Essen. . Wer lauter brüllt hat Recht! Undenkbar? Leider nein. Fake-News und alternative Fakten – ist der Journalismus für diese Schlacht gerüstet?
Was richtig, was „wahr“ ist, verliert immer öfter. „Fake News“ und „alternative Fakten“, vor nicht allzu langer Zeit noch „Lügen“ genannt, schwingen das große Wort und verwandeln die Medienszene in einen Boxring ohne Regeln.
Manipulation und Einschüchterung gab es schon immer in dieser Branche, aber richtig Fahrt aufgenommen hat die Verlotterung der Sitten mit Donald Trump. Der 45. amerikanische Präsident begreift Journalismus als Krieg mit anderen Mitteln und bekämpft den unabhängigen Reporter als Feind. Wahrheit? Die mache ich mir selbst!
Für den Journalismus ist das eine große Bedrohung. Vieles hat sich geändert in diesem Beruf. Die Schreibmaschine wurde durch den Computer ersetzt, und die Nachrichten kann man auch auf dem Handy abrufen. Aber das Kerngeschäft galt als unantastbar und ruhte auf zwei Geboten: Du sollst berichten, was wahr ist. Und das musst du erstmal lernen.
Zu größerer Sorgfalt verdonnert
So einfach ist das nämlich nicht, das Wichtige vom Unwichtigen und das Wahre vom Unwahren zu unterscheiden und das Ergebnis dann auch noch in Worte zu fassen. Das braucht seine Zeit.
Der Journalist begann also als Praktikant, schaute den erfahrenen Kollegen über die Schulter und war begeistert, als er endlich zum ersten Mal einen Artikel schreiben durfte. Etwa den Marktbericht mit den Eierpreisen oder das Spitzenderby in der Kreisliga, und wehe, man hatte einen Zahlendreher in der Preistabelle oder schrieb den Namen des Torschützen falsch – dann wurde man von der aufmerksamen Leserschaft ausgelacht und vom zuständigen Redakteur zu noch größerer Sorgfalt verdonnert. Zweimal nachfragen, dreimal nachprüfen, ob das alles stimmt, was du da schreibst.
Nach dem Praktikum gab es – wenn man sich richtig Mühe gegeben hatte! – einen Platz als Volontär, also als angestellter Lehrling, zuweilen noch ein Hochschulstudium, und dann, nach vielen Jahren intensiver Ausbildung, das Redakteursdiplom. Und eine Anstellung. Da war man natürlich mächtig stolz und gelobte, auch in Zukunft die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, zu verkünden.
Kalle49 behauptet ungestraft
Und heute? Da spielt die Musik ganz woanders. Gelernte Journalisten werden ausgelacht, und wer ein Handy, einen Computer einschalten kann, wird im Schnellkurs Reporter und ernennt sich zum „Influencer“. Die Dissonanzen sind nicht zu überhören. Manch ein Leser hat sich im allgemeinen Getümmel abgewandt von den etablierten Medien, manch einer hält sie für die Büttel der Mächtigen, und man glaubt nicht mehr das, was Tageszeitung oder Tagesschau vermelden.
Man verlässt sich lieber auf Kalle49 bei Facebook, der ungestraft behaupten darf, die Weltverschwörung habe die Erde zur Scheibe gerundet. Kalle ist zwar kein Journalist, hat er nie gelernt, aber er ist ein Blogger, und er posaunt das, was einst am Stammtisch dröhnte, ins Internet – und er verdient mit jedem Klick Geld. Da muss man aber ganz schön laut auf die Trommel hauen, jedes Mal ein bisschen mehr, damit die Klicks nicht woandershin wandern und das auf Radau basierende Geschäftsmodell zusammenbricht.
