Essen. Felicitas Kapteina (94) war 1948 die erste Redakteurin der WAZ. Christina Wandt (51) und Linda Heinrichkeit (30) haben mit ihre gesprochen.
Christina Wandt: Fee, du hast mit Anfang 20 in Schleiden in der Eifel eine Lokalredaktion alleine gestemmt, warst dort zivile Kriegsberichterstatterin. Wie bist du nach dem Krieg zur WAZ gekommen?
Felicitas Kapteina: 1946 hörte ich, es wird in Essen eine Zeitung gegründet, die Neue Ruhr Zeitung, eine SPD-Zeitung. Ich habe gedacht, die nehmen dich nie im Leben, du kommst von einer Nazi-Zeitung und hast keine Chance. Aber ich dachte, du musst es wenigstens versuchen, sonst machst du dir ewig Vorwürfe. So traf ich auf Erich Brost, den Chefredakteur. Dem habe ich alles schonungslos erzählt – und er hatte großes Verständnis für mich. Dabei war er selbst Widerstandskämpfer, und ich kam aus der Hitlerjugend. Er hat zu mir gesprochen wie ein Vater. Im April 1946 begann mein Volontariat.
Mir gefiel aber nicht, dass ich überall mit Genossin angesprochen wurde. Und als das Volontariat zu Ende ging, trat die Westdeutsche Rundschau in Wuppertal an mich heran: Und ihr glaubt es nicht, da hab’ ich ein Jahr die Lokalredaktion Essen geleitet – mit 24 Jahren.
Drei Journalistinnen - drei Generationen
Felicitas Kapteina gehört zu jener Generation, die im NS-Staat sozialisiert und im Krieg ihrer Illusionen beraubt wurde: 1923 als Felicitas Narz in Werden geboren, war sie bei der NS-Machtübernahme zehn Jahre alt. Ihr Vater starb im Zweiten Weltkrieg, ihre Mutter arbeitete als Rote-Kreuz-Schwester. Felicitas gehörte der Hitlerjugend an und schwärmte für die „fliegende Schriftstellerin“ Elly Beinhorn. „Werd’ lieber Journalistin“, riet ein Redakteur des NS-Blattes „Westdeutscher Beobachter“ in Köln. Da fielen schon Bomben auf Essen, war ihr Vertrauen ins Dritte Reich schon erschüttert. Dennoch ging sie nach dem Notabitur zu der Zeitung in Köln, übernahm eine verwaiste Lokalredaktion.
Als „zivile Kriegsberichterstatterin“ erlebte die sie Bombenteppiche, Chaos und Sterben. Nach Kriegsende gab ihr Erich Brost als Chefredakteur der 1946 gegründeten NRZ ein Volontariat. Später holte er sie zur WAZ, für die „Fee“ – mit Familienpausen – schrieb, bis sie fast 90 Jahre alt war.
Christina Wandt, verheiratet, ein Sohn. 1966 in Bonn geboren, studierte in Münster und Berlin, war Lehrerin in Frankreich. Volontierte bei der WAZ, arbeitete als Korrespondentin in Berlin und London, ist heute stellvertretende Redaktionsleiterin in Essen.
Linda Heinrichkeit, verheiratet, ein Sohn und eine Tochter. 1987 in Essen geboren, studierte in Innsbruck und München, volontierte bei der WAZ und ist seit April 2017 Redakteurin in der Lokalredaktion Bochum.
Linda Heinrichkeit: Mit 24 habe ich gerade mein Studium beendet und mein erstes Kind bekommen. Mein Volontariat bei der WAZ habe ich erst mit 28 begonnen und war bei Weitem nicht die Älteste in meinem Jahrgang. War es nicht ungewöhnlich, in dem Alter eine Lokalredaktion zu leiten, noch dazu als Frau?
