Berlin. Die schlechte Umweltbilanz eines Fluges nehmen viele bei ihrer Urlaubsplanung in Kauf. Kann nachhaltiger Flugkraftstoff der Ausweg aus dem Dilemma zwischen Fernweh und Klimaschutz sein?
Nachhaltigkeit ist auch beim Reisen ein großes Thema, doch aufs Fliegen kann man oft nicht verzichten. Auch wenn es fraglos schlecht für die Umwelt ist und sich so bei einigen schon bei der Buchung nur beim Gedanken an den CO2-Fußabdruck das schlechte Gewissen meldet.
Denn Flugzeuge stoßen durch das verbrannte Kerosin eine Menge Kohlenstoffdioxid und andere klimaschädliche Substanzen aus. Klar, über CO2-Kompensationszahlungen kann man einen freiwilligen Ausgleich für die Treibhausgase zahlen, die auf den Kopf gerechnet bei der Reise anfallen. Die Anbieter finanzieren mit den eingenommenen Geldern Klimaschutzmaßnahmen, etwa den Bau von Biogas- oder Solaranlagen oder Waldaufforstung.
Das ist gut fürs Gewissen. Aber „grün“ in den Urlaub kommt man dadurch nicht. Fliegen bleibt eine der klimaschädlichsten Arten des Reisens - doch die Luftverkehrsbranche und Forscherinnen und Forscher arbeiten daran, dass langfristig zu ändern.
Eine begehrte Treibstoff-Mangelware
Große Hoffnung liegt in nachhaltigen Flugkraftstoffen, abgekürzt SAF („Sustainable Aviation Fuels“).
Diese Kraftstoffe sind unverzichtbar bei den Plänen der Luftverkehrsbranche, bis 2050 klimaneutral zu fliegen und dann keine CO2-Emissionen mehr auszustoßen. Dem internationalen Branchenverband IATA zufolge spielen SAF dabei eine zentrale Rolle: Ein mögliches Szenario sei, dass 65 Prozent - also rund zwei Drittel - der Emissionen durch SAF eingespart werden.
Nach Schätzungen der IATA vom Sommer vergangenen Jahres wären dafür allerdings knapp 450 Milliarden Liter SAF jährlich nötig. Dahin ist es noch ein weiter Weg: 2021 waren 125 Millionen Liter verfügbar, von denen die Airlines jeden verfügbaren Tropfen gekauft hätten. Bis 2025 könnte die Produktionsmenge immerhin auf 5 Milliarden Liter wachsen, so die IATA. Aber: Es bleibt dabei, die (auch deutlich teurere) Alternative zum fossilen Kerosin bleibt Mangelware.
Nachhaltiges Kerosin sei noch „in den Kinderschuhen“, so formuliert es der Wissenschaftler Oliver Busse, der an der TU Dresden bei der Professur für Anorganische Molekülchemie arbeitet. Grundsätzlich werde die Forschung in den nächsten Jahren aber steil nach oben gehen, prognostiziert er.
Mit nachhaltigem Kerosin kompensieren - das geht schon
Tatsächlich kann man bei einigen Fluggesellschaften nachhaltiges Kerosin als Kompensationsvariante auswählen.
„Wer heute nachhaltig fliegen möchte, kann zum Beispiel im Buchungsprozess auswählen, dass man zu 50 Prozent durch nachhaltiges Kerosin und zu 50 Prozent durch geförderte Klimaschutzprojekte nachhaltig fliegen will“, sagt Wolf-Dietrich Kindt, der beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft das Fachgebiet Klima- und Umweltschutz leitet. „Es ist aber auch möglich, zu 100 Prozent über nachhaltiges Kerosin klimaneutral zu fliegen.“
Airlines wie KLM oder Lufthansa nutzen nachhaltigen Kraftstoff in kleinen Mengen bereits und bieten an, den eigenen CO2-Fußabdruck, den der Flug verursacht, auch ganz oder zum Teil mit SAF zu kompensieren - gegen entsprechenden Aufpreis.
