DUisburg. . Unterricht in Wintermänteln, marode Räume, gesprungene Toilettenschüsseln: Schularbeit im Brennpunkt Duisburg scheitert oft an der Basis.

Da staunten Lehrer und Schüler des Berufskollegs Sophie Scholl nicht schlecht: Wer sich den Schulraumerweiterungsplan der Stadt ansieht, erkennt, Marxloher Schulen werden so gut wie gar nicht berücksichtigt. Auch die Berufskolleg Sophie Scholl geht vorerst leer aus. „Das können wir nicht verstehen“, sagt Filiz Delkus (23) enttäuscht und schaut dabei auf ihren Einsatz für ihre Schule. „Dabei leisten wir so viel. Für die Schule. Für unsere Stadt und für unser Marxloh“, erklärt Jülide Celenk (20). „Es ist ja nicht so, als hätten wir im Vorfeld nicht auf das Berufskolleg aufmerksam gemacht. Wir haben Petitionen über NRW-Ministerpräsident Laschet bis nach Berlin zum Bildungsbeauftragten und Grünenpolitiker Cem Özdemier geschrieben. Und Oberbürgermeister Sören Link kam zu Besuch“, schildert Nermina Coralic (23) die Bemühungen.

Berufskolleg ist dringend sanierungsbedürftig

Alle drei Schülerinnen gehören zur Schülervertretung und sind mit hoher Einsatzbereitschaft im Namen des Berufskolleg in Marxloh stark verankert. Neben Hausaufgaben, Vorbereitung für Klassenarbeiten und dem Schulalltag investieren die drei mit vielen weiteren Schülern ihre Freizeit für den Stadtteil. Sie sind die Botschafter ihrer Schuleinrichtung. Eine Einrichtung, die in die Jahre gekommen ist und „dringend saniert werden muss“, sagt Brigitte Wilken, Bereichsleiterin für Erziehung.

Auch interessant

Der Zustand der Schule steht im starken Kontrast zu dem, was die Einrichtung in Bildungsqualität investiert. Bis zu 2000 Schüler haben an dem Kolleg Platz. Da heißt es auf der Internetseite der Schule: „Wir bereiten die Schülerinnen und Schüler darauf vor, ihre Lebens- und Arbeitswelt in einer von Wandel und Veränderung gekennzeichneten Gesellschaft sinnvoll zu gestalten. Durch Vorbild und Erziehung wollen wir zeigen, wie ein Leben in gesellschaftlichen Gruppen auf der Grundlage anerkannter Werte gestaltet sein sollte“.

Fenster in der Hand

Das Stadtteil- und Jugendfest „Marxloh kann“ wurde von der Schülerschaft initiiert. Und im Bereich der politischen Bildung beteiligt sich das Berufskolleg als Projektschule im Pilotprojekt „Demokratie für mich“, ein Aufklärungsprogramm demokratischer Grundwerte von Schülern zu Flüchtlingen. „Wir engagieren uns mit Herz. Doch wie soll das weitergehen, wenn die Grundvoraussetzungen nicht mehr stimmen?“, fragen sich die Schülerinnen. Die Klassenzimmer sind bis zum Anschlag verplant. Die Toiletten sind nahezu nicht nutzbar. „Nicht, weil sie nicht gepflegt und gesäubert werden, sondern weil sie so alt sind, dass der Urinstein nicht mehr weggeht und die Kloschüsseln zum Teil zerspringen“, sagt Brigitte Wilken.

Und dann fällt Jülide Celenk eine echte Schocksituation ein: „Es war im Winter. Es war super kalt und ich weiß noch wie sehr wir im Klassenraum gefroren haben.“ Alle Schüler saßen mit Anorak und Wintermänteln im Unterricht. „Die Fenster sind ja aufgrund ihres Alters nicht isoliert. Heizen bringt da gar nichts mehr“, sagt sie. Um die Wärme im Raum zu halten, sollte das noch offene Fenster geschlossen werden. Die 20-Jährige griff nach der Verriegelung: „Plötzlich hielt ich das Fenster in der Hand. Ich dachte, ich werde erschlagen.“

