Essen. . Ein Gespräch mit dem Vor-Vor-Vorgänger: Alexander Marinos (46), stellvertretender Chefredakteur der WAZ, trifft Franz Czerny (94).
Ein Gespräch mit dem Vor-Vor-Vorgänger: Alexander Marinos (46), stellvertretender Chefredakteur der WAZ, trifft Franz Czerny (94), der die Westdeutsche Allgemeine Zeitung bis zu seinem Ausscheiden 1989 mit prägte.
Alexander Marinos: Lieber Herr Czerny, Sie sind 1989 als mein Vor-Vor-Vorgänger im Range eines stellvertretenden WAZ-Chefredakteurs in Rente gegangen und besuchen nun unsere modernen Redaktionsräume. Was ist Ihr Eindruck?
Franz Czerny: Überall stehen Computer, Computer und noch mehr Computer. Haben Sie nicht Sorge, dass der Computer Sie und Ihre Kollegen eines Tages überflüssig machen wird?
Marinos: Nein. Der Computer ist das zentrale Werkzeug, dessen wir uns bedienen und das uns die Arbeit (meist) erleichtert. Die Nachrichtenauswahl, die Recherche, das Verfassen von Berichten, Reportagen, Kommentaren – all das sind geistige Leistungen, für die wir gut ausgebildete Journalisten benötigen. Selbst die Rechtschreib-Programme können den Menschen nicht ersetzen…
Czerny: …was man zuweilen an den Tipp-Fehlern im Blatt erkennen konnte, wenn ich das anmerken darf.
Marinos: Dürfen Sie. Deshalb beschäftigen wir auch wieder Korrektoren, so wie es früher zu Ihrer Zeit üblich war. Diese Kollegen kommen abends frisch zum Gegenlesen, bevor die Zeitung in den Druck geht.
Czerny: Mir fällt noch etwas auf. Es ist recht ruhig hier im Großraumbüro.
Marinos: Das kann sich schnell ändern, wenn die Nachrichtenlage dramatisch wird. Aber es stimmt: Hier wird sehr konzentriert gearbeitet.
Czerny: Ich kann nur staunen, wie heute alle geistige und handwerkliche Arbeit der Redaktion am Bildschirm geschieht. Vor 50 Jahren gab es noch die Blei-Zeit in den Zeitungshäusern. Jede gedruckte Zeile war zuvor in Blei gegossen. In der Mettage bauten Redakteure Hand in Hand mit Kollegen aus der Technik die Seiten aus gebündelten Bleizeilen zusammen. Bei solcher Gestaltung der Titelseite, des Schaufensters der Zeitung, und bei den Politikseiten habe ich oft mitgewirkt. Können Sie sich das vorstellen?
Das Berufsbild des Zeitungsredaktuers
Marinos: Nur schwer. Als ich Mitte der 90er Jahre volontiert habe, existierte bereits der elektronische Ganzseitenumbruch. Wir skribbelten das Layout der Seiten zwar noch auf Papier vor. Aber die Produktion der Seiten erfolgte dann durch den Redakteur bis zur Druckreife am Bildschirm. Die Berufsgruppe der Metteure war da bereits ausgestorben.
Czerny: Das hat auch das Berufsbild des Zeitungsredakteurs sehr verändert.
Marinos: Sicher – und der Wandel geht unaufhörlich weiter. Computer dominieren ja nicht nur unsere Arbeit, sondern die ganze Gesellschaft. Vor allem die mobilen Geräte wie Smartphones werden immer wichtiger. Die Zeitung gibt es daher auch in elektronischer Form, dem „e-paper“. Zudem bieten wir mit waz.de einen Rund-um-die-Uhr-Internetauftritt an und bespielen diverse Facebook-Kanäle. WAZ-Redakteure erstellen nicht mehr nur die gedruckte Tageszeitung. So etwas wie einen „Redaktionsschluss“ gibt es nicht.
Czerny: Klingt nicht so, dass ich Sie beneiden müsste.
