnen, rät er zudem, sich einen Energieberater ins Haus zu holen. „Manchmal reicht aber auch schon eine Rolle Dichtungsband fürs zugige Fenster...“. „Klimaanlagen“, betont Heldt, „sind der ökologische Gau. Kühlung an heißen Tagen erreiche man prima durch „Verschatten und Gebäudebegrünung“. Bei Kühlschrank wie TV-Bildschirm-Diagonale sollte man über die zum Haushalt passende Größe nachdenken. Und: „„Alles, was auf Standby ist, tatsächlich ausschalten, wenn man es nicht braucht!“
Was es bringt: Was Absenkung der Temperatur und Dämmung konkret bewirken, ist von vielen individuellen Faktoren abhängig. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Brennstoffen sind gravierend, die schlechteste CO2-Bilanz haben mit 318 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde Heizöl-Kessel. Um den Strom zu produzieren, der bundesweit im Standby-Modus verbraucht wird, wären im Übrigen zwei mittelgroße Atomkraftwerke notwendig.
8. Sich nicht überfordern
Das rät der Experte: Abwägen, ausprobieren, auf die Big Points gucken
Warum? „Verpackungsarm, regional und saisonal einzukaufen ist grundsätzlich relevant“, findet Heldt. Frühkartoffeln aus Ägypten hält er für eine „ökologische Sauerei. „Aber wenn man auf die CO2-Bilanz guckt, kann es durchaus sinnvoller sein, im Juli zum frischen Apfel aus Chile im Supermarkt nebenan zu greifen, anstatt zehn Kilometer weit zum Wochenmarkt zu fahren, um dort Äpfel aus Deutschland zu kaufen, die seit dem Vorjahr im Kühlhaus lagern.“ Wer zwei Autos in der Garage stehen hat, rette das Klima zudem nicht dadurch, dass er seit 20 Jahren Stoff- statt Plastiktüten für den Einkauf benutzt, wie Heldt oft hört. „Es gibt so viele Mythen rund ums Thema, gucken Sie auf die großen Punkte.“ Niemand sollte zudem sein Leben schlagartig auf „jetzt nur noch nachhaltig“ umstellen. „Häppchenweise ist es leichter“, sagt Heldt. „Überlegen Sie, was fällt mir am leichtesten. Fangen sie damit an. Und wenn sich herausstellt, dass Ihnen Sojamilch absolut nicht schmeckt, lassen Sie es wieder und probieren dafür etwas anderes aus.“
*Alle Berechnungen beruhen auf Durchschnittswerten und den genannten Quellen. Im Einzelfall können sie anders aussehen.