Duisburg. 30.000 Studierende bekommen ein Deutschlandstipendium. Ein Stifter und eine Stipendiatin erzählen. Warum er spendet - und wie es ihr weiterhilft.
„Vertrauenskalibrierung“ – daran forscht Natalia Szymczyk. „Es geht darum, was wir tun können, damit Menschen einer Künstlichen Intelligenz vertrauen.“ KI, Menschen, Vertrauen – es braucht nur wenige Begriffe, um zu merken, dass die 23-Jährige gern vorne mit dabei ist: Da, wo sich die Forschenden damit befassen, wie Künstliche Intelligenz unser Leben verändern wird – und wie man vielleicht dafür sorgen kann, dass es eine Veränderung zum Besseren wird.
Ihre Eltern kamen aus Polen, die erste Sprache war Polnisch
Natalia Szymczyk ist auf dem Weg zum Master-Titel und bereits wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Duisburg-Essen. Das war ihr nicht an der Wiege gesungen: „Meine Eltern kommen aus Polen, meine erste Sprache war Polnisch, mein Vater ist Lackierer und meine Mutter Erzieherin“, erzählt die Gelsenkirchenerin. Kurz gesagt: Natalia Szymczyk ist eine von jenen Studierenden, deren Förderung sich die Uni Duisburg-Essen besonders auf die Fahnen geschrieben hat. Migrationsgeschichte, Bildungsaufsteigerin – neben guten Notenleistungen sind das Kriterien, die die Uni selbst festlegen kann.
Wobei – nicht missverstehen: Natalia Szymczyk und Sven Krapoth sind jetzt kein Paar im Sinne von: Sie ist die Stipendiatin, er der Stipendiengeber. Sven Krapoth hilft ihr dabei höchstens sehr indirekt. Bei seiner Firma „NRT“, was für „Niederrhein-Treuhand“ steht, ist er als Steuerberater tätig, macht Fachberatungen für Unternehmensnachfolgen. Die NRT ist eine von vielen, die ein Deutschlandstipendium finanzieren.
„Ich habe mich in unserer Firma dafür eingesetzt, weil ich auch selbst erfahren habe, wie sehr mir das nutzt“, erzählt der 35-Jährige, der vor gut anderthalb Jahrzehnten selbst in Duisburg studiert hat und von dem NRW-Vorläuferprogramm profitiert hat – seinerzeit war bei ihm Haniel der Stipendiengeber. Er, der Förderung erfahren hat, will nun selbst dafür sorgen, dass der Nachwuchs gefördert wird.
Düsseldorfs Uni ist Spitzenreiter beim Einwerben von Stipendien
Aus Sicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist das Stipendium ein Erfolgsmodell: 2022 gab es gut 9000 Förderer, die knapp 30.500 jungen Menschen an 297 Hochschulen zu einem Stipendium verholfen haben. Spitzenreiter in NRW (8078 Stipendiatinnen und Stipendiaten) ist die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf mit derzeit 459 Stipendiaten.
An der Hochschule Rhein-Waal (Kleve/Kamp-Lintfort) unterstützen 24 regionale Firmen und Organisationen 56 Studierende. Die Hochschule Niederrhein in Krefeld und Mönchengladbach hatte 300 Bewerbung und konnte 188 Stipendien vergeben. An der Uni Duisburg-Essen ermöglichen 64 Stipendiengeber die Förderung von 266 Stipendiatinnen.
Jede Hochschule muss sich den Etat für Stipendiaten selbst erarbeiten, indem sie Förderer findet – Vorteil für Hochschulen, die an wirtschaftlich starken Standorten arbeiten. Und: Das Stipendium bekommen auch jene, die es finanziell nicht brauchen: es wird unabhängig von der sonstigen Finanzierung gewährt. Unter den Stipendiaten (54 Prozent sind weiblich) sind deutlich mehr Kunststudierende als unter der sonstigen Studierendenschaft (7% zu 3%).