Fehlende Fürsprecher

Auch die Herbert-Grillo-Gesamtschule kämpft um Grundsätzlichkeit. Immerhin: Im Sommer dürfen Schüler und Lehrer auf Raumerweiterung durch Schulcontainer hoffen. „Doch das reicht nicht aus. Unser Schulgebäude ist zwischen 1880 und 1910 erbaut wurden. Entsprechend klein sind die Räume und völlig marode“, erklärt Thomas Zander, Leiter der Gesamtschule. Warum Kommune und Land nicht reagieren können? Thomas Zander versucht eine Antwort zu finden: „Marxloh hat keine Lobby.“ So fehlten auf politischer Entscheidungsebene Fürsprecher. „Die meisten Eltern unserer Schüler sind politisch nicht aktiv und haben nicht die Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.“, weiß er aus seiner pädagogischen Arbeit. Doch er weiß auch: „Unsere Lehrer sind an ihren Grenzen angekommen. Das geht nicht mehr lange gut. Wir brauchen Hilfe.“

„Rolle der Schulen muss neu überdacht werden“ 

Starke Lobby, starke Unterstützung seitens der Stadt: Schulleiter Holger Rinn (56) vom Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium wünscht sich intensive Förderung an der Basis der Grundschulen. Nicht ohne Grund: Als weiterführende Schule kann der Schulleiter gerade mal 28,7 Prozent aller Marxloher Grundschüler bei sich am Gymnasium begrüßen. „Eine traurige Bilanz“, wie er findet, wenn man bedenkt, „dass der Grundbaustein für schulische Ausbildung an Grundschulen anfängt. Wenn in den Grundschulen schon Lehrer, Schulmaterial und Bildungsräume fehlen, wie sollen Schüler Lust zum Lernen gewinnen?“, fragt er.

Holger Rinn (56) leitet das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Duisburg.
Holger Rinn (56) leitet das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Duisburg. © Udo Milbret

Schulausschuss erhält Brandbriefe aus vielen Marxloher Schulen

Aktuell nahm der Schulausschuss in seiner vergangenen Sitzung Brandbriefe aus vielen Marxloher Schulen zur Kenntnis. Weitere Treffen mit Schuldezernent Thomas Krützberg sollen folgen. Hoffnung, dass sein Einwand im Schulraumerweiterungsplan noch berücksichtigt wird, hat Rinn kaum. Dafür quält ihn eine Erkenntnis: „Bildung ist der Rohstoff für die Möglichkeiten, den sozialen Status, in dem Marxloher Kinder existieren, zu verlassen.“ Ein wichtiger Ansatz liege in der Definition von Schulen im Allgemeinen. „Rolle und Bedeutung müssen neu überdacht werden, um Schule und vor allem Grundschule in Marxloh attraktiv zu gestalten.“ Doch wie soll das gehen, wenn es am Notwendigsten schon fehlt? Räume, Personal, Lehrmaterial: „Der Grundbedarf ist nicht mehr gedeckt.“

Klaus Hagge, Leiter der Grundschule Sandstraße, kämpft mit anderen Herausforderungen. „Wir haben eine starke Zuwanderung von südosteuropäischen Familien und aus Kriegsregionen. Sie schlagen bei uns im Laufe des Jahres auf, ohne ein Wort Deutsch zu können oder je zuvor eine Schule gesehen zu haben.“, erklärt er. Eltern könnten nicht helfen, weil sie meist selbst kein Deutsch beherrschen. „Wir haben Grundschulkinder, die im Status Kindergarten feststecken.“ Was da hilft? „Wir brauchen Sozialarbeiter, Logopäden, Psychologen, Dolmetscher für Arabisch, Bulgarisch und Rumänisch“, sagt Hagge. Zudem werden dringend Unterrichtsräume gebraucht. „Wir unterrichten unsere Schüler sogar auf dem Flur“.

Klaus Hagge leitet die Grundschule an der Sandstraße.
Klaus Hagge leitet die Grundschule an der Sandstraße. © Stephan Eickershoff

Grundschulleiter Klaus Hagge: "Wir brauchen dringend Hilfe"

Hagge appellierte wie viele andere Schulleiter in einem Brandbrief an die Stadt: „Wir sind Pädagogen, haben aber keine Durchschnittssituation. Wir brauchen dringend Hilfe.“ Denn die Prognosen der Grundschulleiter in Marxloh verheißen nichts Gutes. „Türkischstämmige und deutsche Familien wandern ab.“ Die Befürchtung der Einrichtungen: „Das Lernniveau könnte nahezu gegen Null sinken.“ Klaus Hagge weiß schon jetzt: „Von 60 Kindern, die nun auf die weiterführende Schule sollen, haben gerade mal vier eine Empfehlung für das Gymnasium. Wie soll man damit umgehen?“ (S.K.)