Bochum/Düsseldorf. . Der noch bis zum frühen Samstagmorgen dauernde NRW-weite Blitzer-Marathon ist, der ersten Bilanz vom Freitag nach, erfolgreich: Die Polizei registrierte weniger Blechschäden, weil nur wenige Autzofahrer zu schnell fuhren. Die meisten fuhren eher zu langsam.
Man kann es als Temposünder schlimmer antreffen, als dem 1. Polizeihauptkommissar Rolf Greulich zu begegnen. Rausgewunken, eingeparkt, ausgestiegen, steht der Fahrer dann da mit äußerst mangelhafter Entschuldigung („Ich hab von der Aktion nichts mitbekommen“) und muss sich mit einer gemeinen, wenngleich nur rhetorischen Frage herumschlagen: „Sie wissen aber, was das runde Schild bedeutet mit der schwarzen Zahl drin?“, fragt Greulich: „Das ist nicht die vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit.“
"Das ganze Ruhrgebiet ist Verkehrsübungsplatz"
Nun ist der 58-jährige Leiter des Polizei-Verkehrsdienstes für Bochum, Herne, Witten ein freundlicher, vielleicht gerade etwas verfrorener Mann. Mit vier Kollegen steht er am Rande einer Landstraße im Bochumer Westen und misst Tempo. Zur guten Laune hat er Freitag früh aber auch jeden Grund: „Wir hatten heute morgen im ganzen Bezirk nur zwei Unfälle mit Blechschäden. Sonst sind es nie unter vier, normal sind sechs.“
Was kommt, weil das Revier ja weiß: Heute ist Freitag. Tag fünf, seitdem das ganze Land darüber redet, was jetzt kommt. Der Blitz-Marathon! 3000 Polizisten auf 1400 Positionen. Gestern war Blitzeis, heute ist Blitzalarm. Und das Ruhrgebiet – fährt 50, ach was, 47. Es gibt Menschen, die genießen das wie die Sonne, welch entspanntes Fahren! Kein Drängeln, kein Auffahren, keiner, der von hinten schiebt! Und wer 25 fährt, wo 30 ist, der hat sogar noch Zeit, um freundlich warnzublinken. Danke mit einem Lächeln! (Der Polizist hinter der Kamera im kalten Schatten der Bäume an der Dortmunder Strobelallee lächelt nicht.)
An diesen Stellen blitzt die Polizei
Es gibt aber auch solche, die die Ruhe unruhig macht. „Das ganze Ruhrgebiet ein Verkehrsübungsplatz!“, klagt eine junge Essenerin über die ach-zu-übertriebene Vorsicht ihrer Mit-Fahrer. Und eine Duisburgerin mault schon auf der Autobahn: „Warum fahren einige so langsam, dass man sie statt zu blitzen schon malen kann?“ Die Polizei würde darüber nicht maulen, sieht es aber auch. „Viele fahren drunter“, meldet sie in Bochum, „merkbar sensibel“ heißt das im Innenministeriums-Deutsch.
Mit Tempo 95 in der Innenstadt
Zudem gibt es ja Ausreißer, vor allem außerhalb des Reviers. In Gronau erwischen sie einen Autofahrer mit 93 km/h in der Stadt, in Düsseldorf mit 95. Dort fallen bis zum Mittag schon weit über 500 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten an. Auf der A 57 bei Köln wird ein Wagen mit 160 bei Tempo 100 geblitzt. Im Kreis Lippe messen die Beamten 128 Stundenkilometer in einer 70-Zone, „nach Abzug der Toleranzen“ (macht 240 Euro Bußgeld plus Fahrverbot). Und in Lemgo zeigt sich ein Fahrer, was soll man sagen: doppelt doof. Zahlt 35 Euro nach einer Kontrolle, gibt dann Gas, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen und – Blitz!
Die Nachricht indes, die schon seit dem frühen Morgen ins Land posaunt wird, kommt dann doch aus Duisburg. Dort rast ein Arzt mit Vollgas in die Falle, Tempo 102, wo eigentlich 50 ist. „Ich hatte es eilig“, sagt der Mann, wie es so viele sagen an diesem Tag. Oder so: „Ich muss zu einer Operation.“ Oder: „Ich bin fremd hier, ich war mehr mit dem Ziel befasst als mit dem Tempo.“ Meistens sind es Fahrer von auswärts, die nichts ahnten vom Blitz-Marathon in NRW. Kurz vor dem Besuch des Innenministers Ralf Jäger an einer Radarfalle in Duisburg nimmt dort eine Frau die Technik in Anspruch. „Nichts mitbekommen“, sagt sie zu ihrer Entschuldigung. Sie fuhr gute 60, aber sowieso reden hier alle nur vom Doktor mit seinen 102. Dabei sagt dazu der Minister: „65 Stundenkilometer als Alltagsgeschwindigkeit sind genauso schlimm.“
Die sowas tun, wollte die Aktion schließlich erreichen. „Vielen fehlt scheinbar nach wie vor das Unrechtsbewusstsein“, sagt der Leiter der Düsseldorfer Verkehrsdirektion, Martin Vonstein. „Die Unverbesserlichen“, sagt zwar der Duisburger Polizeisprecher Ramon van der Maat, „kriegt man mit einem Appell an den Verstand nicht.“ Aber nachdem die Aktion fast eine Woche in den Medien war, habe man doch „dem einen oder anderen vermitteln können, dass man besser 50 fährt statt 70“.
Zahlen, ohne zu murren
Das Lasergerät „LR 90-235 Paula“ an der Bochumer Landstraße zeigt gerade tatsächlich niemanden an, trotzdem winken die Polizisten eine Fahrerin heraus. „Wir wollten uns bedanken“, sagt Kommissarin Sabine Sander einer verblüfften Frau aus Ennepetal und schenkt ihr einen Kugelschreiber. Vorbildliches Verhalten! Und was sagt die Dame: „Och, das ist ja lieb. Und ich hab gedacht, ich bin zu langsam gefahren.“
Die anderen zahlen, ohne zu murren. Zumal, wenn die Polizisten sie ansprechen auf den einen oder anderen Kollateralverstoß, den sie gerade entdecken: Kind nicht richtig gesichert, zum Beispiel. An der Frontscheibe nur ein Guckloch freigekratzt. Oder, ein kleiner Höhepunkt: Kettensäge auf der Rückbank liegt lose. Die Autofahrer schimpfen nicht, die Radargeräte schockfrosten nicht, alles läuft. Gute Fahrt! Rolf Greulich hat schon den nächsten Temposünder in der freundlichen Mangel. „Sie versprechen mir jetzt, dass Sie nie mehr zu schnell fahren. Hand drauf!“
Hand drauf. Dann fährt der Mann. Sagt niemals nie.
Wer allerdings glaubt, er könne heute wieder rasen, dem sei gesagt: Die meisten Polizeipräsidien des Landes vermeldeten an diesem Freitag nicht die Blitz-Erfolge des Tages. Sondern die Blitzer-Standorte für die kommende Woche.
Wenige sind zu schnell