Essen. Gustl Mollath saß sieben Jahre in der Psychiatrie - offenbar ohne rechtliche Grundlage. Sein Fall ist Anlass für eine Diskussion um den Maßregelvollzug. Nun will die Bundesjustizministerin die Möglichkeiten einzuschränken, Straftäter in die Psychiatrie einzuweisen - alllerdings nicht vor der Bundestagswahl.

Sieben Jahre saß Gustl Mollath in der Psychiatrie. Er wurde als gemeingefährlich eingestuft und eingewiesen. Der 56-Jährige soll seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen haben. Er hat das immer bestritten. Genutzt hat es lange nichts: Nun hat ein Gericht seine Entlassung und eine Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt.

Der Fall wirft die Frage auf, ob und inwiefern die derzeitige Praxis der Zwangseinweisungen in forensische Kliniken reformbedürftig ist. Doch das Thema ist sensibel und unpopulär. Bundestagswahlen lassen sich damit nicht gewinnen. Kein Politiker - und auch kein Richter - möchte dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ein Straftäter aus dem sogenannten Maßregelvollzug entlassen wird und wieder rückfällig wird.

Keine kurzfristige Reform der Zwangseinweisung in Psychiatrie in Sicht

Trotz des Falls Gustl Mollath werden die Gesetze zur Einweisung in die Psychiatrie wohl nicht kurzfristig reformiert. Auf die Frage, ob sich der Bundestag bei den beiden Sondersitzungen Anfang September noch mit der angepeilten Reform befassen werde, sagte ein Sprecher des Justizministeriums am Mittwoch in Berlin: "Ich denke, eher nicht."

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Vor wenigen Wochen waren erste Eckpunkte bekanntgeworden. Danach will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Möglichkeiten einschränken, Straftäter in die Psychiatrie einzuweisen. Derartige Entscheidungen sollen häufiger überprüft und auf gravierende Fälle beschränkt werden.

Strafgesetz regelt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Gustl Mollath wurde auf der Grundlage des Paragraphen 63 eingewiesen. Er besagt, dass ein Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen kann, wenn jemand eine Straftat begangen hat und schuldunfähig oder vermindert schuldfähig ist und infolge seines Zustandes weitere Straftaten zu erwarten sind.

Darüber hinaus gibt es noch den Paragraphen 64. Er regelt die Zwangseinweisung in Entziehungsanstalten. Diese ist angezeigt, wenn jemand eine schwere Tat unter Alkohol- und Drogenkonsum begangen hat oder die auf diesen Konsum zurückzuführen ist.

Zahl der gesamten Untergebrachten ist in den letzten Jahren gestiegen 

Im Jahr 2011 gab es laut Angaben des Bundesamtes für Statistik deutschlandweit 10.663 Menschen, die in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt untergebracht waren, weil ein Richter dies angeordnet hatte. 2002 waren es 7.842 Personen.

In NRW waren 2940 Menschen im Jahr 2011 untergebracht, davon 2042 nach Paragraph 63 in psychiatrischen Krankenhäusern. Die Richter in NRW ordneten laut Angaben des Statistischen Landesamtes im Jahr 2012 für 140 Menschen eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Wer in die Forensik eingewiesen wurde, kommt nur schwer wieder raus

Die Gerichte würden zu schnell werde zu dem "Instrument des Paragraphen 63" greifen, kritisiert Rechtsanwalt Tobias Reimann. Er ist Mitglieder der Strafverteidiger Vereinigung NRW und arbeitet in der Kanzlei Eisel und Kaarmann in Bochum.

Die Gesamtzahl der Untergebrachten steige, sagt Reimann. Menschen, die nach Paragraph 63 eingewiesen wurden, kommen nur schwer wieder heraus. Die durchschnittliche Verweildauer liege bei über zehn Jahren. "Man weiß aber als Betroffener nicht, wann man wieder in Freiheit kommt", sagt Reimann.

Das Procedere zur Entlassung aus der Psychiatrie ist komplex, erklärt der Rechtsanwalt. Jährlich müsse die jeweilige Klinik ein Gutachten bei der Strafvollstreckungskammer vorlegen, alle drei Jahre ein externer Sachverständiger. Wer zum Beispiel während der Therapie in der Forensik behauptet, er sei unschuldig, gilt als untherapierbar - egal, ob er die Tat begangen hat oder nicht.

Bundesverfassungsgericht rügte Entscheidung über Fortdauer der Unterbringung 

Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Mai 2013, dass bei der Entscheidung über eine Fortdauer der Unterbringung die Gerichte konkreter prüfen müssen. So genüge die bloße Möglichkeit künftiger Taten nicht dafür, dass ein Mensch weiter in der Klinik bleiben muss.

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Die Gerichte müssten erklären, wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit sei, dass derjenige eine Tat begehe und welche Straftaten zu erwarten seien, sagt Reimann. Die Bochumer Anwälte hatten das Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht erwirkt (Aktenzeichen: 2 BvR 2671/11). Außerdem haben sie ein Manifest zur Reduzierung des Aufenthalts in der Forensik verfasst.

Es gebe viele Menschen, die zum Zeitpunkt der Einweisung in eine forensische Psychiatrie gehört hätten, denen aber zum Beispiel durch Therapien geholfen werden konnte und die nun nicht mehr dort hingehören würden, erklärt Reimann.

Eine Lösung bei einem derart emotionalen Thema zu finden, ist nicht einfach

Auf der anderen Seite gebe es Fälle, in denen es angemessen sei, die Leute in der forensischen Psychiatrie zu lassen. So hat Reimann einen Mandanten, dem die Klinik gut getan habe. Er war zehn Jahre dort, nahm Medikamente, die er sonst nicht genommen hätte. "Jetzt geht es ihm wieder gut", sagt der Anwalt.

Krankt das System? Es gebe zu wenig Stellen in der Justiz, zu wenig hoch ausgebildetes Personal in den forensischen Psychiatrien. "Und das setzt sich bei den Verteidigern fort", sagt Reimann: Noch heute gebe es Fälle, in denen Verteidiger in Strafverfahren schwere Fehler machen.

Viele der Menschen, die in eine forensische Klinik eingewiesen werden, sind wohl zu recht dort. Sie haben Straftaten begangen, sind eine Gefahr für andere und müssen therapiert werden. In den Kliniken sind aber wahrscheinlich auch Menschen, die dort zu Unrecht sitzen. Der Rechtsstaat muss für beide Fälle eine Lösung finden - das ist nicht einfach bei einem derart heiklen Thema. Auch der Fall Mollath wird vorerst wenig daran ändern, dass sich an dem Thema kein Politiker die Finger verbrennen möchte. (mit dpa)