Marinos: Kommt darauf an. Die Technik von heute macht uns das Leben an vielen Stellen auch erheblich leichter. Wenn ich alleine an die Papierflut denke, die früher die Fernschreiber produziert haben. Ich durfte das als junger Nachrichtenchef noch miterleben…
Czerny: In der Nachrichtenzentrale der WAZ ratterten damals vier Fernschreiber. Die Nachrichtenschwemme deutscher und internationaler Presseagenturen sowie sonstiger Informationsdienste staute sich in riesigen Stapeln. Dazu kamen die Beiträge eigener Korrespondenten, die hineintelefoniert und dann von Sekretärinnen verschriftlicht wurden. Selbst die Fußballberichte wurden am späten Abend aus den Stadien von Schalke und Dortmund in die Schreibmaschine diktiert und von Redaktionsboten im Eilschritt zur Bleisetzerei befördert. Nicht weniger umständlich gelangten Fotos in die Zeitung: in der Dunkelkammer entwickelt, in der Redaktion mit der gewünschten Größe markiert, in der Klischee-Anstalt auf einer Metallfolie in unzählige winzige Punkte verwandelt und dann in der Mettage mit den Artikeln aus Bleiguss zu einer Zeitungsseite zusammengebaut.
Marinos: Schön sah das nicht aus, wenn man die Maßstäbe von heute anlegt.
Czerny: Alle Illustrationen gingen nur in Schwarz-Weiß. Ich finde, dass manche Bilder in Schwarz-Weiß besser wirken als in Farbe.
Marinos: Da bin ich bei Ihnen. Historische Fotos sind in einer bunten Welt zu echten Hinguckern geworden. Wir wissen, dass die Leser solche alten Aufnahmen sehr mögen.
Czerny: Das erste aktuelle Farbbild auf Seite 1 der WAZ erschien im April 1980. Es zeigte die Krönung der holländischen Königin Beatrix.
Marinos: Und? Wie kam das an?
Czerny: Die Premiere glückte nur mäßig. Die neue Majestät strahlte leicht verwackelt. Es sollte noch eine Weile dauern, bis das Zusammenspiel der Farben Rot, Gelb, Blau und Schwarz auf Zeitungspapier die heutige Perfektion erreichte.
Marinos: Lieber Herr Czerny, wie sind Sie eigentlich zur Zeitung gekommen?
Czerny: Im Rückblick kann ich das selbst kaum nachvollziehen. Ich bin 1946 mit 22 Jahren aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Wenig später begegnete ich in Werl einem alten Verlagsdirektor, der mich beim Westfälischen Kurier zum Volontär machte. Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah, und so wurde ich Journalist, ohne zu ahnen, wie interessant dieser Beruf werden würde. Das Zeitungsmachen gelernt habe ich dann erst bei den Ruhr Nachrichten in Dortmund. Die schickten mich auch für zwei Monate zur Journalisten-Schule nach München. Ich nehme an, das ist heute anders.
Marinos: Unsere Volontäre genießen ihre in der Regel zweijährige Ausbildung bei der Medienakademie Ruhr und werden dort und in unseren Redaktionen auf die hohen Anforderungen als Zeitungs- und Online-Redakteure vorbereitet
Czerny: Wie wichtig ist Ihnen dabei der Lokaljournalismus?
Marinos: Überragend wichtig. Das ist unser Kerngeschäft. In der Lokal- und Regionalberichterstattung macht uns keiner etwas vor. Das, was in der eigenen Stadt, im Viertel und unmittelbar vor der eigenen Haustür passiert, betrifft die Menschen in besonderer Weise. Das heißt nicht, dass wir nicht auch großen Wert auf eine qualitativ hochwertige nationale und internationale Berichterstattung aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und dem Vermischten legen. Die Mantelredakteure der WAZ in Essen, FUNKE Sport und die FUNKE-Zentralredaktion in Berlin stellen dies sicher. Aber es gibt nichts, was nicht auch Auswirkungen aufs Lokale hat, und letztlich kann man das Große am Besten im Kleinen erklären. Das macht die WAZ aus. Das gehört zu den Hauptaufgaben unserer Lokalredaktionen.
