Essen. . In manchen Städten im Ruhrgebiet lebt schon jedes dritte Kind von Hartz IV. Die Städte fordern Unterstützung von Land und Bund. Der Kinderschutzbund tritt für eine Kindergrundsicherung ein. 536 Euro soll der Staat für jedes Kind zahlen.
Wer von Armut in einem reichen Land spricht, erntet oft Widerspruch. In Deutschland, heißt es dann, muss niemand verhungern. Der Staat sorge doch für die, die sich nicht selbst helfen können. „Man kann hierzulande sicher nicht von einer absoluten Armut sprechen“, sagt Guido Ernek. Als Bereichsleiter Familie und Schule bei der Caritas in Oberhausen weiß Ernek aber auch, dass Armut nicht erst dort anfängt, wo Menschen nicht genügend zu essen haben: „Arme Menschen haben nicht die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe. Das drückt besonders auf die psychische Situation von Kindern.“ Es gibt zahlreiche Kinder in Deutschland, die keine Winterkleidung haben; die in Wohnungen mit schimmligen und feuchten Wänden aufwachsen; die nie in Urlaub fahren.
Besonders viele dieser Kinder leben an Rhein und Ruhr, wie aus einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht.
„Das Ausmaß und die Entwicklung der Einkommensarmut unter Kindern in den Regionen Nordrhein-Westfalens sind bedenklich“, ist in dieser Studie zu lesen. Der Anteil armutsgefährdeter Kinder ist demnach in Westdeutschland nur in Bremen höher. Allein im Regierungsbezirk Düsseldorf leben 186.000 Kinder, die von Armut bedroht sind. Seit Jahren hat sich der Anteil der armutsgefährdeten Kinder trotz Beschäftigungsaufschwungs kaum verringert. Im Gegenteil.
„Die soziale Schere geht weiter auseinander“
Ein Schwerpunkt sind – natürlich – die Städte im Ruhrgebiet. So lebt etwa in Duisburg ein Drittel aller Kinder unter 15 Jahren von Hartz-IV-Leistungen. Eine Herausforderung für eine bitterarme Stadt, die derzeit zudem unter dem Zuzug von hilfebedürftigen Menschen aus Rumänien und Bulgarien ächzt. „Die soziale Schere geht weiter auseinander“, sagt Thomas Krützberg, der Beigeordnete für Familie, Bildung und Kultur.
2013 hat Duisburg ein Maßnahmenpaket beschlossen, in dem Hilfe für armutsbedrohte Kinder gebündelt wird. Sprach- und Gesundheitsförderung, Sportangebote, offene Kinder- und Jugendarbeit sollen aus einem Guß angeboten werden. Allein wird die Stadt die Herausforderungen aber nicht stemmen können. „Wir brauchen finanzielle Unterstützung von Bund und Land“, so Krützberg. Ein Beispiel: Allein der von Bund und Land forcierte Ausbau der U3-Betreuung wird die Stadt fünf Millionen Euro zusätzlich kosten. Geld, das Duisburg eigentlich nicht hat.
Ohnehin wird sich die Verfestigung der Kinderarmut nicht auflösen, falls die Politik nicht massiv gegensteuert, warnt Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes. Die staatlichen Unterstützungsmechanismen seien in Deutschland schlicht falsch; für reiche Menschen zahle sich dank Freibeträgen und steuerlicher Absetzbarkeit von Kinderbetreuung das Kinderkriegen mehr aus als für Normalverdiener oder Arme. „Mit jedem Kind, das man bekommt, verringert sich das frei verfügbare Einkommen“, sagt er. Selbst Menschen mit einem Einkommen von 2500 Euro brutto seien mit drei Kindern auf staatliche Hilfe angewiesen. Auch die Einführung des Mindestlohns werde die Kinderarmut nicht bekämpfen. „Was wir brauchen, ist eine Kindergrundsicherung in Höhe von 536 Euro pro Kind“, fordert Hilgers.
Ehrenamtliche müssen dem Staat helfen
Vor Ort kämpfen Menschen wie Sozialarbeiter Ernek gegen die Misere an. Bis zu 2500 Kinder betreut allein die Caritas Oberhausen jedes Jahr. „Wir sind die Handwerker vor Ort, die die Probleme bearbeiten“, sagt Ernek. Beratung, Unterstützung, Begleitung, Hilfe bei konkreten Problemen: „Etwa, wenn in einer Familie die Waschmaschine kaputt geht und kein Geld für die Reparatur da ist. Stellen Sie sich mal vor, wie das für die Kinder ist, wenn man zwei Wochen nicht waschen kann.“
Selbst die Versorgung mit dem Nötigsten klappt längst nicht mehr durch staatliche Unterstützung allein. Projekte wie die Moerser Kindertafel des Vereins „Klartext für Kinder“ erfahren einen regen Zuspruch. Kinderarmut wird an Rhein und Ruhr zu einem Dauerthema. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot taucht der Begriff nicht ein einziges Mal auf.