Felicitas Kapteina: Damit hatte ich kein Problem, immer nur mit der Politik: Damals saßen die Engländer in der Villa Hügel, und die „North German Coal Control“ machte ihnen etwas vor, wie gut die Kumpel behandelt würden. Da kam ein englischer Lord her, und mit irgendeiner List habe ich mich bei einer Zechenbesichtigung an ihn rangemacht. Ich war mit ihm im Förderkorb, und der sauste so hinunter. Da habe ich mich irgendwo festgehalten und das war der Lord. So kam ich mit ihm ins Gespräch, sagte ihm, dass er belogen wird und führte ihn ins Segeroth-Viertel. Da hab’ ich ihm gezeigt, wie die Bergmänner wirklich lebten. Das gab einen Wirbel!
Linda Heinrichkeit: In dem Fall hattest du also als junge Frau einen Vorteil? Das klingt fast, als hättest du damit auch ein wenig kokettiert.
Felicitas Kapteina: Ja, natürlich! Ein Jahr später hörte ich, dass in Bochum eine überparteiliche Zeitung gegründet werden sollte: die WAZ. Der Chefredakteur war Erich Brost. Ich bin sofort zu ihm und habe gejammert: ,Herr Brost, überall, wo ich hinkomme, habe ich Ärger mit der Politik.’ Da lachte er: ,Fräulein Narz, bei uns brauchen Sie keine Politik zu machen, wir stellen Sie ein als Reporterin für weibliche Themen.’
Linda Heinrichkeit: In der Bochumer Lokalredaktion arbeitete nur eine Frau, bis meine Kollegin und ich vor einem Jahr dazu kamen. Ich erlebe es öfter, dass soziale Themen an meine Kollegin oder mich gegeben werden. Meist ist das aber auch an unseren Interessen ausgerichtet. Ich habe zwei kleine Kinder – natürlich schreibe ich da eher mal über Kita-Gebühren als meine männlichen Kollegen mit erwachsenen Kindern.
Christina Wandt: Trotzdem ist es unfassbar, dass Bochum bis vor kurzem fast eine reine Männer-Redaktion war. Schon als ich 1993 von der Uni zur Redaktion Duisburg kam, konnte ich kaum glauben, dass da gar keine Frau arbeitete – bloß ist das 25 Jahre her. Später war ich die einzige Frau im Hauptsport und durfte über Dressurreiten schreiben; die männlichen Kollegen litten wohl an kollektiver Pferdehaarallergie. Aber ich habe schon geschaut, dass ich auch mal zum Fußball kam. Heute würde sich wohl keine Frau auf „weibliche Themen“ festlegen lassen.
Felicitas Kapteina: Ich habe die weiblichen Themen gern gemacht. Aber immer mit der Tendenz: Seht, wie tüchtig Frauen sind. Ich habe ihre Leistungen herausgestellt, mehr Rechte für sie gefordert. Dafür habe ich das Bundesverdienstkreuz bekommen; auch meine Serie „Mädchen in Männerberufen“ wurde ausgezeichnet. Der stellvertretende Chefredakteur Oskar Bezold konnte mich trotzdem nicht leiden: Ihm gefielen Frauen in diesem Beruf grundsätzlich nicht.
Christina Wandt: Er meinte, Frauen gehören nach Hause?
Felicitas Kapteina: Ja, genau. Und das zeigte er auch. Ich verstand mich gut mit dem Reporter Ludwig Döring, der die männlichen Themen hatte. Döring war schwul, und das war damals noch verboten. Darum tat er so, als ob er etwas mit mir hätte. Dafür hat er mir manchmal Themen zugeschoben, die eigentlich in sein Ressort fielen. So ließ er mich eine Reportage über die Braunkohlegebiete in Garzweiler schreiben. Sie erschien, und Bezold stauchte mich zusammen: ,Sie sind sich doch darüber im Klaren, dass Ihnen das Thema nicht zusteht als Frau!’
Christina Wandt: Und dann...
Felicitas Kapteina: ... hab’ ich gefragt: ,Wieso, war das schlecht geschrieben?’ Da sagte er, das sei nicht das Problem. Das Problem sei, dass wir uns an Prinzipien halten müssten.