Fatale Entwicklung
Eine fatale Entwicklung. Mit dem Tempo, dem Lärm im Netz können etablierte Medien nicht mithalten. Sie sollen das auch nicht. Die Annäherung an die Wahrheit braucht Zeit. Recherche, Personal, Mühe. Das kostet Geld. Und das hat sich anderswo orientiert. Alle gedruckten Zeitungen in Deutschland haben in den letzten zehn Jahren an Auflage, an Bedeutung verloren.
Die wirtschaftliche Grundlage war bereits durch die hohen Anzeigenverluste bedroht. Stellenmarkt oder Autoinserate findet man längst nicht mehr in der Samstagsausgabe der Lokalzeitung, sondern im Internet. In den USA, wo man viele Entwicklungen schon ein paar Jahre vor ihrer Ankunft in Deutschland beobachten kann, schien die Messe für die Tageszeitung, wie wir sie kennen, bereits gelesen.
Die wahre Wahrheit
Und dann kommt Trump. Beschimpft unliebsame Journalisten öffentlich als Verbreiter von „Fake News“ und verweigert lang gedienten Korrespondenten im Weißen Haus Antworten auf berechtigte Fragen. „Lügenbolde“, twittert Trump täglich, und kontert mit „alternativen Fakten“. Die eigene Wahrheit, das ist ja mal ganz was Neues. Bisher dachte man, es gibt nur eine Wahrheit, nämlich die wahre Wahrheit. Man schaut aus dem Fenster, sieht die Sonne und denkt: Wow. Blauer Himmel! Schönes Wetter! Aber Trump und Spießgesellen wie Kalle49 wollen vielleicht Regenschirme verkaufen und sagen: Fake News! Wir haben alternative Fakten. Es regnet!
Ein schützenswertes Gut
Weil es aber immer noch genug Menschen gibt, die Wahrheit und den Umgang mit ihr für ein schützenswertes Gut halten, ist nicht alles verloren. Beispiel: noch einmal die USA. Die „New York Times“, von Journalisten in aller Welt stets als leuchtendes Vorbild untadeligen Journalismus’ verehrt, schien noch vor Jahresfrist auf dem Weg in den Untergang. Dramatische Auflagenverluste, sogar das Verlagsgebäude musste in höchster Not versilbert werden.
Donald Trump adelte die „Times“ als mächtigsten Gegner und rettete sie damit – sicher ungewollt – vor der Bedeutungslosigkeit. Unerschrocken geißelten die Journalisten vom ersten Tag an die Winkelzüge des neuen Präsidenten und gewannen damit erstmals seit vielen Jahren wieder Leser hinzu. Über eine Viertelmillion Abos kamen in einem Quartal dazu, digitale Leser, keine Printkäufer, aber auch die bringen in den USA, wo die Zeiten der Umsonst-Kultur im Internet vorbei sind, Geld in die Kasse. Der Verlag investierte in die Redaktion. Neue Stellen entstanden, und heute arbeiten wieder 1300 Redakteure für die beste Tageszeitung der Welt. Eine Erfolgsstory.
Pauschal verteufelt
Gibt es also auch Hoffnung für die deutsche Zeitungslandschaft? Das bleibt abzuwarten. Noch läuft der Trend, sich an der sogenannten „Lügenpresse“ abzuarbeiten und die etablierten Medien pauschal zu verteufeln. Verleger reagieren unterschiedlich auf die Herausforderungen. Manch einer gibt auf. Redaktionen werden verkleinert, dabei auch mal kurz und klein geschlagen, was das Produkt nicht gerade verbessert und auch noch den letzten Leser vergrämt.
Wohin das alles führt, bleibt abzuwarten. Einen Trump als Bösewicht, der die Verteidiger des unabhängigen Journalismus zusammenschweißt, muss man nicht unbedingt haben. Aber ein wenig Hoffnung für unsere Tageszeitung, sorgfältig zusammengestellt von richtigen Journalisten, wird ja wohl gestattet sein.
Der Autor Ulrich Schilling-Strack war Sportredakteur, viele Jahre Korrespondent in London und Ressort-Leiter bei der WAZ.