Essen. Lehrer, Kirchen, Politik und Bürger in Baden-Württemberg streiten derzeit heftig über den Plan des Landes, Homosexualität stärker im Unterricht zu thematisieren. In NRW fassen Landesregierung und Kirchen das heiße Eisen dagegen vorsichtig an. Nur die Lehrerverbände stellen sich klar hinter die Pläne.
Das Coming-Out des Fußballprofis Thomas Hitzlsperger hat die Deutschen in der vergangenen Woche bewegt. Und die Mehrheit ist sich einig: Das war ein mutiger, längst überfälliger Schritt. Hitzlsperger wird als Vorbild bejubelt. Er hat ein Tabu gebrochen – gerade im Fußball. Leicht konnte da der Eindruck entstehen, dass dieses Tabu nur noch dort existierte.
Doch schon kurz darauf kochen erneut die Emotionen hoch - diesmal auf einem völlig anderen Spielfeld. Schwulenfeindlichkeit ist nicht nur in Fußballstadien sondern auch auf Schulhöfen weit verbreitet. Das belegen zahlreiche Studien. „Schwuchtel“ ist laut einer Untersuchung der Humboldt-Universität Berlin für 62 Prozent der Sechstklässler ein beliebtes Schimpfwort. Schwulen-Witze und Beleidigungen gehören zur Tagesordnung. „Viele Schüler haben ein negatives, diffuses Bild von Schwulen und Lesben“, sagt Gabriele Grond von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW.
Auch interessant
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg will daher das Thema Homosexualität stärker im Unterricht thematisieren. „Sexuelle Vielfalt“ soll als Ziel in den Bildungsplan aufgenommen werden. Das klingt zunächst wie eine Nicht-Meldung. Doch die Pläne haben einen Sturm entfacht.
Das Thema spaltet die bürgerlichen Parteien und die Lehrerverbände im Bundesland gleichermaßen. Die Landeskirchen haben sich offiziell gegen den Toleranz-Unterricht positioniert. Und auch im Internet liefern sich Gegner und Befürworter ein Unterschriften-Duell. „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ lautet der Titel der Online-Petition, mit der ein Realschullehrer gegen den Vorstoß mobil macht. Mehr als 115.000 Unterstützer haben bislang unterzeichnet.
Lehrerverbände in NRW für stärkere Thematisierung von Homosexualität
Der Initiator verbreitet ganz nebenbei gängige Vorurteile. So behauptet er unter anderem, dass ein homosexueller Lebensstil mit einer „höheren Suizidgefährdung“ und einer „erhöhten Anfälligkeit für Alkohol und Drogen“ einhergehe. In den Kommentaren unter der Petition toben sich Schwulenfeinde teils hemmungslos aus. Auf die Online-Petition der Gegner des grün-roten Anliegens folgte inzwischen die der Befürworter. Seit dem 7. Januar ist sie online – und hat mittlerweile rund 58.000 Unterzeichner.
Die Lehrerverbände in NRW sind dagegen auf einer Linie: „Eine stärkere Verankerung des Themas Homosexualität in den Lehrplänen wäre auch für NRW wünschenswert“, findet Gabriele Grond von der GEW. „Das würde dem Anliegen der sexuellen Toleranz mehr Legitimation verleihen und die Homosexualität endlich aus der ‚Schmuddelecke’ holen, in der sie auch an unseren Schulen immer noch oft landet.“ Eine reine Beschränkung auf Sexualkunde sei da zu kurz gegriffen. Laut Grond sollte die Sensibilisierung für Homosexualität zudem fester Bestandteil der Lehrer- und Referendars-Ausbildung sein.
Auch Peter Silbernagel vom Philologenverband NRW kann den Widerstand gegen den Toleranz-Unterricht nicht nachvollziehen. „Normalerweise dürfte es darüber gar keine Diskussion geben“, sagt der Verbandsvorsitzende. „Unsere Schulen sind dazu verpflichtet, für sexuelle Toleranz einzutreten und nötigenfalls Aufklärung zu leisten.“ Wenn ein Bundesland dies explizit in seinem Bildungsplan aufnehmen wolle, sei dies absolut legitim.