Czerny: Das ist eine Konstante, wenn man auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblickt, und das freut mich natürlich. Auch zu meiner Zeit war die Redaktion stets bestrebt, das Ansehen der WAZ zu mehren. Wir hatten oft hohe Gäste: Kohl, Rau, Strauß, Genscher und Udo Jürgens zum Beispiel. Sie lieferten Hintergrundwissen aus erster Hand frei Haus. Auch bei den heutigen Kollegen ist das ehrgeizige Bemühen zu spüren, noch mehr von dem zu bringen, was nicht am Vorabend in der Tagesschau war. Insofern muss ich Ihnen ein Kompliment machen: Die Zeitung ist noch besser geworden.
Marinos: Her mit den Komplimenten! Aber im Ernst: Es gehört inzwischen zur Marke WAZ, das regional Bedeutsame schon auf der Titelseite sowie auf der Startseite im Online-Portal abzubilden und dann wie einen roten Faden durch alle Ressorts – durch Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport – laufen zu lassen.
Czerny: Wie stark sind die Versuche aus Politik und Wirtschaft, ins redaktionelle Geschehen einzugreifen?
Marinos: Versuche gibt es immer wieder. Aber die Unabhängigkeit der Redaktion sind Verlag und Chefredaktion heilig. Darum sind solche Versuche regelmäßig zum Scheitern verurteilt. Unser wichtigstes Kapital ist das Vertrauen, das uns die Leser und Online-Nutzer entgegenbringen. Wir müssten schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein, um das zu gefährden. Czerny: Vertrauen – eine Konstante, die ich gerne höre. Ich möchte Ihnen von einem Erlebnis berichten, das ich immer wieder unseren Volontären erzählt habe.
Marinos: Gerne.
Czerny: Es geschah in der Zeit, als ich Leiter der Essener Lokalredaktion war und im Rathaus ein Recke des Reviers regierte: der Oberbürgermeister Wilhelm Nieswand. Ein Mann mit starker Hand, aber auch mit Eigenwilligkeiten, die öfter zu Kritik und Widerspruch in der Zeitung reizten. Ein sozialdemokratisches Urgestein, so wie sein Parteifreund und WAZ-Gründer Erich Brost. Bei meinem Wechsel aus der Lokalredaktion in die Chefredaktion überraschte mich der Verleger und Chefredakteur Brost mit diesen Worten: „Heute kann ich es Ihnen ja sagen. Ich bin in der letzten Zeit zu keiner Veranstaltung mehr gegangen, bei der ich dem Herrn Nieswand begegnet wäre. Denn der hat sich bei mir jedes Mal über Sie beklagt.“ Auf meine verdutzte Frage: „Aber Herr Brost, warum haben Sie mir davon nie etwas gesagt?“, folgte seine denkwürdige Antwort: „Ich wollte Sie in Ihrer Arbeit nicht beeinflussen.“
Marinos: Diese innere Pressefreiheit gehört zu den schönen WAZ-Traditionen.
Czerny: Es mag sein, dass meine Erinnerungen an die „gute alte Zeit der WAZ“ mit dem Abstand von 29 Rentnerjahren ein bisschen verklärt erscheinen. Aber mein Rückblick bleibt verbunden mit den Chefredakteuren Erich Brost, Siegfried Maruhn und Ralf Lehmann und mit einem Arbeitsklima, das wohltuend war. Mit Gehör auch für persönliche Nöte, mit mehr Lob als Tadel und mit Kritik, die für Betroffene nicht verletzend sein durfte.
Marinos: Lieber Herr Czerny, wie zu hören ist, haben Sie selbst auch einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet. Kommen Sie uns bitte wieder besuchen.
Czerny: Gern, so Gott will, auch schon vor dem 75. Geburtstag unserer WAZ.