Linda Heinrichkeit: Aktuell wird viel über die Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz gesprochen, Stichwort „Me-Too“. Hast Du erlebt, dass Männer übergriffig geworden sind?
Felicitas Kapteina: Ja natürlich! Ich war zwar nie eine Sexbombe, und ich reagiere schon allergisch, wenn mir einer dreckige Witze erzählt. Aber die jungen Männer waren doch alle im Feld, und du warst als junge Frau nur unter alten Männern. Dass die versucht haben, dich ins Bett zu kriegen, ist doch logisch. Die haben gedacht, sie haben es einfach. Aber wenn man von vornherein plausibel macht, bis hierhin und nicht weiter, sind die auch anständiger.
Linda Heinrichkeit: Mit Kollegen erlebe ich solche Situationen nie. Es wird geflirtet, aber es gibt Grenzen. Aber mich hat schon mal ein Pressesprecher gefragt, ob ich mir für den Sommer denn schon einen neuen Bikini gekauft oder gehäkelt hätte. Ich hatte ihn zum Thema Baden in der Ruhr angerufen. Oder ein anderer, der fragte: Schätzchen, wie alt bist du denn eigentlich? Solche Fragen erleben Männer in der Regel nicht.
Christina Wandt: . . . mit zunehmendem Alter lassen diese Fragen nach.
Linda Heinrichkeit: Nachdem du eine Weile in Bochum als Redakteurin gearbeitet hattest, bist du mit deinem Mann nach Stuttgart gegangen, hast einen Sohn bekommen . . .
Felicitas Kapteina: Ich hatte Heimweh nach meinem Beruf und habe ohne Wissen meines Mannes einen Vertrag als Lektorin unterschrieben. Da ging mein Mann hin und annullierte den Vertrag. Er hat gesagt: Ich möchte, dass du unseren Sohn selbst erziehst. Heute ist das anders.
Christina Wandt: Ich bin nach der Elternzeit erst mit halber Stelle eingestiegen und habe später mehr gearbeitet als mein Mann – sonst hätte ich nicht stellvertretende Redaktionsleiterin werden können. Das klappt auch, weil die Betreuungsangebote heute viel besser sind – trotzdem hat mein Sohn schon manche Stunde in der Redaktion verbracht.
Linda Heinrichkeit: Ich könnte nicht als Redakteurin arbeiten, wenn mein Mann sich nicht mit um die Kinder kümmern würde. Und wenn nicht unsere Eltern noch mithelfen würden. Die Arbeitszeiten bis in den Abend hinein sind nicht familienfreundlich. Manchmal wundert es andere Mütter, wenn mein Mann derjenige ist, der die Treffen für die Kinder am Nachmittag vereinbart.
Felicitas Kapteina: Ich habe noch viele Frauen erlebt, die sagten, ich hätte im Beruf nichts zu suchen. Das war vielleicht auch Neid. Besonders in Stuttgart, wo die Frauen noch mit Kittelschürze rumliefen. Die neideten mir auch meine Intelligenz. Eine Frau sagte mal: ,Ja, ja, ihr Frauen aus dem Rheinland denkt schnell, aber wir denken gründlicher.’
Christina Wandt: 1962 bist du nach Essen zurückgekommen und wieder in den Beruf eingestiegen: Du hast jahrzehntelang für die WAZ-Lokalredaktion gearbeitet – aber immer als freie Mitarbeiterin. Wenn du junge Frauen erlebt hast, hattest du das Gefühl, die haben es leichter, müssen weniger kämpfen?
Felicitas Kapteina: Sie haben andere Probleme: Wir mussten uns erst beweisen, ihr müsst Euch halten. Viele Kolleginnen heute haben Angst um ihren Posten – wir mussten zwar unsere Rechte erstreiten, hatten aber keine Angst vor Entlassungen. Und noch eins: Journalismus ist ein Begabungsberuf. Du kannst nicht Journalistin werden, du musst es sein. Und wenn du es einmal bist, bleibst du es. Das kannst du nicht kündigen.