Essen. . Ein Essener Chemieprofessor forscht an der Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit. Prof. Thomas Schrader von der Universität Duisburg-Essen arbeitet an einer sehr speziellen Methode, um das Entstehen von Alzheimer im Gehirn zu verzögern. Es geht um eine Art Pinzette aus künstlichen Bausteinen.
Eine Pinzette gegen Alzheimer? Ein kleines Instrument, das sich durch die Hirnwindungen schleicht und die Plaques wegknabbert, ehe sie das Gedächtnis langsam ersticken? Schön wäre es, gäbe es ein solches Instrument. Tatsächlich tüftelt Professor Thomas Schrader von der Universität Duisburg-Essen gemeinsam mit Kollegen in der Region an einer solchen Pinzette. Doch wer dem 55-Jährigen eine Weile zuhört, versteht: die Welt der Proteine in unserem Körper ist viel komplizierter – aber darum nicht weniger faszinierend. Schrader sowie Kollegen aus Biologie und Medizin machen vorsichtige Schritte in ein faszinierendes Reich, das erst seit einigen Jahrzehnten zugänglich ist.
„Die Biologen und Mediziner stellen Fragen, öffnen immer wieder neue Türen und hinter jeder Tür versteckt sich ein unübersichtliches neues Gebiet“, sagt Schrader, der darüber keineswegs unglücklich wirkt. Wer Experimente wagt, muss das Scheitern riskieren, weiß der Chemieprofessor.
Winziges Wunderwerk - im Mäusehirn erfolgreich getestet
Der Reihe nach: Als die Gen-Forscher vor einigen Jahren erklärten, das menschliche Erbmaterial, das so genannte Genom, sei nun entschlüsselt, war das nur ein kleiner Schritt. So, als hätte man einen unbekannten Kontinent kartografiert. Die Molekularbiologen überall auf der Welt machen jetzt aber die mühselige Expeditionsarbeit zu Fuß in das noch unbekannte Land.
Und die Geheimnisse unseres Körpers sind oft undurchdringlicher als ein Urwald. Klar ist: Der Stoffwechsel funktioniert nur dank zahlreicher Proteine. Welche Proteine wann und wo aus Aminosäuren gebildet und eingesetzt werden, darüber entscheidet im Wesentlichen das Erbgut. Proteine sind riesige Moleküle, die durch Verknüpfung zahlreicher Aminosäuren zu einer sehr langen Kette entstehen. Nur, wenn sich diese Kette perfekt faltet, funktioniert das Protein richtig. Manchmal, wie z. B. bei Alzheimer, werden Proteine falsch gefaltet; im ungünstigsten Fall werden sie klebrig und verklumpen zu den unheilbringenden Plaques.
Dagegen tüftelt unter anderem Schraders Team an einem speziellen Entfaltungshelfer: 15 Arbeitsschritte brauchen sie, bis sie aus Vorstufen die molekulare Pinzette aufgebaut haben, die so viele Phantasien auslöst. Entstanden ist das winzige Wunderwerk erstmals unter Schraders Vorgänger Professor Frank-Gerrit Klärner. Schraders Team gelang es, die Pinzette auch in wässriger Umgebung einzusetzen, so dass sie auch in Organen funktioniert und nicht nur im Reagenzglas.
Die Pinzette aus Essen funktioniert auch im Mäusehirn. Denn die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Protein-Pinzette haben auch an der University of California in Los Angeles (UCLA) Interesse geweckt. Dort hat der Neurologieprofessor Gal Bitan die Substanz an Mäusen getestet, die zuvor künstlich alzheimer-krank gemacht wurden.
Pinzette allein macht noch kein chirurgisches Besteck
Im Gehirn der behandelten Mäuse bildeten sich kaum Plaques und sie behielten ihr Erinnerungsvermögen. Das von Menschenhand gebaute Molekül bindet sich so an das Protein, dass es sich nicht mehr zu den gefürchteten Fibrillen umfaltet, aus denen im Spätstadium der Krankheit Plaques entstehen. Das weckt Hoffnung. Doch: „Alle Ansätze, Alzheimer zu heilen, sind bislang beim Menschen gescheitert. Auch, wenn sie am Tier funktioniert haben“, warnt Schrader.
Für Forscher ist es fast zu schön, um wahr zu sein. Das künstliche Molekül wirkte bislang nur bei den falsch gefalteten Proteinen und zeigt sonst keine Nebenwirkungen. So gut sind die Aussichten immerhin, dass womöglich in einigen Jahren die Substanz erstmals bei Patienten angewendet werden könnte – die Hilfe mächtiger Geldgeber vorausgesetzt, denn das wird teuer. Die Forscher der Unis in Duisburg-Essen und Los Angeles haben sich sicherheitshalber schon mal ein Patent auf die Pinzette gesichert.
Doch Schrader und seine Mannschaft haben viele weitere Ideen für neue Werkzeuge, die an Proteinoberflächen angreifen. Da gibt es molekulare Stopfen, die Eintrittsöffnungen für defekte Proteine verschließen sollen; molekulare Klemmen, die künstlich zwei Proteine verbinden können – und vieles mehr.
Während für die Chemiker eher interessant ist, wie man molekulare Werkzeuge baut und wie sie funktionieren, will der Biologe herausfinden, welche Aufgaben ein Protein besitzt und was es für eine lebende Zelle bedeutet, wenn Proteine verändert werden. Ganz am Ende stehen die Mediziner, die hoffen, dass sie die neuen Werkzeuge helfen können, schädliche Prozesse im Körper gezielt zu beeinflussen und so Krankheiten zu behandeln, für die es heute keine Hilfe gibt. Eine Pinzette allein macht noch kein chirurgisches Besteck.