Sieben Schulen in NRW kämpfen gezielt gegen Homophobie
Bei der NRW-Landesregierung dagegen fasst man das heiße Eisen vorsichtiger an. Das Schulministerium beruft sich auf Richtlinien für die Sexualerziehung, die seit 1999 gelten. Demnach sei es Aufgabe der Schulen, „Schülerinnen und Schüler altersgemäß mit den biologischen, aber auch mit den ethischen, sozialen und kulturellen Fragen von Sexualität vertraut zu machen. Dazu zählt auch die Erziehung zu Offenheit und Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt“, teilt NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann mit.
Der Sexualkunde-Unterricht ergänze die Sexualerziehung der Eltern. Über Ziel, Inhalt und Methoden würden die Eltern informiert. Die Notwendigkeit, das Thema in einem Bildungsplan festzuschreiben, sieht das Ministerium nicht.
Die Ministerin verweist zudem auf ein zartes Pflänzchen, das seit 2012 auch mit Unterstützung des Landes keimt. Im Projekt „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ werden unter anderem Lehrerinnen und Lehrer in Fortbildungen für das Thema Homosexualität sensibilisiert. „Die meisten von ihnen lernen dort erst, was Schwule und Lesben an Diskriminierungen erleben“, erklärt Landeskoordinator Frank G. Pohl.
Doch viele Schulen sind es noch nicht, die sich für das Programm interessieren. An sieben Schulpforten - unter anderem in Düsseldorf, Sprockhövel und Köln – prangt inzwischen ein Schild des Modell-Projekts mit dem Motto: „Come in – wir sind offen“. Alleine dieses Schild anzubringen, sei für viele Schulen schon eine Hürde, so Pohl. Das Projekt erfordere viel Aufklärungs-Arbeit im Kollegium und bei den Eltern.
Auch interessant
Eher leise Töne stimmen die Kirchenvertreter in NRW an: „Es ist selbstverständlich, dass die Schule zu Offenheit für unterschiedliche Lebensformen erziehen soll. Das schließt natürlich auch die Sensibilisierung für Homophobie mit ein“, sagt Wolfram von Moritz, Dezernent für Schulwesen der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Er fügt jedoch hinzu, dass die Pädagogen zusammen mit den Eltern beraten sollten, in welcher Weise im Unterricht sexuelle Orientierung zum Thema werde und mahnt: „Das Thema ist zu wichtig, um politisch instrumentalisiert zu werden.“ Beim Bistum Essen beruft man sich auf die bestehenden Richtlinien für die Sexualkunde in NRW, mit denen es bislang keine Probleme gegeben habe.
Coming-Out in der Schule für viele Lehrer abschreckend
Gabriele Grond, die auch dem Verein lesbischer Lehrerinnen in NRW angehört, hat vor einigen Jahren selbst das Coming-Out gewagt. „Viele Schülerinnen und Schüler haben gar keine Erfahrung mit Lesben und Schwulen“, sagt sie. „Ich wollte ein Rollenvorbild sein.“ Sie persönlich habe an ihrer Schule überwiegend gute Erfahrungen gemacht.
Sicher, es habe Beleidigungen durch Schüler gegeben, aber daraus seien auch fruchtbare Gespräche entstanden. Eine allgemeine Empfehlung zum Coming-Out will sie ihren schwulen und lesbischen Kolleginnen und Kollegen jedoch nicht geben. „Das ist eine sehr persönliche Entscheidung“, sagt Grond. „Wenn der Geist einmal aus der Flasche ist, muss man damit leben können. Davor schrecken viele zurück.“
Aber letztendlich sei das auch nicht der entscheidende Punkt, meint Pohl. „Es geht nicht darum, ob ein schwuler Lehrer oder eine lesbische Schülerin sich outet oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass an einer Schule ein Klima geschaffen wird, das ihnen dies überhaupt möglich macht." Und daran kann das mutige Vorpreschen eines Einzelnen wenig ändern. Weder auf dem Schulhof noch im Fußballstadium.