Köln. . Ein Pfandflaschensammler wird im Bahnhof Köln-Deutz von einem Intercity überfahren - und überlebt. Er ist sogar unverletzt. Es gibt mehrere Zeugen für den Vorfall. Fachleute rätseln jetzt, wie viele Schutzengel der Mann wohl gehabt hat...

Der Moment muss grausig gewesen sein. Als der IC aus München am frühen Montagmorgen gegen 0.55 Uhr im Bahnhof Deutz einfuhr, sah der Lokführer plötzlich eine Gestalt auf den Gleisen, in gebückter Haltung – als ob sie was aufheben will. „Der Lokführer gab ein Achtungssignal, leitete eine Schnellbremsung ein“, erzählt Nadine Peter von der Bundespolizei. Doch: keine Chance. Der IC rauscht über die Gestalt. Erst viele Meter später kommt der lange Zug zum Stehen. Nichts zu sehen von der Gestalt.

Und dann? Dann geschieht etwas, worüber Polizistin Peter sagt: „Das ist ein Wunder!“ Unter dem IC krabbelt ein Mann hervor, unversehrt. Menschen eilen herbei; so ziemlich das Erste, was der Mann macht, ist: Er beschimpft den Lokführer herzhaft, in einer fremden Sprache.

Der vom Zug überfahrene Mann ist Pole – ein 55-Jähriger, wohnhaft in Emmerich. „Er spricht nur Polnisch“, berichtet Nadine Peter. Das ist auch der Grund, weshalb die Befragung des 55-Jährigen vor Ort rasch an Grenzen stößt. Doch soviel scheint sicher: Der Mann war nicht betrunken. Er ist Pfandsammler, die Polizisten finden eine PET-Flasche bei ihm. Offenbar hatte er sich auf dem Gleis danach gebückt.

Eigentlich kann man so etwas nicht überleben

Ein Lokführer, der die betreffende Passage auf der rechten Kölner Rheinseite schon unzählige Male befahren hat, kann nur den Kopf schütteln: darüber, dass der Mann im Gleis stand und darüber, dass er überlebte. Ein derartiges Ereignis zu überleben, sei nämlich eigentlich ausgeschlossen.

„Vor 30 oder 40 Jahren waren die Achsen noch deutlich höher, es gab kaum Unterbauten, da gab es eine gewisse Überlebenschance. Aber an den Drehgestellen und am Boden moderner Züge finden sich heute riesige Magnete, Batterien, Kondensatoren und Teile der Bremsanlage, der Schwerpunkt dieser Züge ist erheblich niedriger als früher.“

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Zudem sind die Lokomotiven solcher Intercitys meist mit stählernen Räumvorrichtungen versehen, die Hindernisse vom Gleis wischen sollen und ebenfalls weit nach unten reichen. „Der Mann „, stellt der Lokführer klar, „hatte mindestens einen Schutzengel, und mein Kollege übrigens auch.“

Zum Zeitpunkt der Einfahrt hatte der Zug, der die Hohenzollernbrücke vom Kölner Hauptbahnhof kommend passiert hatte, nach Einschätzung von Experten etwa 50-60 km/h auf dem Tacho. Schon viel zu schnell, um das 600-Tonnen-Gefährt noch auf die Schnelle zu stoppen. Gab es bereits ähnliche Vorfälle an Rhein und Ruhr? So weit zurück reicht bei keinem der befragten Experten das Gedächtnis. „Es ist einfach zu unwahrscheinlich“, sagt ein Bahnsprecher.

Weiterfahrt nicht mehr möglich

Auch Bundespolizistin Peter kann sich an keinen ähnlichen Fall erinnern. Vor zwei Jahren war im Kölner Hauptbahnhof zwar ebenfalls ein Flaschensammler auf den Gleisen, als ein Zug einfuhr: „Der Mann hat sich aber durch einen Sprung retten können.“

Den Vorfall jetzt in Deutz haben laut Peter drei Zeugen gesehen – der Lokführer, jemand vom Zugpersonal und jemand auf dem Bahnsteig. Der 42-jährige Lokführer war – nachvollziehbar – fertig. Der IC hätte eigentlich noch bis Dortmund weiterfahren sollen.

Der Bahner beendete jedoch die Tour und schickte sein Zugpersonal nach Hause. Die 20 Reisenden im IC erhielten Taxigutscheine. Für den Flaschensammler ist die Geschichte auch noch nicht beendet. Die Bundespolizei erhob Anzeige wegen gefährlichen Eingriffes in den Bahnverkehr. Der Mann wird auch erneut vernommen werden, dann aber mit Dolmetscher.