Essen. . 24 Stunden lang wird am 3. und 4. Juli wieder vermehrt geblitzt. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ist überzeugt, so die Straßen sicherer zu machen. Kritiker halten die Aktion allerdings für Abzocke. Beim ersten Blitz-Marathon im Februar zog die Polizei mehr als 17 000 Raser aus dem Verkehr.

Sie haben geschimpft wie die Rohrspatzen, waren um keine Ausrede verlegen oder haben sich einfach nur über ihre eigene Schusseligkeit geärgert. Mehr als 17.000 Autofahrer hat die NRW-Polizei im Februar binnen 24 Stunden aus dem Verkehr gezogen, weil sie zu schnell unterwegs waren. Dieser „Blitz-Marathon“ soll nun wiederholt werden. Vom 3. Juli, 6 Uhr, bis 4. Juli, 6 Uhr, wird die Polizei in ganz Nordrhein-Westfalen vermehrt Geschwindigkeitskontrollen durchführen. Neu: Dieses Mal können Bürger im Internet mitbestimmen, wo geblitzt werden soll.

Das direkte Umfeld der Bürger soll in den Fokus rücken. Anwohner können ab Montag „Wutpunkte“ bei der Polizei melden – Stellen, an denen rücksichtslose Raser besonders gerne unterwegs sind.

Bußgelder, um klamme Kommunen zu unterstützen?

Mehr Knöllchen zu verteilen, ist nicht das Ziel der Aktion. Das sagt zumindest Innenminister Jäger. Er will die Menschen wachrütteln: „Es ist der landesweite Appell an alle – Autofahrer, Fußgänger und Fahrradfahrer – sich dauerhaft an die Verkehrsregeln zu halten, um sich und andere zu schützen.“

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Von der Aktion profitierten vor allem klamme Kommunen, ist zu hören. Und: Die Aktion bringt einen Tag Ruhe, danach wird wieder gerast. Der ADAC schlägt indirekt in die gleiche Kerbe: Grundsätzlich begrüßt der Club die Aktion. Doch wirklich bekehren könne man Raser nur durch Aufklärung, und zwar direkt nach der Tat, sagt eine Sprecherin. Das wird während des Blitz-Marathons aber wohl nicht oft passieren. Der vorwiegende Teil der Tempo-Sünder wird ohne verkehrspädagogisches Gespräch zur Kasse gebeten. Das bestätigt eine Sprecherin des Innenministeriums auf Nachfrage.

Frust und Verdrossenheit bei den Autofahrern

Auch der Automobilclub von Deutschland (AvD) warnt: An Stellen zu blitzen, an denen für Verkehrsteilnehmer auf den ersten Blick kein Gefahrenpotenzial zu erkennen ist, führe nur zu Frust und Verdrossenheit. Blitzer an Schulen und in Tempo-30-Zonen müsse jeder akzeptieren, da stehe die Sicherheit vor allem der Kinder im Vordergrund, sagt Dirk Finken vom AvD. Aber für Radarfallen an gut ausgebauten Straßen, die aus einer Stadt hinausführen, hätten die meisten Autofahrer kein Verständnis. Hier kann Finken Raser verstehen, die denken, sie dürfen für die Stadtkasse spenden.

Wind aus den Segeln der Kritiker könnten Zahlen nehmen, wie viel die Aktion im Februar finanziell tatsächlich gebracht hat. Solche Zahlen gibt es aber nicht, sagt das Ministerium. Ralf Jäger kontert derweil mit anderen Zahlen: In den ersten fünf Monaten 2012 seien in NRW 207 Menschen im Straßenverkehr gestorben, 13 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Diesen Rückgang führt er auf die Kampagne „Bremse Dich – rette Leben!“ zurück, die vor sieben Monaten startete. Der Blitz-Marathon ist ein Teil dieser Kampagne.

Trotz aller Kritik: Experten sehen im Blitz-Marathon auch langfristige Chancen, deutsche Straßen ein Stück sicherer zu machen. „Autofahrer können umlernen“, sagt Rüdiger Born, Geschäftsführer des Bundesverbandes niedergelassener Verkehrspsychologen. Alle werde man durch die Aktion nicht erreichen können, aber manch einer werde sich nach dem Tag im Juli denken, „Mensch, ich komm auch dann pünktlich und vor allem ungestresst zu meinem Termin, wenn ich nicht immer Vollgas gebe“. Über die Angst kann man das Verhalten der Autofahrer dagegen nicht ändern, da gibt Born den Kritikern Recht. Ist die Gefahr, geblitzt zu werden, hoch, gehen die meisten vom Gas. Einen Tag später wird wieder gerast.

Rückendeckung statt Lobby-Arbeit

Rückendeckung für den Minister gibt’s von ungewöhnlicher Stelle. Anstatt Lobby-Arbeit zu betreiben, lobt der Autoclub Europa (ACE) das Projekt. Ein paar Kilometer zu schnell – was macht das schon? „Im Zweifel einen Toten“, sagt Stefan Rakowski, NRW-Sprecher des ACE. Er hofft, dass durch den Blitz-Marathon alte Gewohnheiten aufgebrochen werden. „Wollen wir was ändern, müssen wir uns strikt an die Tempolimits halten und dürfen ‘ein paar Kilometerchen zu schnell’ nicht als Lappalie abtun.“