So würde man zum Beispiel bei einem Lufthansa-Flug von Berlin nach New York einen Aufpreis von 308,74 Euro zahlen müssen, wenn der CO2-Ausgleich nur über nachhaltiges Kerosin erfolgen soll.
Lässt sich das gute Gewissen teuer erkaufen?
Kann man also, wenn man den Geldbeutel weit aufmacht, doch schon ganz ohne schlechtes Gewissen fliegen? Zwei „Aber“ gibt es:
Erstens: Aus logistischen Gründen wird das nachhaltige Kerosin nicht zwangsläufig dem Flieger zugeführt, mit welchem man letztendlich fliegt. Die Fluggesellschaft kauft laut Kindt die Menge an nachhaltigem Kerosin, die der Kunde oder die Kundin gebucht hat: Wenn zehn Passagiere jeweils 50 Liter nachhaltiges Kerosin gebucht haben, kaufe die Fluggesellschaft 500 Liter dieses Treibstoffs und verbrauche ihn. „Dem Klima ist es am Ende egal, welches Flugzeug den nachhaltigen Treibstoff tankt.“
Zweitens: Laut Lufthansa sparten SAF im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin aktuell 80 Prozent der Treibhausemissionen über den gesamten Prozess der Wertschöpfung ein. Vollständig neutral ist also auch diese Art des Antriebs nicht, aber fast.
Wie wird nachhaltiges Kerosin überhaupt hergestellt?
SAF ist der Oberbegriff für alle Arten von Kerosin, die - anders als herkömmliches Kerosin aus Erdöl - nachhaltig hergestellt werden, um den CO2-Ausstoß von Flügen zu reduzieren.
Derzeit wird nachhaltiges Kerosin vor allem aus biogenen Abfallstoffen hergestellt, so Kindt. Hierfür werden zum Beispiel gebrauchte Fette, landwirtschaftliche Abfälle oder Reststoffe wie Stroh durch chemische Prozesse zu Kerosin verarbeitet.
Da Kerosin aus biogenen Abfallstoffen den weltweiten Bedarf allerdings nicht abdecken kann, wird an synthetisch hergestelltem Kerosin geforscht. Hierbei wird das Kerosin - mithilfe von Sonnen- und Windenenergie - aus Wasser und CO2 hergestellt.
Diese Kraftstoffe werden als „Power-to-Liquid“ bezeichnet und haben großes Potenzial, den Luftverkehr zukünftig wesentlich zu dekarbonisieren, wie Forscher Oliver Busse sagt.
Aktuell haben die synthetisch hergestellten Treibstoffe aber noch einen zu geringen Wirkungsgrad und sind laut Busse noch mindestens dreimal so teuer wie konventionelles Kerosin. Um nachhaltiges Kerosin konkurrenzfähig zu machen, müsse es noch mehr erforscht und in einem größeren Maßstab hergestellt werden.
Die EU macht Vorgaben
Nach Plänen der Europäischen Union sollen ab 2025 Flüge nicht nur mit einem Umweltlabel gekennzeichnet werden, sodass Passagiere leichter vergleichen können, was für eine CO2-Bilanz die Flüge einzelner Airlines auf einer bestimmten Strecke haben.
Es ist auch geplant, dass 2025 mindestens 2 Prozent der Flugkraftstoffe, die an den EU-Flughäfen angeboten werden, nachhaltig sein müssen. Dieser Anteil soll alle fünf Jahre erhöht werden: auf 6 Prozent 2030, 20 Prozent 2035, 34 Prozent 2040, 42 Prozent 2045 und schließlich 70 Prozent im Jahr 2050.
Der Weg zum „grünen“ Fliegen ist noch weit
Fazit: Nachhaltiges Kerosin wird die Flugzeugbranche schrittweise dekarbonisieren. Oliver Busse sagt, es brauche trotzdem noch Zeit, bis nachhaltiges Kerosin wirklich im großen Maßstab zum Einsatz kommen wird und die konventionellen Treibstoffe ablöst.
Aber vom „grünen“ Fliegen zu sprechen, das scheint doch gar nicht so abwegig - zumindest in fernerer Zukunft. (dpa)