Besonders häufig werden angehende Ingenieurinnen und Ingenieure gefördert (35% der Stipendiaten/26 Prozent der Studierenden) vor Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (29% zu 40%). Unterrepräsentiert sind Geisteswissenschaften (7% Stipendiaten, 11 % der Studierenden). Auch der Studiengang „Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaften“ mit Informatik, Psychologie und Betriebswirtschaftslehre gehört offiziell zu den Ingenieurwissenschaften.
Stipendiatin der Sparkasse Essen, zuvor gefördert von Deichmann
Natalia Szymczyk wurde im ersten Stipendienjahr vom Schuhkonzern Deichmann unterstützt, ist jetzt im Programm der Sparkasse Essen, die jährlich zehn Deutschlandstipendien finanziert. „Für uns ist es wichtig, Kontakt zu den Fachkräften von morgen zu haben“, sagt die Sparkasse. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden vom Vorstand zum Frühstück eingeladen, man tauscht sich aus: Was erwarten junge Leute heute von einem Kreditinstitut – als Kundin oder Kunde und als Arbeitgeber?
Ähnlich argumentiert die Firma Deichmann: Bereits seit 2010 unterstützte man das Deutschland-Stipendium, derzeit vergibt das Essener Unternehmen 75 Stipendien in verschiedensten Fachbereichen „an der Hochschule Niederrhein, der Universität Duisburg/Essen sowie der Hochschule Kaiserslautern“, so Europas größter Schuhhändler.
Ob Natalia Szymczyk in diese Fußstapfen treten wird? Unwahrscheinlich. Dafür findet sie Forschung rund um KI und Psychologie zu spannend. „Ich wollte immer schon etwas mit Psychologie machen, aber keine Therapeutin werden“, erklärt sie ihre Studienwahl für das Fach Kognitionswissenschaften und Medienwissenschaften, in dem Psychologie und Informatik Hand in Hand gehen.
„Den Notenschnitt für den Studieneinstieg habe ich gerade eben so geschafft“, erzählt sie. Mittlerweile wird ihre Leistung immer besser – was einerseits an der Motivation liegt, andererseits an der etwas gesicherteren Finanzierung. „Dank des Stipendiums kann ich mir eine eigene Wohnung leisten“, erzählt sie. Und sie konnte ihren Nebenjob in der Bäckerei nach knapp fünf Jahren gegen die Arbeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für „Interaktive Systeme“ tauschen. Die Zeit, kleine Brötchen zu backen, ist für sie vorbei – auch dank des Deutschlandstipendiums.
Und so werden Sie Stifter – oder bekommen ein Stipendium:
Eigentlich ist es ein Kind aus NRW, das Deutschlandstipendium. Denn hierzulande gab es ein NRW-Stipendium, das 2011 im Deutschlandstipendium aufging. Und so funktioniert es:
Stipendiaten bewerben sich an ihrer Hochschule, die die Kriterien festlegt.
Dazu zählen Studienleistungen, ehrenamtliches Engagement oder erfolgreich Hindernisse im Lebens- und Bildungsweg beiseite geräumt zu haben. Das Stipendium wird nicht aufs Einkommen oder BAföG angerechnet und läuft mindestens ein Jahr mit 300 Euro pro Monat.
Davon zahlen die privaten Stipendiengeber die Hälfte, die andere Hälfte kommt aus dem Bundeshaushalt. Die „Paten“ müssen die Hochschulen übrigens selbst einwerben.
Die Stipendiaten bekommen eine Urkunde, in der „ihr“ Stipendienpate genannt ist, Kontakte sind ausdrücklich erwünscht, Praktika gern gesehen, aber nicht verpflichtend. Und: Stipendiengeber können die Kosten (1800 Euro pro Stipendium und Jahr) steuerlich geltend machen.
Wer ein Stipendium stiften will oder eines bekommen möchte, findet auf der Seite „deutschlandstipendium.de“ eine interaktive Karte, die Ansprechpartner an Hochschulen anzeigt.